Hoffnungen und Grenzen der Informationsverarbeitung Heinz Zemanek

02.05.1980

Wenn die Hoffnungen, die in die Möglichkeiten einer Technologie gesetzt werden, übertrieben sind, dann sind auch die Ängste, die als Folge aus dieser Technologie-Anwendungen gesehen werden, übertrieben: In einem Symposium in Wien stutzte Prof. Dr. Heinz Zemanek, IBM-Fellow und einer der führenden Denker der Informations-Gesellschaft, die wohl auch unter Datenverarbeitern ins Kraut geschossenen Vorstellungen über das Werkzeug Computer auf die reale Größe dieses Tools zurück. Zemanek, selbst Apologet der "computerunterstützten Gesellschaft", zeigte vor allem die Grenzen der automatisierten Datenverarbeitung auf. Die COMPUTERWOCHE beginnt heute mit dem Abdruck seiner bemerkenswerten Gedanken die zugleich Anstoß geben, in welche Richtung sich die Datenverarbeitung in den Unternehmen entwickeln könnte.

Mit jeder Technologie werden Hoffnungen verknüpft Zu Recht. Denn jede Technologie ist dazu erdacht und soll dazu verwendet werden, um dem Menschen Mühe abzunehmen oder sie zu verringern, um mit fremder Kraft und fremder Energie Arbeit zu leisten, die ansonsten der Mensch selbst mit bloßen Händen oder primitiven Werkzeugen leisten mußte um Produkte hervorzubringen, die es ohne Technik nicht gäbe. Kraft und Geschwindigkeit werden bei Arbeit und Transport, aber auch bei vielen anderen Einrichtungen wie zum Beispiel Heizung oder Beleuchtung um Größenordnungen erhöht.

War die klassische Technik mit dem Ersatz der Muskelarbeit befaßt, so haben Regelungstechnik und Informationsverarbeitung auch noch den Ersatz der Nerven- und Gehirnarbeit in Angriff genommen. Der Automat, ein Traum der Menschheit nicht erst seit dem industriellen Zeitalter, sondern schon seit der Urzeit, Spielerei seit Renaissance und Barock, ist zum nutz- und gewinnbringenden Alltagsgerät geworden. Kein Wunder, daß das Ausmaß an Hoffnung, die man in die Technik setzt, alle Grenzen sprengte. Ein solches Übermaß aber bringt stets die Umkehrung mit sich. Wir beginnen das Fürchten vor der Technik zu lernen. Es ist festzustellen, daß die beiden Weltkriege, wahre Orgien der Kriegstechnik dem Ruf der Technik und der Hoffnung auf sie nicht besonders abträglich waren. Vermutlich, weil der anschließende Wiederaufbau den vollen technischen Einsatz verlangte. Erst nach drei Jahrzehnten relativ friedlichen Alltags beginnt man zu merken, wie sehr dieser von einer allgegenwärtigen und schier allmächtigen Technik erfüllt ist. Und man schickt sich an, von diversen Signalen und Erkenntnissen beunruhigt, dem Fortschritt auf die Finger zu schauen und sogar auf die Zehen zu treten.

Es kann bei diesem Vortrag nicht um das allgemeine Problem der modernen Technik gehen; soll die Argumentation nicht ins Unbewäligbare abgleiten, so muß sie sich in einem Vortrag der gegebenen Länge auf unser spezielles Fachgebiet beschränken auf die Informationsverarbeitung und selbst hier wird sie nur Blitzlichter sehr verschiedener Leuchtstärke und Tiefenwirkung vermitteln können. Auf der anderen Seite aber ist der Computer für die gesamte Technik unentbehrliches Werkzeug geworden, so daß indirekt doch von der gesamten Technik die Rede sein wird.

Die Informationsverarbeitung stellt die Wandlungen der Technik und ihrer Beurteilung besonders deutlich vor Augen. Aus dem exotischen Monster der Pionierzeit mit vielen Kilowatt Energieverbrauch scheint eine harmlose Armbanduhr mit Sonnenzellenantrieb geworden zu sein, die noch dazu spottbillig ist und das dennoch verspricht, alles Arbeiten und Denken abzunehmen. Aber eine Welt, so merken wir nun, in welcher alles Arbeiten und Denken abgeschafft wäre, ist gar nicht so heiter, wie man sich das vorgestellt hatte, als die Verwirklichung noch weit unter dem Horizont lag.

Was sucht und was treibt der Mensch in einer Welt ohne Arbeit und ohne Denken? Welche sozialen Spannungen und menschlichen Katastrophen stehen da bevor? Da es immer schwieriger wird, sich ein verläßliches Bild von der Zukunft zu verschaffen, liegt es nahe, dem allgemeinen Trend einer im Wohlstand lebenden Gesellschaft zu folgen und im Negativen zu schwelgen. Dies verführt manche Leute, eine gewisse berechtigte Angst bis zu einer Aggression gegen die Technik aufzubauschen.

Den extremen Aggressoren gegen die Technik muß zuerst einmal vor Augen gehalten werden, welchen Nutzen und welche Bequemlichkeit heute jedermann, die Aggressoren eingeschlossen, aus der Technik zieht, und wie gering die Bereitschaft ist - auch bei den Aggressoren-, auf den Nutzen und die Bequemlichkeit der Technik zu verzichten. Es wäre an dieser Stelle verlockend, die heutige Energiesituation aus diesem Winkel zu betrachten, denn was gestern der Energietechnik widerfuhr, kann morgen widerfuhr Informationstechnik passieren. Jede Polemik vermeidend, sei lediglich festgestellt, daß nicht gewonnen ist, wenn man eine Technik totstellt, aber die Sorge um Lösungsvarianten für den Bedarf oder die Einschränkung des Verbrauchs unbestimmten Anderen überläßt.

Wenn es also eine gewisse berechtigte Angst gibt, wohin uns die Fortführung der technischen Entwicklung bringen mag, dann hilft man sich am besten, indem man Hoffnungen und Grenzen, Annehmlichkeiten und Gefahren möglichst klar erkennt und ins Gleichgewicht zu bringen versucht.

Die Hoffnungen der

Informationsverarbeitung

Das Thema lautet daher: Zu welchen Hoffnungen berechtigt die Informationsverarbeitung? Und auf welche Grenzen muß geachtet werden, will man nicht in Schwierigkeiten geraten?

Auch wenn seine Möglichkeiten erheblich breiter sind, ist es vorläufig immer noch richtig, daß der Computer vorwiegend eine Rechenmaschine ist, und wir dürfen berechtigt erwarten, daß uns der Computer Rechenaufgaben steigender Größe zu sinkenden Kosten abnimmt. Unter Größe der Rechenaufgabe kann die Zahl der Schritte gemeint sein, die zur Lösung eines einzelnen Problems erforderlich sind- das ist der Typus der wissenschaftlichen Berechnung - oder es kann um relativ einfache Probleme gehen, aber in sehr großer Anzahl das ist der Typus der kommerziellen Datenverarbeitung. Derartige Unterscheidungen verschwinden übrigens immer mehr, die Felder gehen ineinander über. Und die Kombination von Verarbeitungs- und Speicherkraft, die Flexibilität und Universalität der Computerstrukturen sowie die Möglichkeit, von formalen Texten ohne Widerstand, zumindest ohne sofort merklichen Widerstand auf Texte in natürlichen Sprachen überzugehen, machen den Computer zu einem wesentlich allgemeineren Werkzeug als eine Rechenmaschine, nämlich zum universellen Zeichenverarbeitungsautomaten.

Wird fortgesetzt