Datenbankcomputer paßt nicht ins durchgängige Produktkonzept:

IBM-Strategiekonflikt: System /38 kontra 4300

05.02.1982

STUTTGART/MÜNCHEN - Nach der Neuorganisation des IBM-Vertriebsapparates stellt sich /34- und /3-Anwendern mehr denn je die Frage, ob sie sich für ein System /38 oder ein kleineres 4300-Modell entscheiden sollen. Weil das Stuttgarter Verkaufsteam zwei Maschinen "mit Konkurrenzcharakter" im Arsenal habe, glauben Branchenanalysten, daß Big Blue nun eine durchgängige Produktlinie bestimmen müsse. IBM -Kenner wollen Indizien dafür gefunden haben, daß der Marktführer über kurz oder lang den Datenbankcomputer /38 "einfrieren" werde.

Auf den ersten Blick scheint mit der /38 alles im Lot: Mehr als 500 Prozessoren, so heißt es in der IBM-Zentrale, seien hierzulande seit der Installation der ersten Maschine vor eineinhalb Jahren ausgeliefert worden. Somit mauserte sich das einstige Sorgenkind der Stuttgarter Basis-Datenverarbeiter zu einem der erfolgeichsten Systeme der letzten Jahre. Dennoch: Für Marktbeobachter erhärten sich die Anzeichen, daß der vor dem Lieferdebakel als "Future System" gepriesene Datenbankcomputer zugunsten einer einheitlichen Produktlinie wieder eingestampft wird. Genährt werden solche Vermutungen durch eine Vielzahl von Fakten. Die /38 überlappt sich sowohl vom Preis als auch von der Leistung voll mit den 4300-Modellen (siehe Tabelle). Bei der bisherigen Vertriebsstruktur sei dies nur wenig problematisch gewesen.

Zwar sind sich die Verkäufer der Basisdatenverarbeitung (BD) und der Datenverarbeitung (DV) hin und wieder ins Gehege gekommen, aber die Aufteilung der Bereiche habe bewirkt, daß der BD-VB nur die /38 und der DV-VB nur die 4300 verkaufen durfte. Seitdem beide Sparten zusammengelegt wurden, kann nun jeder Vertriebsbeauftragte jede Maschine anbieten. IBM-Insider sehen den Konflikt bereits programmiert: Nicht nur, daß ein Verkäufer mit zwei konkurrierenden Produkten im Markt operiere, auch die Marketing-Philosophien beider Systeme unterscheiden sich wesentlich. Hinzu käme, daß die Stuttgarter über wesentlich mehr ehemalige DV-Mannen als BD-Leute verfügten. IBM-Analysten prophezeien deshalb eine zwangsläufige Konzentration auf den 4300-Bereich.

In der gesamten Vertriebs- und Service-Truppe existiere erheblich mehr Know-how, als im /38-Lager. Außerdem biete die 4300 weitaus größere Ansätze für Zusatzgeschäfte, weil sie von der Kapazität her ausbaufähig sei und ein größeres Peripherie-Spektrum besitze. Bei diesen, von der offiziellen Vertriebspolitik völlig losgelösten Kriterien, so ein IBM-Mitbewerber, könne der Marktführer sein Verkaufsteam in Richtung /38 motivieren und schulen, wie er nur wolle, die Vertriebsbeauftragten würden sich dennoch auf der DOS-oder MVS-"Schiene" weiterbewegen. Es sei denn, IBM kurbele das /38-Geschäft verstärkt über die Quotenverteilung an.

4321-Winzling im IBM-Köcher

In der Ankündigung des Systems 4321 vom November letzten Jahres sehen nun auch die Benutzer einen Wink mit dem Zaunpfahl. Das neue Einstiegsmodell der 4300-Serie bewegt sich von der Leistung her im mittleren Bereich der /38-Baureihe, liegt im Kaufpreis aber bereits unter der kleinsten /38-Maschine.

Branchenkenner glauben, daß Big Blue hierzulande mit dem "Lowcost"-Computer vor allem die rund 1600 kleineren /3-Anwender ins DOS/MVS-Lager herüberziehen will, die bislang noch als potentielle /38-Aufsteiger galten. Ein neuer 4321-"Winzling" soll außerdem noch Ende dieses Jahres angekündigt werden. /34-oder /3-Benutzer, so die Branchenmeinung, fänden mit diesem System einen Einstieg, der ihnen über Jahre hinaus Aufwärtskompatibilität auf einer Betriebssystem-Schiene garantiere. Mit der /38 bewege sich der Anwender indessen in eine Sackgasse.

/39-Argument bei drohendem Zuschlagverlust

US-Marktbeobachter wollen jedoch wissen, daß der blaue Computerriese noch eine "/39" im Köcher habe. Auch bei deutschen Problemprojekten hätten Stuttgarter Vertriebsleute schon hinter vorgehaltener Hand von einer /38-Erweiterung gesprochen. Münchner IBM-Konkurrenten wollen gar von einem "etwas undurchsichtigen" Geschäft wissen, daß unmittelbar vor der Bekanntgabe der Neuorganisation gelaufen sei. Dem Vernehmen nach hätten leitende Vertriebsbeagftragte ein System /39 ins Spiel gebracht, nachdem der Auftrag für eine /38 verloren schien. Kurz darauf hätte aber ein IBM-Führungszirkel bereits wieder vorgesprochen und - selbst auf die Gefahr hin, den Zuschlag zu verlieren - eine 4331 angeboten. Fazit für die Mitbewerber: Es wird keine /39 mehr geben.

Daß der Marktführer verstärkt auf die 4300 setzt, wollen auch die anderen Mainframer wissen. Sie hätten Informationen aus erster Hand, daß die Stuttgarter die Aktivitäten um neue /38-Produkte stark heruntergeschraubt hätten. Dagegen spreche aber nach Meinung von Marktbeobachtern die Tatsache, daß die IBM momentan bei keinem anderen System so intensiv die Werbetrommel rühre, wie bei der /38. Analysten werten diese Anstrengungen indessen als eine Art Ausverkauf. Kaum ein System, so ist auch aus IBM-Kreisen zu hören, habe soviel Entwicklungskosten verschlungen wie der (pseudo-)relationale Datenbankcomputer. Um diese Investitionen wieder hereinzuholen, reichten die bisherigen Verkaufszahlen noch lange nicht aus.

Im "Einfrieren" der /38 sehen aber insbesondere Technologen einen Widerspruch. Die Architektur des Systems gilt gegenüber der zum Teil veralteten /370-Technologie der 4300 als wesentlich fortschrittlicher, das relationale Datenbank-Konzept geradezu als zukunftsweisend. Doch solange der Marktführer keine Perspektiven bezüglich einer Aufwärtskompatibilität aufzeige, sehen auch die /38-Befürworter die DB-Maschine als einen Fremdkörper innerhalb der IBM-Produktpalette. Gehe heute ein /34-oder /3-Benutzer auf die /38 und werde nach zwei oder drei Jahren kapazitätsmäßig gezwungen, auf die 4300 zu springen, könne er sämtliche /38-Programme wegwerfen. Der Anwender, der heute vor der Frage stehe, welches der beiden sich überlappenden Systeme er nehmen solle, werde vom Marktführer mehr denn je aufs "Entscheidungs-Glatteis" geführt, sagen Betroffene.

Ein Ex-IBMer mit Kontakten zu den höchsten Planungsstäben in White Plains will denn auch wissen, daß das /38-Announcement ursprünglich nur als Markttest verstanden wurde. Wegen Kundenverpflichtungen und der Gefahr, den oberen DB-Bereich an die hier sehr aktive Konkurrenz abzugeben, habe man das System dann trotz allem forcieren müssen. Dennoch sei, so der Insider, die /38 viel zu früh gegen die erfolgreiche 4300-Technologie angetreten.

"Olympia" gegen 4300

Ob die 4300 nun auch langfristig der Favorit der /34- und /3-Aufsteiger werden könnte, steht freilich noch in den Sternen. Glaubt man PCM-Auguren, so wird Big Blue noch Mitte dieses Jahres eine neue Produktserie unter der internen Bezeichnung "Olympia" ankündigen. Diese basiere auf der neuen 31-Bit-Architektur und könne mittelfristig die 4300-Serie ersetzen. (siehe auch "Neue NAS-Serie als IBM-'Olympia'- Vorläufer').

Das kleinste Modell "Cortina", so die Buschtrommel, bewege sich mit 0,2 Mips in /38-Gefilden. Als "dynamisches" Betriebssystem wird MVS angesehen, denn hier habe sich IBM inzwischen weitgehend festgelegt. NAS & Co. meinen, daß sich der Marktführer künftig verstärkt in der Mips-Breite zwischen 0,2 und zwei konzentrieren wolle. Denn hier beginne das IBM-Geschäft langsam abzubröckeln. Mit der Ankündigung der Olympia-Serie, orakeln die Stekkerkompatiblen, sei der Niedergang der /38 vorgezeichnet.

Spekulationen um H-Serie

Auf eine andere Variante der IBM-Produktpolitik weisen jedoch US-Marktanalysten hin. Sie erwarten, daß Big Blue die Technologie der H-Serie bis zur /38 herunterziehen wird. Das Konzept der 3081 würde sich dann im unteren Bereich mit der Philosophie der relationalen Datenbank treffen. Damit wäre die von der IBM seit jeher angestrebte Kompatibilität vom kleinsten bis zum größten System erreicht.

Aus anderen Quellen stammt wiederum die Vermutung, daß die /38 nach oben hin ausgebaut werden soll und sich auf diese Weise mit der Technologie der H-Serie treffe.

Produkt-Puzzle beim Anwender

Viele /34- oder /3-Benutzer zogen bisher die /38 einer 4300 vor, weil sie die Umstellungshürden besser nehme als die kleineren DOS-Maschinen (siehe auch "Thema der Woche", CW Nr. 4 vom 22. Januar 1982). Der Vizepräsident der IBM-Benutzergruppe Common, Harald Tas, sieht in dieser Bevorzugung keine Entscheidung über Preis oder Leistung, sondern vielmehr eine Frage des Anwender-Know-hows. Wenn heute jemand aus der Mittleren Datentechnik in die Groß-DV aufsteige, meint Tas, sei er in jeder Hinsicht überfordert. Die MDT-Benutzer verfügten weder über die Manpower, eine 4300 zu fahren, noch hätten sie das Budget, qualifizierte Leute einzustellen. Trotzdem - und darin seien sich selbst /38-Anwender einig biete die 4300 gegenüber dem Datenbankcomputer das bessere Hardware-Konzept. Resümiert der Common-Vize: "Die User werden durch ihr Interesse für das eine oder andere System entscheiden, zu welcher Produktlinie sich der Marktführer durchringt. "

Eiertanz

Von Manfred Hasenbeck

Das Spekulationskarussel um neue und alte Produkte des Marktführers läuft wieder mal auf vollen Touren. Während US-Analytiker über die Buschtrommel die Message vom langsamen Ableben der 4300 verbreiten, meinen hiesige Demoskopen, mittelfristig werde eher die /38 gekappt. Kaum sind die Tataren-Meldungen in die Welt posaunt, beginnt in der DV-Gerüchteküche auch(..)schon der Eiertanz um neue Systeme und Strategien. Da soll es künftig eine aufgemotzte /38 geben, kleinere H-Maschinen, eine /39 und sogar eine ganze "4300-Olympiade". Der /34- oder /3-Benutzer, der sich heuer die Gretchenfrage "/138 oder 4300" stellen muß, ist durch derartige Parolen freilich nur noch mehr verunsichert. Offen bleibt indes, welches System ihm nun der neue Allround-VB aufs Auge drücken wird. Denn dieser hat schließlich sowohl die eine, als auch die andere Maschine im Sturmgepäck. Einige Fakten deuten jedoch darauf hin, daß die Entscheidung diesmal nicht nur in den Sandkästen von White Plains gefällt wird, sondern im offenen Feld. Auch nach der Neuorganisation des IBM-Vertriebs besteht die weitaus stärkste Lobby intern aus den Mannen des Ex-DV-Bereiches. Dieses Establishment blickte bisher meist nur verächtlich auf die Kollegen vom BD-Verkauf herab. Kein Wunder, daß IBM-Kenner vermuten, im Vertriebs-Dschungel könnte nach der Devise "Jeder ist sich selbst der Nächste" ein von den Gurus ungewollter Run auf die 4300 einsetzen. Begründung: Mit den Folgegeschälten im Peripherie-Bereich ließ sich schon immer ein beachtliches Zubrot verdienen.