Thomas Balgheim im Gespräch

"Ich bin kein Management-Typ für Ruhephasen"

14.06.2013
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Thomas Balgheim hat Ende März das Unternehmen NTT Data als Deutschland- und Europa-Chef verlassen. Über die Gründe seines Abschieds sprach er mit CW-Redakteur Joachim Hackmann.

CW: Sie haben im Februar 2013 Ihren Abschied von NTT Data angekündigt. Warum?

Thomas Balgheim steht NTT Data seit April 2013 weiterhin als Berater zur Seite.
Thomas Balgheim steht NTT Data seit April 2013 weiterhin als Berater zur Seite.
Foto: NTT Data

Balgheim: Das war eine Mischung aus persönlichen Gründen und Entwicklungsstadium des Unternehmens. Als ich 2008 von der SAP zu Cirquent kam, ging es darum, ein deutsches Unternehmen zu internationalisieren. Das war zunächst das Ziel von BMW und später, als Cirquent an NTT Data verkauft wurde, auch das des neuen Konzern-Managements.

Ich persönlich habe immer den Anspruch an meine Arbeit gehabt, in Unternehmen den Change-Prozess zu gestalten. Das ist in meinem gesamten Management-Leben immer das gewesen, was mich interessiert hat. Bei Cirquent hat mich die Aufgabe gereizt, den Veränderungsprozess in einem mittegroßen Unternehmen zu gestalten.

Thomas Balgheim

Thomas Balgheim hat im Februar 2013 angekündigt, NTT Data Ende März 2013 zu verlassen. Sein Nachfolger als Deutschland- und Europa-Chef ist Patrizio Mapelli, der bislang das NTT-Data-Geschäft in Italien verantwortete.

Balgheim stieß am 1. September 2008 als Geschäftsführer Financial Services und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung zu dem IT-Dienstleister, der damals noch unter dem Namen Cirquent firmierte. Anfang 2009 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung.

Anfang 2012 stieg er zum Chef von NTT Data Europa mit mehr als 6.000 Mitarbeitern auf, in dieser Position übernahm er auch die Leitung des Integrationsprojekts. Ziel des Vorhabens war es, die deutschen, italienischen und britischen Niederlassungen von NTT Data, die allesamt unter eigenem Brand und mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen am Markt agierten, unter einem organisatorischen Dach und einem einheitlichen Markennamen zusammenzuführen.

Balgheim kam von der SAP AG, wo er das internationale Geschäft mit Finanzdienstleistern geleitet hatte. Zuvor oblag ihm als Geschäftsführer Deutschland bei PricewaterhouseCoopers (PwC) die Verantwortung für den Bereich Financial Services. Nach der PwC-Übernahme durch IBM führte er die Unternehmensberatungsparte für Bank- und Versicherungskunden in den Regionen Europa, Mittlerer Osten und Afrika.

CW: Dafür ist verständlicherweise ein Konzern wie NTT Data weniger geeignet als ein kleineres Unternehmen…

Balgheim: Nein, nein, das war nicht der eigentliche Grund. Ich möchte weniger international arbeiten. Sehen Sie, ich habe bereits die schwarze Lufthansa-Karte und viele andere Dinge, die man bekommt, wenn man viel unterwegs ist. Ich möchte mich künftig etwas mehr auf den nationalen Markt konzentrieren.

NTT Data Europa kommt in ruhigere Fahrwasser

CW: Sie sind des vielen Reisens überdrüssig.

Balgheim: Ja. Aber, mein Ausscheiden ist schon vor längerer Zeit vereinbart worden. Als die Übernahme von Cirquent durch NTT Data bevorstand, habe ich klargestellt, dass das der richtige Weg für Cirquent ist, er aber nicht zwingend zu meinen Plänen passt. Es entsprach nicht unbedingt meinen Vorstellungen, als Bereichsvorstand in einem internationalen Konzern tätig zu sein.

Wir hatten von Beginn an vereinbart, dass ich ausscheide, wenn das NTT Data Europe von der "Storming"-Phase in die "Norming"-Phase des Change-Prozesses eintritt. Das ist nun der Fall, jetzt sind andere Management-Typen gefragt.

CW: Was war denn so stürmisch in den vergangenen Monaten?

Balgheim: Wir haben Mitte 2011 das Projekt gestartet, vier Firmen in Europa zu fusionieren. Im April 2012 gab es den Brand-Wechsel in Europa, wir haben 5000 Mitarbeiter in eine neue Unternehmensorganisation überführt und die Strukturen so verändert, dass die an Branchen und Industrie ausgerichtete Organisation Priorität vor den Landesgesellschaften genießt. Zudem haben wir viele Einzelgesellschaften in eine gesellschaftsrechtlich einheitliche, europäische Holding konsolidiert und der gesamten Organisation eine übergreifende Management-Struktur gegeben. Und wir schließen demnächst das Projekt ab, die Prozesse und SAP-Systeme einheitlich zu gestalten. Seit Januar 2013 haben wir bereits ein gemeinsames CRM-Systems.

Es gibt noch viele Dinge zu tun, aber die Richtung ist eingeschlagen.

Zweistelliges Wachstum in Deutschland

CW: In einem früheren Interview hatten Sie Ziele der NTT-Data-Fusion genannt, unter anderem wollten Sie den Umsatz steigern. Ist das gelungen?

Balgheim: In unseren wichtigsten nationalen Märkten Europas, Deutschland und Italien, haben wir den Umsatz gesteigert. In Deutschland lag das Wachstum sogar im zweistelligen Prozentbereich, und das in einem schrumpfenden Umfeld. Wir haben also deutlich an Marktanteilen gewonnen, und zwar ausschließlich organisch.

Ein weiteres Ziel war immer auch das anorganische Wachstum. Mit der neuen Struktur haben wir die Basis für Zukäufe geschaffen.

CW: Deutschland, Großbritannien und Italien sind in reife Märkte. Wären Investitionen in Wachstumsmärkte nicht sinnvoller?

Balgheim: Wir betrachten die Märkte nicht auf Länder bezogen, wir verkaufen an Unternehmen. Die Automotive-Branche erlebt beispielsweise zurzeit ein erhebliches Wachstum, vor allem in China. Wir sind mit zwei großen Kunden dort tätig, um ein Vertriebssystem zu etablieren. Der Auftrag wurde aber im deutschen Headquarter der Automobilkonzerne verkauft. Wenn man global agieren und in dynamischen Märkten wachsen will, dann muss man dort gut aufgestellt sein, wo Entscheidungen fallen.

CW: Sie müssen auch vor Ort liefern, also Projekte umsetzen.

Balgheim: NTT Data ist nicht nur in Europa aktiv, wir haben eine weltweite Organisation. In Indien beschäftigen wir beispielsweise rund 10.000 Mitarbeiter, in China sind es zirka 6000.

CW: Sind die angesprochenen Mitarbeiter Teil einer weltweiten Offshoring-Organisation?

Balgheim: Ja, die Offshore-Projekte mit den indischen Kollegen laufen sehr gut. Neben den indischen Kapazitäten haben wir weitere Offshore-Möglichkeiten in China und Vietnam, zudem können wir Nearshore-Services aus Italien in Südkalabrien nutzen. Eine offene Flanke gibt es noch in Osteuropa. Dort suchen wir nach Verstärkung. Das ist wichtig für den deutschen Markt.

Mitarbeiter sind überwiegend zufrieden

CW: Den Mitarbeitern wurde die NTT-Data-Integration mit neuen Karrieremöglichkeiten schmackhaft gemacht. Haben sich für die Kollegen neue Pfade aufgetan?

Thomas Balgheim: Sorgen und Unruhen in einem Integrationsprozess sind üblich.
Thomas Balgheim: Sorgen und Unruhen in einem Integrationsprozess sind üblich.
Foto: NTT Data

Balgheim: In unserem Geschäft eröffnen sich den Mitarbeitern im Prinzip drei Karrieredimensionen: Im Management und in der Projektarbeit sowie in der fachlichen Weiterentwicklung. Fachlich orientierte Möglichkeiten tun sich heute bei uns vor allem im Automotive-Sektor auf. Es gibt eine Reihe von Kollegen, die nach China gegangen sind, um dort das Automotive Center of Excellence aufzubauen. Insgesamt arbeiten schätzungsweise fünf Prozent unserer Mitarbeiter in internationalen Projekten, vornehmlich in Europa und in China. Es gibt nur wenige internationale Projekte in Lateinamerika und Nordamerika. Schwierig gestaltet sich auch immer wieder die Projektarbeit mit japanischen Kollegen, weil dort kaum Englisch gesprochen wird. Außerdem gibt das internationale Leadership-Training im weltweiten NTT-Data-Konzern. Die Leitung hat die deutsche Akademie.

Aber zugegeben, nach einem Jahr stehen wir diesbezüglich erst am Anfang.

CW: Haben Sie den Eindruck, dass Sie die Mitarbeiter in das Transformation-Projekt richtig eingebunden haben? Sind die früheren Cirquent- und heutigen NTT-Data-Mitarbeiter zufrieden?

Balgheim: In der Mitarbeiterumfrage 2012 haben wir die Zufriedenheit gegenüber dem Vorjahr steigern können. Natürlich gibt es noch offene Fragen. Sorgen und Unruhe sind in einem Integrationsprozess üblich, sie gehören dazu. Ja, ich habe den Eindruck, dass wir die Mitarbeiter mitgenommen haben, wenngleich sicher nicht 100 Prozent der Kollegen diese Aussage unterschreiben würde.

CW: Wie hoch war denn die Beteiligung an der Umfrage?

Balgheim: Europa-weit haben mehr als 60 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dieser Umfrage teilgenommen, in Deutschland mehr als 65 Prozent.

CW: Die Zufriedenheit soll gelitten haben, seit Patrizio Mapelli die Leitung übernommen hat. Angeblich gibt es nur einen dünnen Kommunikationsfluss von Italien nach Deutschland?

Patrizio Mapelli, seit Anfang April 2013 Europa- und Deutschland-Chef von NTT Data.
Patrizio Mapelli, seit Anfang April 2013 Europa- und Deutschland-Chef von NTT Data.
Foto: NTT Data

Balgheim: Es gibt keinen Informationsfluss von Italien nach Deutschland. Herr Mapelli ist Italiener, aber in der Organisation ist er vor allem CEO der EMEA-Organisation und zugleich Chef der deutschen Niederlassung. Diese Doppelfunktion war eine bewusste Entscheidung, und sie soll die Bedeutung der deutschen Niederlassung unterstreichen. Herr Mapelli hat deshalb die Leitung der italienischen Gesellschaft niedergelegt. Er ist mindestens einmal pro Woche in München und hat die hiesigen Mitarbeiter auf Veranstaltungen mehrfach informiert.

Unterschiedliche Geschäfte unter einem Dach

CW: NTT Data ist in Europa eine heterogene Organisation. Es gibt das Projektgeschäft mit teuren Beratern in Deutschland, ein ähnlich gelagertes Geschäft in Italien, das aber in einem krisengeplagten Umfeld agieren muss, sowie britischen Dependancen, die viel mit Offshore-Kapazitäten und geringen Personalkosten arbeiten. Das alles in einer Organisation zusammenzuführen, muss doch Spannungen erzeugen.

Balgheim: Richtig ist, dass wir in Deutschland andere Kostenstrukturen als in Großbritannien und in Italien haben. Aber wir haben auch andere Preisstrukturen. Mit der Integration finden unterschiedliche Länderorganisationen, Kulturen und Geschäftsmodelle zusammen. Einige sehen darin Gefahren, andere Chancen. Es wäre vermessen, zu behaupten, alle wären zufrieden. Die Mitarbeiter sind engagiert und reagieren bisweilen emotional. Wenn es allen egal wäre, müsste ich mir Sorgen machen.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass NTT Data in Deutschland ein Kostenproblem hatte. Das Unternehmen ist aus der Fusion von zehn Firmen hervorgegangen. Im ersten Schritt haben wir das Portfolio bereinigt, was sich auch auf die Verwaltungskosten niedergeschlagen hat. Solche Maßnahmen bereiten keine Freude, schon gar nicht der Belegschaft.

Japaner entscheiden anders, nicht langsamer

CW: Etwas speziell soll sich immer wieder die Abstimmung mit der japanischen Zentrale gestalten. Es heißt, die Prozesse seien bürokratisch und die Entscheidungswege lang.

Balgheim: Die Entscheidungen werden in Japan anders gefällt, das musste auch ich zunächst lernen. Aus mitteleuropäischer Sicht, aber vor allem aus Sicht eines quartalsgetriebenen amerikanischen Unternehmens erscheinen die Wege sehr lang. In westlichen Unternehmen werden Vorhaben in Sitzungen unabhängig von Hierarchien diskutiert, vielleicht noch durch zwei Verfeinerungsschleifen geschickt und dann verabschiedet.

In Japan gibt es eine sehr lange Phase der Konsensbildung. Vorschläge werden mehrfach reflektiert und diskutiert, sie werden immer wieder hinterfragt. Ist eine Entscheidung einmal gefällt, wird sie wesentlich schneller umgesetzt, weil schon Vieles durchdacht wurde. Über den gesamten Zyklus hinweg, also vom ersten Gespräch bis zur Umsetzung eines Projekts, dürfte ein Vorhaben in Japan nicht wesentlich länger dauern als in westlichen Unternehmen. Wichtig ist, dass man in der Phase der Konsensbildung dabei ist.

CW: Als Ihr bevorstehende Rücktritt publik wurde, hieß es, Herr Balgheim sei genervt: Viele Reisen, nächtliche Telefonkonferenzen, schwierige Kommunikation, weil japanische Chefs nicht englisch sprechen, und sich widersprechend Entscheidungen. Stimmt das?

Balgheim: Japaner sind sehr rücksichtvoll, sie würden einen nie zu einer nächtlichen Telko einladen, die nicht dringend und notwendig wäre. Es gab solche Konferenzen, meistens in Verbindung mit Akquisitionsentscheidungen, aber das ist im Unternehmens-Management doch normal. Zur Kommunikation mit den Chefs - natürlich kommt es vor, dass man sich ärgert, das ist doch in jedem Job so. Es hat mir aber nicht die Laune verdorben.

Wir sind im Guten auseinander gegangen und haben die Entscheidung schon vor einem Jahr gemeinsam gefällt. Ich liebe und suche die Veränderung, in Ruhephasen werde ich unruhig und hinterfrage ständig alles. Das war für das Unternehmen in den vergangenen Jahren gut. Doch jetzt tritt es in eine Phase ein, in der es Stabilität braucht, daher glaube ich, dass ich nicht der passende Manager für die kommenden drei Jahre bin. NTT Data braucht in Europa jetzt vor allem Kontinuität. Herr Mapelli ist dafür die richtige Wahl.

CW: Und was mache Sie?

Balgheim: Ich werde mich meiner Leidenschaft widmen und als externer Berater arbeiten.

Weitere Beiträge zum Thema: