Folge 5

Hoffnungen und Grenzen der Informationsverarbeitung

30.05.1980

Grundsätzlich ist der Algorithmus eine endlich lange logische Vorschrift, deren Befolgung durch Mensch oder Computer zur korrekten Lösung einer Zeichenverarbeitungsaufgabe führt, und zwar genügt ein Algorithmus für eine potentiell unendlich große Klasse von Aufgaben. Das Standardbeispiel ist der Algorithmus, der uns in der Volksschule für die Multiplikation beigebracht wurde und mit dem wir zwei beliebig lange Zahlen multiplizieren können; die Begrenzung ist durch Zeit, Geduld und Sinn der Ausführung gegeben, nicht aber durch die Stellenzahl. Das ist die Grundsituation der algorithmischen Programmierung. Wo eine solche algorithmische Vorgangsweise möglich ist, wird man aus zahlreichen Gründen nach ihr greifen.

Was man leider nie genau weiß, ist, ob die Formulierung fehlerfrei gelungen ist. Daher ist es naheliegend, nach einem Korrektheitsbeweis zu streben - ein sehr aktuelles Arbeitsgebiet. Es ist aber nicht nur evident, daß die Korrektheit des Korrektheitsbeweises des Beweises bedarf, daß man also grundsätzlich vor einer unendlichen Reihe von Beweisverfahren steht - es sei denn, man fände einen sich selbst beweisenden Beweis -, sondern es hat sich stets gezeigt, daß die Beweislänge die Länge des Bewiesenen um eine Größenordnung übertrifft. Es ist also nicht nur eine unendliche Reihe, es ist eine unendliche Reihe mit stark steigenden Elementen.

Nur darf man deswegen aber nicht meinen, daß die Programmierung, wie wir sie benützen, aus diesem Grund eine unsichere, von Fehlern überwucherte Sache sei. Vielmehr haben wir soeben den Versuch betrachtet, die Wahrscheinlichkeit eines unbemerkten Fehlers völlig zu Null zu machen. Für praktische Sicherheit genügen im allgemeinen Fallprüfung und Prüfungsfälle; man erreicht damit eine weit höhere Sicherheit als in den meisten anderen Situationen der Technik und des Lebens. Daß man hinsichtlich der Fehlereinsicht beim Computer so ungewöhnlich kritisch ist, erklärt sich aus der Tatsache, daß hier Milliarden von Schritten in Bruchteilen von Sekunden ohne jede direkte Beaufsichtigungsmöglichkeit ablaufen.

Es sei nochmals betont, daß hohe Korrektheit in mathematischen, in formalen Strukturen erreicht werden kann, daß aber informale, natürliche Sprache in erster Annäherung die für den Computer geforderte Korrektheit ganz schlicht nicht bietet. Man lasse sich da nicht von jenen irreführenden Beispielen beeindrucken, wo der natursprachliche Text deswegen so klar ist, weil dem Sprecher wie dem Hörer eine zugrundeliegende formale Struktur so vertraut ist, daß beide auf gleichen Bahnen denken. Man darf auch nicht vergessen, das die Entwicklung der so fehlersicheren mathematischen Formalsprache mindestens 200 Jahre gedauert hat. Wir profitieren beim mathematischen Computerbetrieb von den Anstrengungen vieler Generationen von Mathematikern und Logikern. Wenn manche Leute so tun, als wäre der Dialog mit dem Computer in natürlicher Sprache nur eine Frage relativ geringen Programmieraufwandes, dann wissen sie nur wenig über das Wesen des Programmierens und noch viel weniger über das Wesen der Sprache.

Nun ist natürlich richtig, daß nicht in allen Fällen die rigorose Vorgangsweise algorithmischer Methodik erforderlich ist. Zwar kann sich der Computer nur algorithmisch benehmen, das heißt, er wird auf das Programm in perfekter Regelbefolgung reagieren, aber es braucht in unkritischen Fällen die Klasse der Aufgabe, die der Algorithmus überdeckt, nicht vollständig mit der Klasse identisch sein, die der Programmierer hingeschrieben hat. Erst die Anwendung zeigt, ob die fehlende Strenge zu Schwierigkeiten führt oder nicht.

Je mehr allerdings das Anwendungsfeld von numerischen Beziehungen zu sprachlichen übergeht, je mehr die Datenverarbeitung zur Textverarbeitung wird, um so weniger Algorithmen findet man von der Algebra vorbereitet und um so schwieriger wird es, die Korrektheit des Programms abzuschätzen und die Erhaltung der Bedeutung von Wörtern und Begriffen über die Gesamtanwendung hinweg zu gewährleisten. Solange eine einzige Person Daten einfüllt, mit guter Kenntnis des Systems programmiert und dann das Ergebnis selbst benützt, ist die Situation relativ unkritisch. Sobald aber, wie das heute überwiegend der Fall ist, zahlreiche Personen, organisierte Teams oder auch zufällig verteilte Einzelpersonen, die wenig gemeinsam haben, an allen drei Stufen beteiligt sind, kann Arges passieren.

Eine kurze Überlegung zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit, Schwachstellen oder Fehler in einer Anwendung zu finden, mit der Zahl der Benutzungen zu tun hat. Dies setzt den Großhersteller und Großanwender in einen gewissen Vorteil. Hier folgt der Computer - ein innerlich immer größer werdendes Gerät - dem heute allgemeinen Trend zur Ballung und zum Großsystem. Wo es den gegenläufigen Trend zur Zersplitterung und zum Kleinsystem gibt, ist die Gefahr der Unwirtschaftlichkeit und der Desorientierung beträchtlich. Es hilft nicht, sich über diese Fakten hinwegzutäuschen, und es besteht kein Grund dazu. Denn der Vorteil der Großen ist auf gewisse Aspekte beschränkt. Er bedeutet nicht, daß der Kleine keine Chancen hätte. "Small is beautiful" ist mehr als ein erfolgreicher Buchtitel, es könnte zu einem Lebensstil werden, und der Computer ist ein Hilfsmittel dazu. Weise verwendet, kann der Computer nämlich kleine Existenzen aller Art fördern, unterstützen und zu einer stabilen Schicht im Wirtschaftsleben machen. Regierungen, die dem kleinen Mann helfen wollen, hätten hier ein vielversprechendes Feld; was erforderlich wäre, sind nämlich Gesetze, welche den erforderlichen Flankenschutz geben.

Auf keinen Fall bedeutet der Vorteil, der aus der Großtechnologie der Informationsverarbeitung für Großstrukturen resultiert, daß kleine Staaten wie Österreich und kleine Unternehmen auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung verringerte Chancen hätten - ganz im Gegenteil. Das entpersönlichte Großsystem braucht den individuellen Service als Gegengewicht und dem Trend zur Allgemeinlösung muß die Bemühung um die spezielle Lösung gegenüberstehen und entgegenwirken. Der Kleine muß nur herausfinden, wo er gegen den Großen seine Chancen hat. Das wird zum Beispiel dort sein, wo gezielte Qualität eingesetzt werden kann. Ein ausgeglichener Zustand, in welchem sich Groß und Klein ergänzen und beide Seiten ihre Vorteile und ihren Nutzen haben, ist erreichbar und liegt nicht erst in ferner Zukunft.

Die Hoffnungen der Anwendung sind völlig legitim und über weite Bereiche ist die gleiche märchenhafte Erfüllung wie bei den Hoffnungen auf die Halbleitertechnik zu erwarten. Freilich nicht mehr so beschwingt und so unkritisch wie in der Pionierzeit. Die ökonomischen Bedingungen machen sich immer härter bemerkbar, und Illusionen entlarven sich sehr rasch. Die Hardware ist in diesen Dingen schon immer sehr hart gewesen. Man muß sie sich zum Beispiel nehmen - und nicht nur in diesem Aspekt.

Wird fortgesetzt