Posix-Schnittstelle in MPEIX öffnet die HP 3000

Hewlett-Packards "Supersache" braucht heute (noch) kaum einer

21.02.1992

MÜNCHEN - Hewlett-Packard versieht das Dauerläufer-Betriebssystem MPE für die HP 3000 mit einer Programmschnittstelle nach Posix-Standard. Über den so eröffneten Zugang zu Programmen aus der Unix-Welt sind viele Anwender erfreut, umgehend nutzen wollen ihn jedoch nur die wenigsten.

"Einfach super" findet Franz-Jörg Wulf, DV-Chef der Emsa-Werke im westfälischen Emsdetten, was Hewlett-Packard ihm für seine HP 3000 angekündigt hat. Das Betriebssystem MPE/XL wird erweitert und künftig MPE/IX genannt. Wulf hat in diesem Titel sogleich ausgemacht, was da Neues kommt: die Unix-Welt.

Hewlett-Packard führt im hauseigenen Betriebssystem die international anerkannte offene Schnittstelle Posix ein. Am alten System soll sich dadurch nichts ändern. Zwischen dem Betriebssystem und der Anwendung gibt es neben der MPE- auch noch die Posix-Programmschnittstelle.

Die alten MPE-Programme laufen wie zuvor über das MPE-Interface, und via Posix läßt sich jede Software aus der Unix-Welt auf die HP 3000 bringen - jedenfalls solche Programme, die ihrerseits präzise den Posix-Spezifikationen entsprechen, was nicht immer der Fall ist. Für die Anpassung wird ein Tool benötigt, das HP als Posix-Entwicklungsumgebung ebenfalls anbietet: Das "Developer Release" ist seit Dezember vergangenen Jahres für Softwarehäuser verfügbar, ein "End User Release" soll im Juni dieses Jahres erscheinen.

In den Adelsstand der offenen Systeme

Die Öffnung der HP-3000-Umgebung zur Unix-Welt hat sich während der letzten Jahre langsam entwickelt (vergleiche Grafik auf Seite 33). 1989 wurden mit ANSI-Sprachkonventionen, Oracle, TCP/IP und IBM Services verbreitete Standards eingeführt. 1990 stand unter dem Zeichen der PC-Integration. Auch die 1991 hinzugekommenen Client-Server-Produkte lassen erkennen, was in der DV-Branche beherrschendes Thema war.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Mit Posix werden unter anderem Microfocus Cobol, Berkley Sockets und NFS eingeführt. Danach folgen die Entsprechung zum Distributed Transaction Processing, welche die X/Open bis Ende 1992 definiert haben will, sowie die von der Open Software Foundation (OSF) eingebrachten Interoperabilitätsstandards DCE und DME. Bis Mitte nächsten Jahres möchte HP alle Tests erfolgreich absolviert haben, und mit dem Base Branding", dem Gütezeichen der X/Open für Übereinstimmung mit Standards, gewissermaßen in den Adelsstand der offenen Systeme erhoben zu werden.

Zunächst hat Hewlett-Packard schon einmal die Familie 3000 umgetauft, das System heißt jetzt "Open HP 3000". Anderswo mögen Namensänderungen Unruhe und Unsicherheiten bei den Anwendern auslösen, HP braucht solche Sorgen anscheinend nicht zu haben. Jedenfalls ist in Umfragen bei den Anwendern Beunruhigung nicht zu spüren.

Hans-Dieter Grey, Vorsitzender der "HP Computer Benutzergruppe", sah in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE (siehe Interview in diesem Special) keinen Grund zur Besorgnis. Vor Jahren sei der Übergang von MPE5 auf MPE/XL reibungslos verlaufen, und jetzt komme mit MPE/IX nichts anderes als MPE/XL plus Posix.

Der Grund für das Vertrauen liegt wohl der in allenthalben spürbaren Zufriedenheit der Kunden mit ihrem Lieferanten. Vom Anwenderverein wird lobend hervorgehoben, HP habe MPE über 20 Jahre kontinuierlich weiterentwickelt, statt wie beispielsweise IBM - durch mehrere neue Betriebssystem-Familien die User auf ungewisse Pfade zu schicken.

Noch langer Pflege kaum noch Fehler in MPE

Nach solch langer Zeit Betriebssystem-Pflege weise MPE kaum noch Fehler auf, es sei derart stabil, daß selbst kapitale Bedienungsfehler nicht zu Katastrophen führten, berichtet Peter Herpich, DV-Leiter der Lindauer Dornier GmbH, Hersteller von Textilmaschinen und Folienreckanlagen. Seine Wertung ist klar: "Das Betriebssystem und die Hardware sind super!"

Herpich vertraut darauf, daß es HP mit der Posix-Schnittstelle jetzt wieder eine saubere Sache einführt und keine proprietären Haken und Ösen den Standard gefährden, wie es bedauerlich oft geschehe. "HP verspricht nicht was, die machens", meint Herpich. Im Eigeninteresse möge der Computerhersteller dafür Sorge tragen, "daß der Posix-Standard in der DV-Industrie auch sauber eingehalten wird".

Der DV-Chef der Lindauer Dornier glaubt, schon sehr bald die Posix-Schnittstelle nutzen zu können. Über sie könnte eine enge Verbindung zu CAD-Systemen von Digital Equipment hergestellt und die DV-Integration zu den computergestützten Teilen der Produktion vertieft werden. Interesse hat Herpich auch an der Einführung eines relationalen Datenbanksystems aus der Unix-Welt.

Unter ganz anderen Gesichtspunkten, aber ebenfalls positiv wird die MPE-Öffnung bei der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) bewertet. Ihr Geschäftsführer Klaus Eichhorn will "erheblichen Nutzen" aus der Posix-Programmschnittstelle ziehen, die ihm "sehr entgegenkommt". Denn die AKDB entwickelt Software für Gemeindeverwaltungen, Krankenhäuser etc., bei denen die Einhaltung anerkannter Standards für offene Systeme quasi Gesetz ist. HP habe "Entscheidungsfreiheiten erweitert" und die Sicherung von Investitionen ermöglicht.

Es gehe nicht nur um Investitionssicherung und eine bessere Auswahl aus einer größeren Softwarepalette, ergänzt Paul Blum, DV-Leiter beim Landratsamt München. "Daß die Vorzüge dieses bedienerfreundlichen Systems erhalten bleiben, ist eine ideale Sache."

Offenbar sind große Kundenkreise von Hewlett-Packard so zufrieden mit HP 3000 und MP/XL, daß sie die Öffnung dieser proprietären Welt zwar prinzipiell begrüßen, die neuen Möglichkeiten aber nicht umgehend ausschöpfen wollen. "Das System wird unseren Anforderungen gerecht", äußert sich Peter Opitz, DV-Verantwortlicher beim Hamburger Unternehmen Lehmann & Voss. "Unix brauchen wir im Prinzip nicht." Der Weg über die Posix-Schnittstelle komme erst dann in Frage, wenn in der Zukunft neue Anforderungen nur mit Unix-Anwendungen zu erfüllen seien.

Lieber abwarten und die praktischen Erfahrungen anderer auswerten möchte Wolfgang Wacke, Leiter Informatik bei der Ratinger Keramag - Keramische Werke AG. "Ich traue dem Braten nicht so ganz." Er befürchtet, Unix-Applikationen, besonders relationale Datenbanken, könnten schlechtes Performance-Verhalten zeigen.

Ein Sturm der Entrüstung wegen "Turbo-Image"

Und gerade in puncto Datenbank-Performance schwören die HP-3000-Anwender allesamt auf ihr "Turbo-Image". An diesem hierarchischen Datenbanksystem darf nicht gerüttelt werden. Als HP vor zwei Jahren Turbo-Image als "nicht strategisches Produkt" zurückstufte und damit dessen Weiterentwicklung gefährdet war, brach ein Sturm der Entrüstung aus, Unterschriften wurden gesammelt, es hagelte Beschwerden bei HP.

Auf der letzten HP-User-Tagung berichtete Wolfgang Matt von der Industrieanlagenbetriebsgesellschaft (IABG) in Ottobrunn von einem Erfolg. "Die Reaktion von HP erfolgte prompt: Es wurde zugesichert, daß Turbo-Image weiterentwickelt und bis ins nächste Jahrtausend gepflegt wird." Den Grund für den Aufstand nannte Matt auch: "Trotz aller Bemühungen, die relationale Datenbank "Allbase" zu beschleunigen, ist Turbo-Image weiterhin die schnellste Datenbank auf der HP 3000."

Aber die Hoffnung des IABG-Informatikers, ein Turbo-Image für Unix könnte Gestalt annehmen, wird sich vorerst nicht erfüllen.

Dabei bestätigte Thomas Lacker, Open Systems Program Manager im Europa-Marketing-Center von Hewlett-Packard, Böblingen, auf Anfrage, der Gedanke, die Posix-Schnittstelle in umgekehrter Richtung für eine Portierung von MPE-Software auf andere Systeme zu nutzen, sei naheliegend und das sei technisch möglich. "Das ist ja der Clou an der Sache!"

Die Vorteile der HP 3000 in der Hand behalten

Allerdings werde HP das nicht machen, "denn wir gehen davon aus", meinte Lacker, "daß bei den Anwendern dazu keine Notwendigkeit besteht". Er befürchtet bei einer Portierung Geschwindigkeitsverluste. "Wir wären schlecht beraten, wenn wir die Vorteile der HP 3000 aus der Hand geben würden."

Lacker rät den Anwendern zu einer anderen Vorgehensweise: "Das Alte behalten und beim Neuen auf Standards setzen!" Wenn zum Beispiel von der Datenbank mehr Flexibilität gefordert sei, liege ohnehin eher eine relationale Datenbank, ein Angebot aus dem Unix-Feld, nahe.

Genauso will es Wulf von Emsa halten, der bisher "mit meiner proprietären Welt ganz zufrieden" ist. "Was braucht man eine relationale Datenbank für Fibu?" Aber wenn er demnächst statistische Auswertungen betreiben müßte, würde er auf die Posix-Schnittstelle zurückkommen und sich eine relationale Unix-Datenbank zulegen.