IBMs neue Office-Strategie: Kooperation statt Eigenbroedelei Die fuenf Grossen der DV-Branche marschieren mit ODA gegen WOSA

16.07.1993

HEIDELBERG (hi) - Nachdem Microsoft mit WOSA bereits 1992 seine Vision eines Interoperabilitaets-Standards vorstellte, haben jetzt auch die letzten europaeischen Verfechter proprietaerer Plattformen die Zeichen der Zeit erkannt. Unter dem Motto "World of Open Office Systems 93" (WOOS) praesentierten sie in Heidelberg ihren, auf ODA-basierenden Ansatz zum Datenaustausch zwischen verschiedenen Applikationen und Plattformen.

Es war wieder einmal eine beeindruckende Allianz, die sich mit IBM, Bull, ICL, Olivetti, SNI sowie UCL in IBMs European Networking Center Heidelberg zusammenfand. Fuer die Unternehmen, die sich in der Vergangenheit eher als Verfechter proprietaerer Loesungen erwiesen, ist das Ereignis in Zukunft durchaus als regelmaessige Einrichtung denkbar. So geht beispielsweise Kristian Fischer, IBM-Manager Offene Buerokommunikation, davon aus, dass das Thema in den naechsten Jahren am Markt eine immer groessere Rolle spielt.

Konnte die IBM in den achtziger Jahren mit den proprietaeren Architekturen DIA und PCA noch einen Standard im Office-Bereich durchsetzen, so ist dies laut Fischer heute in groesseren Unternehmen nicht mehr moeglich. Einen Grund dafuer sieht der IBM- Mitarbeiter in den unterschiedlichen Anwenderanforderungen in Unternehmen, die mit einer einheitlichen Kommunikationssoftware nicht mehr erfuellbar sind. Hier bietet sich fuer Fischer "ODA als Uebergang zwischen den einzelnen homogenen Inselloesungen an".

Zudem habe man bei IBM erkannt, dass die Features der SNA- Architekturen DIA und PCA fuer die Zukunft nicht mehr ausreichen. Vor der Frage stehend, ob das Unternehmen in einen eigenen Multimedia-Standard fuer die 90er Jahre investiere oder an einem internationalen Standard mitarbeite, fiel die Entscheidung schon Ende der achtziger Jahre zugunsten ODAs

aus. Im Rahmen der ODA-Strategie wollen die Armonker nun auf Allianzen setzen und Partnerloesungen auch auf dem Markt favorisieren - lautet doch das neue IBM-Credo laut Fischer: "Wir wollen, dass eine offene Systemarchitektur entsteht und ein fairer Wettkampf stattfindet."

Erste Fruechte der Zusammenarbeit beziehungsweise des "fairen Wettkampfes" zwischen den Mitgliedern des Konsortiums zum "Piloting the Open Documnet Architecture - Systems, Applications and Extensions" (PODA-SAX) konnten die Anwender auf dem Heidelberger Meeting testen.

PODA-SAX entwickelt die

ODA-Anwendungen und Tools

Vor der Etablierung der PODA-SAX-Gruppe wurde in den Poda-1- und 2-Projekten von 1986 bis 1991 an der Entwicklung des Standards, seiner Validierung sowie an Fragen der Implementierung gearbeitet. Bei PODA-SAX stand dagegen die Entwicklung von Anwendungen und geeigneten Tools im Vordergrund.

Zum Dokumentenzugriff in heterogenen Umgebungen verwendet die PODA-SAX-Gruppe den ISO-Standard DFR sowie X.400, beides Methoden, die auf dem Layer 7 des OSI-Modells basieren. Im Rahmen des Projekts wurden zwei DFR-Implementationen genutzt: "SNI File-X" und "IBM ODC-DS". Neben dieser einfachen Implementation testete das Konsortium die DFR-Funktionalitaet auch in bereits bestehenden Applikationen wie Bulls "Imageworks" oder IBMs "SAA Imageplus MVS/ESA".

Spiders ermoeglicht

DFR-Zugriff wie X.400

Um Anwendern, die ueber keinen DFR-Client verfuegen, ebenfalls Zugang zu DFR-Dokumentenspeichern zu bieten, verfolgte das POAD- SAX-Projekt einen weiteren Ansatz: Den Zugang zu DFR ueber das X.400-E-Mail-System "Spiders".

Ein weiterer Vorteil, neben dem Dokumentenzugriff auf unterschiedlichen Plattformen, ist fuer Peter Kirstein, Hochschullehrer am Department of Computer Science der UCL, die Moeglichkeit der Verwendung von Compound-Documents.

Waehrend eine Datenbank mit SGML-Text und entsprechenden Image- Daten 5 GB an Speicherplatz benoetigt, braucht, so der Hochschullehrer, die entsprechende ODA-Datenbank nur 4 GB. Deshalb benoetigt ein ODA-Dokument der Wissenschaft zufolge nur eine geringere Bandbreite im Netz als sein Image-Pendant und lasse sich bereits unter ISDN im WAN mit vertretbaren Reaktions- und Uebertragungszeiten nutzen.

Ein Hauptanwendungsgebiet von ODA sieht IBM-Mann Fischer im Bereich der elektronischen Dokumentation, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften im Versicherungswesen oder in der Pharmaindustrie einen immer groesseren Stellenwert bekomme, da die Dokumente oft ueber zwanzig Jahre oder laenger gespeichert werden muessen.

ODA-Konventoren werden

sich am Markt durchsetzen

Dies kann laut Fischer nur ein internationaler Standard gewaehrleisten, da die Anwender sich "nicht auf das Softwarehaus verlassen wollen, das gerade en vogue ist". Ausserdem haenge ein Firmenstandard zu sehr von der Firmenpolitik ab und sei damit groesseren Turbulenzen unterworfen.

Erste Anwendungen, so die Einschaetzung des ODA-Befuerworters, werden im ersten Quartal 1994 auf den Markt kommen. Allerdings rechnet Fischer nicht damit, dass ODA-Editoren in groesserem Umfang am Markt Erfolg haben. Nach Meinung des IBM-Mitarbeiters sind bereits genuegend Textverarbeitungen mit ausreichender Funktionalitaet verfuegbar. Fischer glaubt deshalb, dass sich wohl eher ODA-Konvertoren durchsetzen werden, da das eigentliche Thema von ODA, die Interoperabilitaet sei. Zur Entwicklung entsprechender Konvertoren und zur Anpassung bestehender Applikationen an ODA ist bereits heute ein ODA-Entwicklungstoolkit erhaeltlich.