IBM-Bildungschef muss sich umstellen "Rechne mit einer Revolution in der Anwendungsentwicklung"

04.08.1995

Klassische DV-Schulungsanbieter wie die IBM-Bildungsgesellschaft stehen vor grossen Herausforderungen: Die bisherige Klientel der (System-)Programmierer nimmt ab, die neue, Mitarbeiter der Fachabteilungen, muss erst noch gewonnen werden. Zudem gilt es - im Zuge eines sparsameren Umgangs mit der Weiterbildung -, andere Trainingsformen auszuprobieren. IBM-Geschaeftsfuehrer Rolf Apitzsch erlaeutert im Gespraech mit CW-Redakteur Hans Koeniges, wie er die Perspektiven des Bildungsgeschaeftes beurteilt.

CW: Wie lange gibt es noch Grossrechnerspezialisten?

Apitzsch: Noch lange, aber in geringerer Zahl als in der Vergangenheit. Vor wenigen Jahren noch wurden zirka 200000 Menschen zum Betrieb der Mainframes bei unseren Kunden eingesetzt. Das aendert sich. Die mehreren tausend Mainframes wurden zum Teil von bis zu 150 Personen betreut. Heute sind diese Systeme immer groesser, stabiler und leistungsfaehiger geworden. Die Systemautomatisierung und die produktivitaetsfoerdernden Dienstleistungen haben zugenommen. Wer installiert denn heute noch ein MVS ohne System- oder Productpac? Die Unternehmen benoetigen hier oft nur noch eine Handvoll Beschaeftigte fuer den DV-Betrieb.

CW: Was passiert mit den restlichen Mitarbeitern?

Apitzsch: Die 30- bis 40jaehrigen Experten werden sicherlich nicht brotlos. Ihr DV-Wissen ist weiterhin gefragt - aber mehr prozessorientiert. Die Aelteren, aus den Anfaengen der DV, scheiden schon aus biologischen Gruenden in den naechsten Jahren aus den Betrieben aus. Nach hervorragender Aufbauarbeit, von der wir alle in den Unternehmen profitiert haben. Ich weiss, dass diese Antwort unbefriedigend ist, aber ich sehe ein ganz anderes Problem aufkommen.

CW: Welches?

Apitzsch: Ich rechne mit einer Revolution in der Anwendungsentwicklung. Wir reden jetzt nicht nur ueber Objektorientierung, sondern sie ist real. Was geschieht in dieser Situation mit den Hunderttausenden von Cobol-Programmierern? Ich will keine Angst verbreiten, aber die Fachabteilungen werden voraussichtlich in diese Aufgabe selber einsteigen oder zunehmend Standardsoftware einsetzen. Und damit aendert sich der Bedarf an klassischen Programmierern.

CW: Wie stellen Sie das fest?

Apitzsch: Ich brauche mir doch nur die Belegung der klassischen Kurse in der MVS-Umgebung anzuschauen. Der Rueckgang betraegt Jahr fuer Jahr rund 20 Prozent. Das haengt nicht damit zusammen, dass die Teilnehmer zur Konkurrenz abwandern oder die Lizenzen nicht mehr benoetigt werden, sondern damit, dass der Bedarf schrumpft. Ich habe frueher im technischen Aussendienst der IBM gearbeitet, und dort ging es vor allem um Systemautomation. Wir helfen dem Kunden durch unsere Serviceangebote, mit weniger DV-Personal auszukommen. Im Bildungswesen stelle ich nun fest, dass wir in der Automatisierung sehr erfolgreich waren - der Schulungsbedarf ist naemlich niedrig.

CW: Dafuer muessten Sie ja aber Ihre Kurse mit Mitarbeitern aus den Fachabteilungen voll bekommen.

Apitzsch: Ja, der Trend ist zu spueren. Ich gehe davon aus, dass wir in den naechsten fuenf Jahren auf breiter Basis DV-Fachwissen in vielen Berufen haben werden - und damit in den Fachabteilungen.

CW: Also jeder Sachbearbeiter ein kleiner DV-Experte?

Apitzsch: Na ja. Ich wuerde mich natuerlich freuen, wenn zum Beispiel eine Bank mit 1000 Instituten die gleiche Anzahl von LAN- Administratoren bei mir ausbilden moechte. Nur, die Realitaet sieht anders aus: Der Bankkaufmann muss nicht nur wissen, was ein Scheck und ein Wechsel ist, sondern er muss die Grundlagen der Informationsverarbeitung in seinem Metier beherrschen, aber nicht DV-Fachmann sein. Seine Qualifikation muss erweitert werden. Dies ist ein Thema, das wir mit anderen Anbietern in der Open Training Association (OTA) vorantreiben.

CW: Welche Rolle spielt fuer Sie das Thema Online-Lernen?

Apitzsch: Wir wollen bis Ende des Jahres Seminare ueber das Internet zur Verfuegung stellen. So kann sich dann jeder Mitarbeiter die Kurse an den Arbeitsplatz holen. Es ist einfach nicht wirtschaftlich, Ami Pro vier Stunden in Herrenberg fuer einen Teilnehmer aus Kiel zu unterrichten. Gehalts- und Reisekosten uebersteigen die Kursgebuehren um ein Mehrfaches.

CW: Welches sind die Alternativen?

Apitzsch: Unser Ziel muss sein, eine groessere Modularitaet beim Bildungsangebot zu erreichen, damit sich jeder zielgerichtet weiterbilden kann. Der Teilnehmer soll ein Angebot vorfinden mit Elementen des Selbststudiums, des Frontalunterrichts und des Computer Based Training.