Software für die Versicherungswirtschaft:

"Im Augenblick überwiegt der Eingebau"

03.11.1978

Von Prof Dr Heiner L. Muller-Lutz

Der Versicherungssektor ist ein besonders interessanter Ausschnitt für den Computer-Markt. Die unsichtbare "Ware" Versicherung ist ein schriftlich fixiertes Leistungsversprachen, das eine sehr große Anzahl von Nachrichten, Informationen und Daten zu seiner "Anfertigung" und "Aufrechterhaltung" erfordert. Es werden ständig Informationen und Daten aufgenommen, verarbeitet sowie lang- beziehungsweise kurzfristig gespeichert. Zu den Büroarbeiten auf dem "Fertigungssektor" kommen die Aufgaben hinzu, die bei

jedem Industriebetrieb für die Verwaltungsarbeiten, für den Vertrieb der Ware, für die Lenkung der Produktion sowie das Personal- und Rechnungswesen anfallen. Zur Versicherungsfabrik, die ein Büro ist, kommt also noch das Büro der Versicherungsfabrik selbst hinzu. Der datenintensive Versicherungsbetrieb ist für den Einsatz von Computern besonders geeignet, weil er nicht nur große Mengen von Daten und Informationen verarbeitet und speichert, sondern diese Operationen, zu denen Rechen- ebenso wie Schreibarbeiten gehören, weitgehend standardisieren und oft wiederholen muß.

Die Versicherungswirtschaft gehört zu den Pionieren des kommerziellen Computereinsatz. 1950 wurden in den USA und 1955 in Europa bei einer deutschen Versicherungsgesellschaft die ersten Computer für die praktische Büro-Arbeit eingesetzt. Heute ist die Versicherungswirtschaft einer der computerintensivsten Wirtschaftszweige. Fast alle Versicherungsgesellschaften in der Welt verfügen über gut ausgebaute EDV-Systeme.

In der Bundesrepublik sind über 350 Groß-Systeme im Einsatz. Ungefähr eine halbe Milliarde Mark wird jährlich für Miete, Abschreibungen und Betriebskosten ausgegeben. Rund 7000 Mitarbeiter sind auf dem EDV-Sektor hauptberuflich eingesetzt. 300 Millionen Versicherungsverträge (mit durchschnittlich 300 bis 500 Zeichen pro Vertrag) werden in direktem Zugriff in umfangreichen Datenbanksystemen bereitgehalten. Die automatisierte aktenlose Vertragsverwaltung sowie die papierarme Sachbearbeitung sind

weitgehend verwirklicht. Das Sachbearbeiter-Infomationssystem ist in einzelnen Betrieben bereits vorbildlich gelöst. Lokale Bildshirmnetze, zum Teil auch mit Datenfernübertragungsmöglichkeiten, sind in großem Umfang im Einsatz. Man schätzt, daß bereits

rund 10 000 Bildschirme installiert sind. In manchen Betrieben steht schon jedem zweiten oder dritten Mitarbeiter ein Bildschirm zur Verfügung.

In Verbindung mit der Sachbearbeitung kommt der Computer-unterstützten Textverarbeitung schnell wachsende Bedeutung zu EDV-gesteuerte Haus- und Briefpostverfahren sind in der Erprobung. Die Kombination EDV-Mikrofilm ist in Testbetrieben bereits verwirklicht.

Die breite Anwendung der EDV bei den Routine-Arbeiten hat zu erheblichen personellen Entlastungen geführt. Die weitere Entwicklung scheint stürmisch zu verlaufen, besonders dort, wo sich Daten- und Nachrichtentechnik verzahnen. Die Peripherieentwicklung hat vor allen Dingen, für die Computer-unterstützte Agenturführung Bedeutung. Es ist noch umstritten, ob ein Terminal-Computer oder ein Computer-Terminal die bessere Lösung für ein Vertreterinformationssystem ist. Die meisten selbständigen Kleincomputer sind Daten-, aber nicht Programm-kompatibel. Auch "abhängige" Terminals können selbständige Intelligenz haben.

Die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten werden von verschiedenen Versicherungsbetrieben erprobt und getestet bis zur elektrischen Reiseschreibmaschine mit Blasenspeicher (Versicherungscomputer im Koffer!) mit Online-Dialog über Stand-Telefon oder

ohne Netz und Kabel.

Die Weiterentwicklung zum Kundeninformationssystem bietet Lösungen an, die auch den Einsatz des Bildschirmdienstes der Bundespost diskutabel machen.

Die Kompatibilität der mixed Hardware (auch unter dem Peripherie-Aspekt) sowie die zahlreichen Wünsche des Managements an die Elektronik Management-Informationssysteme mit den dafür notwendigen Summendatenbanken und besonders vielseitigen Programmen treten neben den operativen Aufgaben immer mehr in den Vordergrund - führen zu Engpässen und Schwierigkeiten bei der Software-Erstellung. Im Augenblick überwiegt der Eigenbau (meist mit Assembler). Man will bedienungsfreundlich, kapazitätssparend und schnell arbeiten, Erfordernisse, die die Standardsoftware der Hersteller und der Softwarehäuser wegen mangelnder Praxiserfahrung oft vermissen lassen.

Immer mehr der 200 000 Versicherungsmitarbeiter arbeiten direkt oder indirekt mit Computern. Das Dreiecksverhältnis, hauptberufliches Computerpersonal, nebenberufliche Computerbenutzung und Betriebsorganisatoren, bedarf immer wieder der Regulierung. EDV-Spezialisten werden von allen Seiten in ihrer dominierenden Zentralposition bedrängt - nicht zuletzt auch vom Management, das durch eigenes Wissen die Abhängigkeit meiner Entscheidungen auf ein Mindestmaß beschränken möchte.

Ein intensiver überbetrieblicher Erfahrungsaustausch - organisiert vom Betriebswirtschaftlichen Institut der Versicherungswirtschaft - sorgt dafür, den kostenträchtigen Weg über die Sammlung eigener Erfahrungen abzukürzen.

Betriebswirtschaftliches Institut der Versicherungswirtshaft, München.