Big Blue ergreift einen Strohhalm zur Rettung der Jumbos

HP will mit CICS-Migration in IBMs Mainframe-Welt eindringen

18.01.1991

In der zweiten Hälfte des Jahres 1993 werden nach einer Absichtserklärung von Hewlett-Packard und IBM Versionen des Transaktionsmonitors CICS auf den Systemen HP3000 und HP9000 verfügbar sein. Sie sollen auf dem kürzlich angekündigten Produkt CICS/6000 für das System RS/6000 beruhen, welches auf der Basis von OSF/DCE und Encina von Transarc implementiert ist. Es stellen sich in diesem Zusammenhang die Fragen, welche Ziele HP und IBM mit ihren Plänen verfolgen und welche Auswirkungen diese auf das Marktgeschehen haben werden.

CICS besitzt einerseits eine dominierende Stellung in der Transaktionsverarbeitung auf Mainframes, andererseits bröckelt durch den Trend zu offenen Systemen die Mainframe-Basis zunehmend ab. Unter diesen Umständen kann IBM nur die Doppelstrategie verfolgen, eine weitere Schwächung des Mainframe-Bestands zu verhindern, aber sich vorsorglich auch stärker im Bereich der offenen Systeme zu engagieren. Es handelt sich um eine Gratwanderung, die nur dann erfolgreich sein kann, wenn es gelingt, die Mainframes in die neuen Systemlandschaften einzugliedern, ohne dadurch weitere Ablösungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Auf CICS angewandt, kann die Strategie nur so aussehen, daß auf offenen Systemen eine Version angeboten wird, die auf der einen Seite den Anforderungen der neuen Architekturen entgegenkommt, auf der anderen Seite aber das überkommene äußere Erscheinungsbild weitgehend beibehält. Es soll zwar eine problemlose Kommunikation zwischen den verschiedenen CICS-Versionen gewährleistet sein. Eine Migration von Mainframe-Anwendungen auf offene Plattformen will IBM jedoch nicht fördern.

Offenheit heißt für IBM also unverändert, daß ein freier Zugang zu den Mainframes ermöglicht wird, diese aber in ihrer Position unangetastet bleiben. Die IBM hat HP lediglich zur Demonstration der angeblichen Offenheit und zur besseren Durchsetzung ihrer Strategie ins Boot genommen.

Abgesehen hiervon wäre es auch wenig erfolgversprechend, lediglich eine Eins-zu-eins-Portierung der Mainframe-Version von CICS anzubieten. Dies haben die geringen Erfolge verschiedener CICS-Nachbildungen gezeigt. Wenn der Wunsch besteht, die Mainframe-Welt zu verlassen und den Weg zu den offenen Systemen zu beschreiten, macht es wenig Sinn, etwas mitzunehmen, was in der neuen Umgebung nicht mehr benötigt wird und sogar im Widerspruch zu ihr steht. Schließlich liegen den heute bevorzugten Lösungen völlig andere, alternative Konzeptionen und Architekturen zugrunde.

Demzufolge beruhen die neuen Transaktionskonzepte von OSF/DCE und Encina auf dem Ansatz verteilter Verarbeitung mit Datenbank-Servern und Präsentations-Managern. Sie reichen für sich genommen aus, wenn der Anwender eine Unterstützung der Transaktionsverarbeitung benötigt. Eine weitere darüber liegende Schicht ist aus funktionalen Gründen nicht erforderlich. Sie kann vielmehr nur den Zweck haben, auch künftig Leute an sich zu binden, die es gewohnt sind, mit ihr zu arbeiten, und davon nicht abgehen wollen.

Zur Begründung der Vereinbarung mit IBM führt HP an, daß es damit Anwendern, die bereits mit IBM-Umgebungen vertraut seien, erleichtert werde, HP-Plattformen einzubinden. Die Flexibilität offener Systeme soll in die bewährte CICS-Welt integriert werden. Daneben läßt die HP durchblicken, daß sie anstrebt, mit Hilfe der geplanten CICS-Versionen Mainframe-Benutzer auf HP-Plattformen herüberzuziehen. Eine Portierung sei mit den neuen Produkten leicht durchzuführen.

Übereinstimmend mit IBM positioniert also HP die offenen Systeme mit den neuen CICS-Versionen als Satelliten-Rechner für CICS-Mainframe-Installationen. IBM will Kunden, die dezentrale Anwendungen auf RISC-Systemen entwickeln wollen, veranlassen, weiterhin CICS zu verwenden und den Mainframe als zentralen Datenspeicher zu benutzen. Durch eine Neutralisierung der RISC-Systeme möchte IBM den Mainframe-Bestand absichern.

Zur Demonstration der angeblichen Offenheit und besseren Durchsetzung der strategischen Linie hat Big Blue HP einbezogen. HP verspricht sich von der Beteiligung natürlich einen gewissen Marktanteil, wenn die IBM-Strategie erfolgreich ist. Das Augenmerk ist wohl auf solche Kunden gerichtet, die nicht allein IBM-Maschinen einsetzen wollen.

Da die Hauptstrategie von HP jedoch darauf ausgerichtet ist, Mainframes durch die eigenen Plattformen abzulösen, betrachtet HP die geplanten CICS-Versionen aber offensichtlich vor allem als geeignetes Migrationsmittel. Warum HP diese Meinung vertritt, ist nicht erkennbar und auch nicht nachvollziehbar, da die neuen CICS-Versionen eine Portierung keineswegs einfacher als bisher. Es bleiben viel zu viele Fragen ungelöst.

Eine CICS-Anwendung besteht bekanntlich nicht aus CICS allein, sondern auch aus Programmen, Masken, Daten, Jobs, Utilities und Subsystemen. Will man alle diese Komponenten unverändert übernehmen, ist in letzter Konsequenz die gesamte Umgebung des Ausgangsrechners auf dem Zielrechner zur Verfügung zu stehen. Auch wenn dies nicht beabsichtigt ist, verbleibt ein erheblicher Portierungsbedarf. Der Aufwand hierfür ist relativ hoch.

Wird die Migrationsproblematik aber durch eine weitgehende Nachbildung der Komponenten des Ausgangsrechners gelöst, ergeben sich neue Probleme. Die alte Welt des Ausgangsrechners auf dem Zielrechner festzuschreiben, erschwert die Wartung und Weiterentwicklung. Weiterhin stellt sich dann die Frage, wie eine Integration zwischen portierten und originären Anwendungen möglich ist.

Die Frage, welche Auswirkungen die Ankündigungen von IBM und HP auf das Marktgeschehen haben werden, ist sicherlich nur, schwer zu beantworten. Man muß von zwei gegenläufigen Strömungen ausgehen.

Einerseits werden viele Anwender, die bereits mit dem Gedanken spielten, auf offene Systeme zu wechseln, sich nun bestätigt fühlen und ihr Vorhaben beschleunigt in Angriff nehmen.

Andererseits werden Kunden, die sich nicht allzuweit von IBM entfernen wollen, nun abwarten, bis die neuen Produkte verfügbar sind und Erfahrungen mit ihnen vorliegen.

Vieles spricht dafür, daß sich diese Strömungen kompensieren werden. Keinen Einfluß dürften die Pläne von IBM und HP eigentlich auf solche Anwender haben, die sich aus der CICS-Welt lösen wollen. Sie werden ihre Applikationen direkt in die Welt der offenen Systeme konvertieren, sie hier gänzlich neu entwickeln oder durch Standardsoftware ersetzen wollen.