Paukenschlag kurz nach der vieldiskutierten Gründung der OSF:

IBM stellt Aufnahme-Antrag bei X/Open-Club

17.06.1988

LONDON/STUTTGART (cmd) - Während die DV-Branche immer noch über Sinn oder Unsinn der kürzlich gegründeten Open Software Foundation (OSF) und deren Unix-Strategie räsoniert, sorgt ein OSF-Mitglied für neuen Gesprächsstoff: Marktführer IBM will nun auch Mitglied bei der Londoner X/Open Limited werden.

Der Aufnahmeantrag ging, wie Sally Goodsall von der X/Open-Gruppe auf Anfrage mitteilte, nach der mit viel Theaterdonner in New York und Genf gleichzeitig inszenierten Gründung der OSF in London ein. Der Marktführer dagegen hält (...) mit einer offiziellen Bestätigung nach wie vor zurück. Wie schon mehrfach in der Vergangenheit verwies Gerhard Feucht von der Pressestelle der IBM Deutschland GmbH in Stuttgart statt dessen auf die bisherige Position der Armonker in Sachen Unix: Zum einen bestünden seit langem, wenn auch informelle, Kontakte mit X/Open, und zum anderen sei man stark engagiert bei der Posix-Normierung in den USA.

Einer der Gründe für den plötzlichen Sinneswandel bei Big Blue resultiert möglicherweise daraus, daß die OSF sich als Unix-Alternative zu dem Duo AT&T-Sun, vor allem aber als elitärer Anbieterclub präsentierte, der die Anwender-Gemeinde schlichtweg ausblendete (siehe CW Nr. 22 vom 27. Mai 1988, Seite 1: Unix-Contras lassen die Anwender außen vor). Die Reaktion der Kunden fiel entsprechend aus und pendelte zwischen Überraschung, Unmut und Unverständnis. X/Open dagegen kann darauf verweisen, daß man die Wünsche der Anwender nach Mitsprache berücksichtigt hat: Seit Anfang dieses Jahres besteht ein User Advisory Council. "Dies war wohl die richtige Strategie", hebt Sally Goodsall indirekt die Unterschiede hervor.

Wenn auch der Eintritt der IBM in die Reihen der X/Open-Gesellschafter noch offiziell auf deren nächstem Board Meeting abgesegnet werden muß, das innerhalb der nächsten sechs Wochen stattfinden soll, bestehen doch kaum Zweifel, daß dies lediglich noch Formsache ist. Im Verlauf des Jahres '88, vor allem aber mit der AIX-Ankündigung vom März, so ist beispielsweise vom X/Open- und OSF-Mitglied Siemens zu hören, habe Big Blue einige deutliche Bekenntnisse zu Unix abgelegt. Darüber hinaus setzt das Konsortium aber vor allem darauf, daß IBM mit seinem Beitritt eine Reihe weiterer potenter Unix-Protagonisten ins X/Open-Boot zieht.

Unklar bleibt freilich fürs erste, zu welcher Rollen- und Aufgabenverteilung X/Open und OSF finden werden. Während aus Sicht der IBM die X/Open-Gruppe lediglich die Rahmenbedingungen festschreibt, die OSF hingegen ein echtes Produkt entwickeln soll, sieht die Londoner Gruppierung sich selbst als die Standard-setzende Kraft und die OSF als diejenige, die diese Standards dann implementiert.