Erwin Staudt: Wandel zur Informationsgesellschaft vollzieht sich zu langsam

IBM-Chef bangt um deutschen IT-Standort

28.06.2002
MÜNCHEN (CW) - Dramatische Worte fand IBM-Deutschland-Chef Erwin Staudt anlässlich der Ankündigung des Buches "Deutschland online - Standortwettbewerb im Informationszeitalter", das jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Wolle Deutschland weiter zu den großen Wirtschaftsmächten gehören, dann müsse sich das Land schnellstens in eine Informationsgesellschaft wandeln.

"Die schnelle Transformation in die Informationsgesellschaft ist Deutschlands letzte Chance, um im Kreis der großen Wirtschaftsmächte zu verbleiben. Deutschland muss IT-Weltmacht werden - und das pronto!", forderte Staudt. Bei der Entwicklung und dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) sei Deutschland seit Beginn der 90er Jahre hinter eine Reihe anderer Länder zurückgefallen, behauptete der IBM-Mann. "Während wir uns mit den ökonomischen Folgen der Wiedervereinigung und der Reformstau-Debatte beschäftigt haben, sind die USA, Großbritannien und die skandinavischen Länder an uns vorbeigezogen."

Auch Lothar Späth, derzeit noch Chef von Jenoptik, künftig möglicherweise Superminister im Kabinett Stoiber, schrieb ein Kapitel für das Buch und machte sich anlässlich der Vorstellung so seine Gedanken: "Nur wenn Deutschland massiv in die Ausbildung von Spezialisten für Schlüsseltechnologien investiert, kann es im globalen Wettbewerb bestehen", sagte Späth.

Es sei ein Fehler, sich an "nostalgischen Konzepten der Vergangenheit" zu orientieren. "Die Subventionierung wirtschaftlich erfolgloser Unternehmen, Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ohne investiven und nachhaltigen Charakter oder aber Lohnsenkungsstrategien gegen die Abwanderung deutscher Unternehmen ins Ausland helfen weder dem Bruttoinlandsprodukt noch dem Wirtschaftsstandort Deutschland."

Späth und Staudt beriefen sich auf einen Bericht der OECD, demzufolge der IuK-Sektor in den USA von 1995 bis 2000 einen Beitrag von durchschnittlich einem Prozentpunkt zum Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes geliefert habe. In Deutschland habe sich der Wert gerade einmal auf einen Viertel Prozentpunkt belaufen.

Staudt kritisierte das langsame Tempo, mit dem hierzulande Veränderungen herbeigeführt würden. Außerdem sei es fatal, dass in Deutschland das Internet nach dem Zusammenbruch der New Economy für tot gehalten werde. Damit werde die Veränderungskraft der "informationstechnischen Revolution" unterschätzt. Der Mangel an Veränderungsbereitschaft blockiere den technischen Fortschritt - und das sei in der gegenwärtigen Konjunktur äußerst gefährlich. "Wir befinden uns in einer Transformationsphase, in der alle gesellschaftlichen Sektoren von den neuen IuK-Technologien durchdrungen werden. Dadurch eröffnen sich ungeahnte Innovations- und Produktivitätsspielräume", erklärte Staudt. Diese Transformationsphase müsse in Deutschland genutzt werden, um international eine Spitzenposition zu erreichen.

Staudt wurde anlässlich der Buchpräsentation auch konkreter. Die Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung müssten in Deutschland so weit erhöht werden, dass man international auf Platz eins liege. Das gelte nicht nur für staatliche Forschungsbudgets, sondern auch für die Wirtschaft. Es sei Aufgabe der Politik, darauf hinzuwirken. Bildung und Ausbildung müssten im Mittelpunkt der politischen Debatte stehen - dazu zählten nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch die Medienkompetenz, die verstärkt vermittelt werden müsse. "Jeder Absolvent einer allgemeinbildenden Schule muss mit dem Abschlusszeugnis zugleich den Internet-Führerschein erwerben", forderte Staudt, der nicht nur der IBM, sondern auch der bundesweiten Initiative D21 vorsteht. (hv)