Ein Kommentar zur Situation in der Supercomputer-Szene

High Performance Computing in Deutschland: Quo vadis

13.03.1992

Daß Elektronik, Informations- und Kommunikationstechnologie eine Schlüsselrolle für unsere Volkswirtschaft spielen, davon muß heute niemand mehr überzeugt werden. Anders sieht es schon aus, wenn wir vom High Performance Computing sprechen.

Obwohl Europa 25 Prozent und die Bundesrepublik acht Prozent der weltweit installierten Supercomputer der obersten Leistungsklasse im Einsatz haben und damit mit den USA und Japan durchaus konkurrieren können, stammen alle diese Systeme nicht aus Europa. Die Situation der europäischen Hersteller im allgemeinen und der deutschen insbesondere ist auf diesem Gebiet ziemlich trostlos. Die Konsequenz davon ist, daß die derzeit auf Gebieten wie Umwelt- und Klimaforschung, Strömungs- und Strukturmechanik, Quantenchromodynamik, Chemie- und Molekularbiologie (noch) führende deutsche Forschung hoffnungslos ins Hintertreffen zu geraten droht, da die Abhängigkeit von leistungsfähigen Supercomputern immer größer wird. Diese Supercomputer wandern als Prototypen zunächst in das jeweilige Herstellerland USA beziehungsweise Japan und erst mit Verzögerung nach Europa.

Die Zukunft sieht nicht rosig aus: Während die USA bereits voll bei der Umsetzung ihres High Performance Computing and Communications Programms mit einer Milliarde US-Dollar pro Jahr und damit bestens gerüstet sind für die sogenannten Grand Challenges der 90er Jahre - wie zum Beispiel DNA-Modellierung, Modellierung der Luftverschmutzung, Simulation von Supraleitern -, hat man die Situation in Europa zwar erkannt, wie der Rubbia Report von 1991 beweist, die bekannt langen Wege der europäischen Entscheidungsfindung lassen jedoch befürchten, daß man wie so oft hinterherhecheln wird.

Wir können uns daher in Deutschland nicht allein auf die EG verlassen, sondern müssen jetzt selbst die Initiative ergreifen.

Das in Bonn im Dezember 1991 vom BMFT veranstaltete Symposium über High Performance Scientific Computing versammelte zwar 120 Experten dieses Gebiets zur Standortbestimmung, man ging aber auseinander in der Gewißheit, daß so schnell nichts passieren wird. Brisante Themen, die im Interesse der weiteren Vorgehensweise der Aufarbeitung bedurft hätten, wurden ausgeklammert: die Analyse des Mißerfolgs von Suprenum oder die Positionierung des einzigen deutschen - darüber hinaus erfolgreichen Supercomputerherstellers Parsytec.

Nimmt man die Etablierung einer deutschen Höchstleistungsrechnerindustrie - im Rahmen Europas - ernst, dann kommt man jetzt an Parsytec nicht vorbei: Parsytec ist seit 1985 gut im Paralleirechner-Geschäft, liegt mit seiner GC-Architektur-Linie genau im Trend der von allen Experten als am aussichtsreichsten apostrophierten Architektur für Rechner oberhalb der 100 bis 2000 Gflops-Leistung und hat jetzt eine faire Chance verdient - in unser aller Interesse. Natürlich hat auch Parsytec - und damit Anwender dieser Systeme mit all den immensen Softwareproblemen zu kämpfen, die quasi mit der MIND-Architektur bei verteiltem Speicher erkauft werden müssen.

Eine ganz konkrete - der amerikanischen Strategie nicht unähnliche - Vorgehensweise zur Förderung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit wäre:

- Parsytec sucht, eventuell unter jetzigen Kunden, Anwendergruppen aus dem Hochschul- und Forschungsbereich, die bereit sind, ihre Anwendungen in Zusammenarbeit mit Parsytec auf die GC-Serie zu portieren,

-Das BMFT spendiert 20 Prozent (zirka 40 Millionen Mark) der für Suprenum aufgewendeten Mittel zum Kauf eines etwa 4000-Knoten-Rechners im Bereich von 100 Gflops Leistung (diese Leistung werden auch zunächst die leistungsfähigsten CM5- und Intel-Paragon-Rechner erbringen),

- Kunden, Parsytec und BMFT vereinbaren bei erfolgreichen Pilottests die Hochrüstung auf einen Teraflops-Rechner auf Non-profit-Basis.

Dieser Vorschlag könnte dem jetzigen dringenden Handlungsbedarf unter Minimierung der Risiken voll gerecht werden und mit der Realisierung zu einem Zeitpunkt präsent sein, zu dem auch die USA mit ihren CM5- und Paragon-Rechnern bei Pilotkunden reüssieren werden. Selbstbewußtsein, Entscheidungsfreude, Pioniergeist, sicherlich auch eine gewisse Risikobereitschaft und sehr viel Arbeit müßten allerdings von allen Beteiligten erbracht werden. Viel Zeit bleibt nicht mehr, der Countdown läuft.