Talsohle scheint durchschritten

Halbleiterhersteller vorsichtig optimistisch

08.02.2002
MÜNCHEN (jm) - Die Halbleiterindustrie hat im Jahr 2001 dramatische Einbrüche erlebt. Die Unternehmen entließen Zehntausende von Mitarbeitern, die schwierige Wirtschaftslage zwingt ehemalige Konkurrenten zur Kooperation. Doch erste Hoffnungsschimmer tauchen auf.

Am Dienstag, den 22. Januar 2002, trat Ulrich Schumacher nicht im Motorsport-Outfit an wie noch beim Börsengang seines Unternehmens in Frankfurt am Main. Seinerzeit war er im Porsche vor der Deutschen Börse vorgefahren. Als der Chef der Siemens-Tochter Infineon auf der Hauptversammlung in München ans Rednerpult trat, waren ihm allerdings die lockeren Sprüchen abhanden gekommen, für die er als jüngstes Vorstandsmitglied des größten Elektronikkonzerns Deutschlands bekannt geworden war.

Stattdessen wurde er, wie das in Bayern so schön heisst, abgewatscht von Daniela Bergdolt von der deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Ob denn das Management, also vor allem Schumacher, in der Krise wirklich rechtzeitig gehandelt habe? Habe die Führungscrew sich nicht doch von der Börseneuphorie blenden lassen? Wie konnte das Unternehmen noch Mitarbeiter einstellen, als man hinter verschlossenen Türen schon Restrukturierungsmaßnahmen ausarbeitete? Dieser Frage nahmen sich auch die IG Metall und die Belegschaftsvertreter mit einigem Ingrimm an.

Dann wurde Bergdolt massiv: Das Infineon-Management habe versucht, den Aktionären "Sand in die Augen zu streuen". Das böse Wort von der Täuschung der Anleger fiel. Und spätestens da war klar, dass Schumacher das Image des rennfahrenden Unternehmensführers nicht in jeder Lebenslage dienlich ist.

Die Münchner Szene warf ein bezeichnendes Licht auf die weltweite Lage der Halbleiterindustrie zu Beginn des Jahrs 2002: Die Stimmung ist rauer geworden. Die Leichtigkeit des Seins, die das Wirtschaften der Halbleiterhersteller noch vor zwei Jahre kennzeichnete, ist gewichen. Jetzt geht es um nackte existenzielle Fragen.

Die Situation der Halbleiterhersteller ist derart prekär geworden, dass einige Wettbewerber sich nur mehr durch Kooperationen mit Konkurrenten absichern zu können glauben. Infineon hatte noch im November 2001 mit Toshiba Verhandlungen über eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von DRAM-Speichern geführt. Kurz darauf wurden die Gespräche ergebnislos abgebrochen. Toshiba, immerhin bis dato weltweit zweitgrößter Chiphersteller, gab daraufhin den Rückzug aus der Produktion von DRAM-Bausteinen bekannt. Die Produktion in den USA verkauften die Japaner an den US-Konkurrenten Micron Technology Inc.

Husten und LungenentzündungToshiba war nicht der einzige Semiconductor-Anbieter, der notgedrungen verschlanken musste. Fujitsu Ltd., größter japanischer Computerhersteller, erwartet für den weltweiten Halbleitermarkt im laufenden Jahr keine Trendwende zum Besseren. Die Chipproduktion im US-Bundesstaat Oregon hat das Unternehmen im Zuge von Sanierungsmaßnahmen deshalb bereits aufgegeben.

Jetzt steht Infineon mit dem südkoreanischen Konkurrenten Hynix Semiconductor in Verhandlungen. Die beiden Unternehmen wollen bei der Produktion von DRAM-Speicherbausteinen zusammenarbeiten, sagte Schumacher der japanischen Zeitung "Nihon Keizai Shimbun". Er könne sich eine Kooperation in Form eines Joint Ventures vorstellen.

Allerdings scheint der angeschlagene südkoreanische Hersteller zu pokern: Bekannt ist, dass er auch seit längerem mit dem US-Halbleiterhersteller Micron Technology wegen einer möglichen Übernahme verhandelt. Die Gläubigerbank von Hynix präferiert eine Übernahme durch Micron, die Übernahme ist aber offensichtlich bislang am veranschlagten Kaufpreis gescheitert. Der soll bei 3,6 Milliarden Dollar liegen.

In Anlehnung an einen bekannten Spruch ließe sich die Lage der Halbleiterindustrie auch so beschreiben: Husten die IT- und TK-Unternehmen, dann hat die Chipindustrie bereits eine Lungenentzündung. Die Umsatzrückgänge und Verluste der Computerhersteller in den vergangenen zwölf Monaten sind sattsam bekannt. Aber auch in der Automobilindustrie, ebenfalls einem großen Chipabnehmer, kriselt es erheblich: Opel entlässt 2500 Mitarbeiter, Daimler-Chrysler trennt sich gar von 37 700 Angestellten. Tausende von Mitarbeitern entließen auch die Großabnehmer aus der TK-Ausrüsterbranche wie etwa Lucent (60000), Nortel (50000), Epcos (2400), Ericsson (22000), Motorola (39000). In der Folge mussten Unternehmen aus dem Halbleitersegment selbst zu drastischen Mitteln greifen und ihre Belegschaften ebenfalls erheblich reduzieren: Infineon setzt 5000 Mitarbeiter vor die Tür, Toshiba gleich 18800, NEC 14400.

Was sagen die Experten?Wie dramatisch sich die Ausgangslage für die Halbleiterindustrie schon im letzten Quartal 2000 verändert hat, zeigen ein paar wenige Zahlen: Laut Angaben von Gartner-Dataquest sanken die weltweiten Kapitalausgaben im Halbleitermarkt von rund 63 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf etwas mehr als 40 Milliarden Dollar. Das amerikanische Handelsministerium verzeichnete zwischen 1995 und Mitte 2000 eine permanent gestiegene Zahl an in den USA produzierten Elektronikbausteinen. Ende 2000 stürzte die Produktion um 30 Prozent ab. Die Nachfrage nach Chipherstellungs-Equipment aus Japan lag im November 2001 um 86 Prozent unter dem Vorjahreswert. Die Nachfrage ist im elften Monat in Folge gefallen.

Trotzdem sieht die Semiconductor Industry Association (SIA) Licht am Ende des Tunnels: Sie prognostiziert für die kommenden Jahre bis 2004 eine durchschnittliche jährliche Steigerungsrate für die gesamte Halbleitersparte von 7,9 Prozent. Demnach würde der Markt von 140 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf geschätzte 210 Milliarden Dollar im Jahr 2004 wachsen.

Nach Einschätzung der SIA wird der Markt für DRAM-Bausteine eine jährliche Steigerungsrate von 7,3 Prozent erleben, für Flash-Speicher gar von 21,9 Prozent. Bei den analogen (10,4 Prozent) und optoelektronischen Bausteinen (13,7 Prozent) werden die durchschnittlichen Wachstumsraten ebenfalls recht ordentlich ausfallen. Diskrete Elemente stagnieren in der Entwicklung bis 2004 hingegen etwas (3,6 Prozent). Die Märkte für MOS-, Logik- und Microcontroller-Bausteine sowie für Digital Signal Processors (DSP) werden jeweils im unteren zweistelligen Bereich wachsen.

Gartner-Dataquest schreibt, das Jahr 2001 dürfte als das katastrophalste in die Geschichte der Halbleiterbranche eingehen. Der Markt sei wegen der nachlassenden Nachfrage aus den unterschiedlichen Industriesegmenten von 227 Milliarden auf rund 152 Milliarden Dollar abgestürzt. Die Umsätze der zehn größten Halbleiterhersteller weltweit fielen im abgelaufenen Jahr im Vergleich zu den vorausgegangenen zwölf Monaten zwischen 20 (STMicroelectronics) und 50 (NEC) Prozent.

Am schlimmsten erwischte es NEC. Allerdings hängt der Absturz der Japaner, die von Position drei der weltgrößten Halbleiterhersteller auf Rang sechs fielen, auch mit einer Umschichtung von deren DRAM-Umsätzen auf das Joint Venture Elpida zusammen, in dem NEC gemeinsam mit Hitachi DRAMs produziert.

Schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden auch Micron und Hynix, die beide großenteils auf den DRAM-Markt bauten. Dort aber sanken die Umsätze im vergangenen Jahr um rund 60 Prozent. Microns weltweit erwirtschaftete Umsätze brachen 2001 im Vergleich zu 2000 um 61,2 Prozent ein.

IBM - Verlierer und trotzdem KlassenbesterIBM, weltweit auf Rang elf der Semiconductor-Hersteller, lieferte im abgelaufenen Jahr das mit Abstand beste Ergebnis im Halbleitersegment ab - sofern man bei einem Umsatzrückgang von 7,7 Prozent von einem positiven Ergebnis sprechen kann. Im Vergleich zur gesamten restlichen Branche fällt dieses Resultat aber positiv aus dem Rahmen. Auch AMD kam 2001 noch vergleichsweise glimpflich davon, konnte sogar Intel ein wenig von dessen dominierendem Marktanteil bei Mikroprozessoren abnehmen und verlor 16 Prozent vom Umsatz im Vergleich zum Jahr 2000 - immerhin nur rund halb so viel wie der Branchendurchschnitt.

Wie die SIA geht auch Gartner-Dataquest davon aus, dass 2002 und die folgenden Jahre für die Halbleiterindustrie einen in Maßen positiven Trend aufzeigen wird. Die Unternehmen, die in diesem Branchensegment miteinander konkurrieren, müssten allerdings genau prüfen, ob ihre finanzielle Substanz für ein langfristiges Engagement ausreicht.

Laut Gartner haben japanische Anbieter am stärksten unter wirtschaftlichen Problemen zu leiden: Den asiatisch-pazifischen Raum trifft nicht nur die weltweite rezessive Stimmung, die auch die USA und Europa erleben. Insbesondere die japanischen Halbleiterhersteller sind zudem von einem heftigen und langfristigen wirtschaftlichen Abschwung im eigenen Land betroffen. Fujitsu, NEC und Toshiba haben außer mit der Rezession auch mit landesspezifischen Problemen, etwa einer hohen Verschuldung des japanischen Haushalts und einer stagnierenden Wirtschaft zu kämpfen. Der japanische Yen hat gegenüber dem US-Dollar allein im Jahr 2001 um 12,6 Prozent an Wert verloren.

Amerikanische Halbleiterhersteller sehen nach der Einschätzung von Gartner einer ungewissen Zukunft entgegen: Mittelfristig dürften diese Firmen ihr Interesse auf die Industriesegmente Militär, Sicherheit und biomedizinische Anwendungen richten. Langfristig jedoch werden sich die größten Marktpotenziale wieder aus den Bereichen Datenverarbeitung und Kommunikation ziehen lassen - den in der Vergangenheit am stärksten gebeutelten Segmenten der Halbleiterbranche.

Allgemein gelte, so Gartner, dass auch das laufende Jahr von einer weiteren Konsolidierung der Chipbranche gekennzeichnet sein dürfte. Aber wenn auch 2001 das bislang schlimmste Jahr für die Branche war, sieht Gartner doch, dass Unternehmen künftig in Technologien wie drahtlose Kommunikation über Wide Area Networks (WANs) beziehungsweise allgemeiner über drahtlose Netze investieren. Auch könne man Impulse erwarten von Technologien wie Bluetooth. Diese dürften sich in den kommenden fünf Jahren als Wachstumstreiber herauskristallisieren, schätzen die Analysten. Es bestehe also trotz der grimmigen Wirtschaftslage der Vergangenheit Anlass zu vorsichtigem Optimismus.

Während der Elektronikindustrieverband ZVEI eine "nur langsam in Gang kommende Verbesserung" erwartet, teilen die Marktanalysten von CIBC World Markets Corp. den Optimismus von Gartner. Sie sehen für die Halbleiterindustrie in diesem Jahr ein Umsatzwachstum von fünf Prozent voraus. Kommendes Jahr würden die Erträge gar um 20 Prozent und 2004 um 25 Prozent steigen.Grund für den Optimismus für 2002 sei, dass die Produktbereiche Mikroprozessoren, DRAM- und Flash-Speicher sowie Digital Signal Processor Anzeichen eines Wiedererstarkens zeigen würden.

In der Tat begaben sich die Preise für Speicherchips seit November 2001 auf einen Steigflug und verdreifachten sich. So kosteten SDRAM-Chips im Herbst des vergangenen Jahres noch 17, mittlerweile aber bereits wieder 54 Dollar.

Als Indiz für eine positive Marktentwicklung darf auch der aussagekräftige Philadelphia Semiconductor Index gelten. In diesem sind 16 Chiphersteller und Ausrüster aus der Halbleiterindustrie berücksichtigt. Seit September 2001 ist der Index um 60 Prozent gestiegen. Und auch der Welt größter Auftragsfertiger, Taiwan Semiconductor Manufacturing, sieht Anfang dieses Jahres klare Anzeichen für eine positive Trendwende. Die letzten drei Monate des abgelaufenen Jahres seien deutlich besser ausgefallen als noch das Quartal zuvor. TSM geht davon aus, dass sich dieser Anstieg in den kommenden Quartalen fortsetzen wird. Insbesondere das PC- und Elektroniksegment lebe stark auf, sagt TSM. Zudem dürfte in der zweiten Hälfte 2002 der Handy-Markt wieder anziehen, ab 2003 dann der gesamte Netzmarkt.

Infineon-Chef Schumacher hält denn auch die "schlimmste Phase der Rezession im Halbleitermarkt" für beendet. Allerdings erkennt er noch "keine klaren Signale für eine nachhaltige Erholung des Gesamtmarktes". Mit den in nächster Zeit in das Unternehmen eingeschossenen Kapitalmitteln durch die erstmals genehmigten Wandelanleihen kann Schumacher auch halbwegs gelassen in die Zukunft und vielleicht auch Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt wieder in die Augen sehen.

Abb: Die weltweit größten Halbleiterhersteller

Das schlimmste Jahr hat die Halbleiterbranche 2001 hinter sich gebracht. Fast alle Experten sehen aber bereits Licht am Ende des Tunnels. Quelle: Gartner Dataquest