"Ich habe nie geglaubt, daß 40000 Informatiker fehlen"

21.12.1990

Günter Steinbach, Vorsitzender des VDE-Ausschusses "Ingenieurausbildung" im Gespräch mit Hans Königes

Die DV-Ausbildung ist bei den Elektrotechnikern inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden mit der Folge, daß sich die junge Wissenschaft "Informatik" verstärkt um ein eigenständiges Profil bemühen muß. Auf dem Arbeitsmarkt entsteht insofern noch keine Konkurrenzsituation, da beide - Informatiker als auch Elektroingenieur - sehr stark gefragt sind.

CW: Was für einen Stellenwert hat die DV-Ausbildung im Elektrotechnik-Studium?

Steinbach: Ohne eine hinreichende DV-Ausbildung ist der Elektrotechniker unbrauchbar. Unabhängig davon, ob er zum Anwender oder zum Hersteller geht, er wird immer rechnergestützte Lösungen vorfinden. Wenn zum Beispiel ein Walzwerk elektrotechnisch ausgestattet wird, gab es früher Bände von Schaltbildern, die kaum zu überblicken waren. Heute werden diese Pläne mit Hilfe eines Programmes erstellt. Der Umgang mit Programmen sollte dem angehenden Elektrotechniker keine Schwierigkeiten bereiten.

Der Student muß also rechnergestützte Methoden beherrschen. Der Rechner muß für ihn

ein Werkzeug sein wie es früher der Rechenschieber war.

CW: Was sollte der Informatiker aus der Elektrotechnik wissen?

Steinbach: Den technischen Informatiker kann man wie einen Elektroingenieur einsetzen, den Kerninformatiker allerdings nicht. Diejenigen Informatiker, die in die Anwendung gehen, sollten auf jeden Fall elektrotechnische Kenntnisse besitzen. Der Informatiker, der an einem neuen Betriebssystem arbeitet, braucht dieses Wissen nicht.

CW: Machen sich der Informatiker und der Elektrotechniker auf dem Arbeitsmarkt gegenseitig Konkurrenz?

Steinbach: Es gibt zweifellos Bereiche, in denen sie sich gegenseitig Konkurrenz machen. Da es aber von beiden zu wenig gibt, ist das nicht schlimm.

CW: Wird aber der Elektrotechniker nicht dem Informatiker vorgezogen?

Steinbach: Wenn es ums Codieren geht, reicht die Informatik des Elektrotechnikers nicht aus. Wenn es um die Grundlösung geht, kann der mit Informatikkenntnissen ausgestattete Elektroingenieur eingesetzt werden. Sie nehmen sich aber nicht gegenseitig die Arbeit weg.

CW: Verfolgt man den Stellenteil der COMPUTERWOCHE, stellt man fest, daß viel mehr Anwendungs- als Kerninformatiker gesucht werden.

Steinbach: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe auch nie geglaubt, daß 40 000 Informatiker fehlen. Die Explosion der Aufgaben für den reinen Informatiker hat nicht stattgefunden. Im Grunde ist die Informatik eine Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften, es sei denn, es geht um die Entwicklung der Rechner.

CW: Hat dann die Informatik an Hochschulen eine Daseinsberechtigung?

Steinbach: Ich glaube, wenn die Universitäten die Theorie der Informationstechnik weiterentwickeln, dann hat sie ihre Existenzberechtigung. Als Beigabe zur Elektrotechnik oder Mathematik kann sie sich als eigenständige Wissenschaft nicht weiterentwickeln. Die Zusammenarbeit mit den anderen Fachbereichen muß jedoch koordiniert werden, denn diese brauchen bestimmte Informatik-Komponenten als Anreicherung für ihr Fach. Und weil das nicht sichergestellt ist, wollen etwa die Maschinenbauer und die Elektrochniker ihre eigene Informatik.