Interview

"Hierarchielosigkeit ist das Erfolgsrezept"

24.10.1997

CW: Rund ein Jahr nach dem Verkauf von Compunet an den General-Electrics-(GE-)Konzern scheiden Sie nun aus dem Unternehmen aus. Warum?

Stollmann: In Zukunft steht die Integration von Compunet in die GE-Welt an. Das ist eine Aufgabe, die ich für Deutschland bei meinem Vorstandskollegen Hans-Dieter Koch gut aufgehoben sehe. Ich möchte andere Wege gehen, ein neues Unternehmen gründen. Für den Ausbau des europäischen IT-Servicegeschäfts innerhalb von GE Capital Services haben wir mit Michael Ford einen ausgezeichneten Mann. Er ist der Vordenker und Architekt unseres Geschäfts.

CW: Warum haben Sie Compunet vor gut einem Jahr an GE verkauft?

Stollmann: Meine Gesellschafterkollegen und ich verfolgten eine Internationalisierungsstrategie, weil wir im Großkundensegment tätig sind. GE liefert neben Kapitalkraft auch die Fähigkeit, globale Geschäfte aufzubauen. Unsere Intentionen reichten also über die reine Wachstumsfinanzierung hinaus.

CW: GE Capital Services, der neue Besitzer von Compunet, ist eigentlich ein Finanzdienstleister und hat wenig Erfahrungen mit IT-Services.

Stollmann: Der Mutterkonzern bekennt sich ganz klar zum IT-Servicemarkt. GE ist seit vielen Jahren im Electronic-Commerce-Geschäft, über die Tochter General Electrics Information Systems. Dort hat man sich jetzt sehr stark auf das Internet-Business eingelassen. Außerdem ist GE Eigentümer des Medienkonzerns NBC, hat also Zugriff auf interessante Netzinhalte. Ferner ist GE über Tochtergesellschaften im Satellitengeschäft sowie im RZ- und Desktop-Services-Business.

CW: Ist die Motivation bei Ihren Führungskräften nach der Eingliederung in den Weltkonzern noch dieselbe wie zu den Gründerzeiten?

Stollmann: Die Compunet-Kultur lebt innerhalb der GE-Welt weiter. Die meisten Kollegen haben die Internationalität und die gesteigerten Bewegungsmöglichkeiten innerhalb eines solchen Weltkonzerns positiv aufgenommen. Wir hatten in unserem ersten gemeinsamen Jahr so gut wie keine Fluktuation in der Führungsriege.

CW: Die Unternehmenskultur von Compunet gilt als ungewöhnlich. Was haben Sie anders gemacht als Ihre Wettbewerber?

Stollmann: Ein Element ist extreme Hierarchiearmut, wenn nicht schon fast Hierarchielosigkeit. Das führt zu stark vernetzten Strukturen. Die Hierarchiefreiheit berührt alle Menschen in unserer Organisation und gibt ihnen Freiräume. Daher auch das Partnermodell, mit dem wir uns an den sehr großen Beratungshäusern orientiert haben.

Ein anderes Erfolgsrezept sind die unternehmerischen Anreizmodelle: niedrige Fixgehälter und hohe Leistungskomponenten im Sinne von Profitbeteiligung. Wichtig ist auch die völlig offene Kommunikationslandschaft. Es gibt keine Organisations-Charts mit Kästchen und Pfeilen. Wir haben eine informelle, flexible Organisation aufgebaut.

Geschlossene Türen finden Sie bei uns nicht, wir hassen Abteilungen. Somit kommunizieren alle quer, durcheinander und direkt. Alles ist vernetzt, alle setzen modernste, extrem anspruchsvolle Technik ein. Wir investieren sehr viel Geld in Ausbildung, Arbeitsumgebung und Technik.

CW: Compunets rasantes Wachstum fiel in die Zeit des Client-Server-Computing. Unternehmen haben Schwierigkeiten mit diesem Paradigma, vor allem das System-Management macht ihnen zu schaffen. Haben Sie von den Nöten dieser Anwender profitiert?

Stollmann: Ganz eindeutig. Wir sind mit der PC-Revolution groß geworden. In dem Chaos, das diese Technik verursacht hat, haben wir gut gelebt. Im Moment investieren wir stark in die Bereiche Large Server, All Area Networking sowie in technisches und betriebswirtschaftliches Asset-Management. Eine Organisation wie unsere muß bei technischen und organisatorischen Entwicklungen immer eine Nasenlänge voraus sein können. Die Produkte selber sind uninteressant geworden, viel wichtiger ist der Betrieb, die Unterstützung von Geschäftsprozessen.

CW: Was haben Sie nach dem Ausstieg bei Compunet vor?

Stollmann: Ich habe 13 Jahre konzentriert bei Compunet gearbeitet. Jetzt möchte ich durchatmen. Als nächstes interessiert mich die Frage: Wie kann ich junge Menschen fit machen für das nächste Jahrtausend? Die alten Konzepte für Wissens- und Fähigkeitserwerb haben ausgedient. Ich möchte Ideen sammeln und hören, wer dazu etwas beitragen kann. Dann werde ich daraus ein neues Unternehmenskonzept machen.