IBM: Eine Ära ist zu Ende

20.12.1991

Nichts ist mehr, wie es war. Für Diebold-Deutschland-Chef Gerhard Adler, der mit diesem Satz zutreffend die Branchenstimmung wiedergibt, kann die "veränderte Anwendersituation.. . (auf) Handlungsunfähigkeit durch Altlasten und kaum mehr beherrschbare Komplexität" zurückgeführt werden. Diese veränderte Anwendersituation, so Adler weiter, schlage auf die Anbieter durch. Der Diebold-Chef hat das am Beispiel der "Universalisten", der Alles-aus-einer-Hand-Anbieter, herausgearbeitet: Der Zwang zur Einfügung von Neuem in die "alten Welten" blockiere die Innovation. Konkret zu IBM äußerte sich Adler nicht, an Big Blue gedacht hat er zweifellos.

Nun war freilich für IBM-Anhänger die Innovationskraft des Mainframe-Marktführers nie ein sonderliches Problem. Das "Mother-Blue"-Image der IBM war naturgemäß so konstruiert, daß es im Bauch Platz hatte. Politisch und strategisch nannte man das, wenn Anwender den einzig scheren Weg wählten, nämlich ein 1370-System. Und die Konkurrenz sprach von "genialem" Marketing: Big Blue setzte die Bedingungen, in deren Rahmen sich die Anwender bewegten - das Kunden-Lieferanten-Verhältnis wurde gleichsam zu einer internen Angelegenheit.

Doch die Mainframe-Dinosaurier liegen im Koma. Die Krise ist da. Nichts ist mehr, wie es war. Für ihre Kunden will die IBM nicht sprechen, kann sie nicht sprechen, wenn sie sich zu einem Leidensdruck bekennt, den ein Strukturproblem hervorgerufen hat: Eine schlanke IBM, die sich eine flache Hierarchie in selbständigen Unternehmenseinheiten verordnet, will beweisen, daß sie die Identitätskrise überwinden kann. Wichtig ist der Umkehrschluß: Der Unterschied zu früher liegt darin, daß eine neue IBM - soll sich intern tatsächlich etwas ändern - Marktdominanz auf allen Gebieten und Gewinnmaximum nicht mehr für Selbstverständlichkeiten halten kann. Daraus folgt, daß der Mechanismus, keinen Mitarbeiter fallen zu lassen, außer Kraft gesetzt werden muß. Abkehr von der Keine-Entlassungen-Doktrin: Da haben wir den eigentlichen Knackpunkt.

Eine IBM-Ära ist zu Ende, in der das Einmalige, das Besondere, das Außergewöhnliche betont wurde, weil es die Kunden erwarteten, ja verlangten. Für die Beurteilung des Konstrukts IBM '92 zählt dagegen Anhänglichkeit nichts, Time-to-Market-Fähigkeit in einem veränderten Technik- und Wettbewerbsumfeld alles. Die Vorstellung von Markt und Konkurrenz mag vielen IBMern Unbehagen bereiten - sie werden sich daran gewöhnen müssen. Für selbstkritische IBM-Mitarbeiter kommt es jetzt darauf an, sich schnellstmöglich Marketng-Know-how anzueignen, so absurd das klingt. Das vergleichsweise offene RS/6000-System wäre ein ideales Übungsgerät.