Mit System-Modellen statt mit Begriffs-Konstruktionen handeln

Grünes Licht von der Führung für den Funktionsträger Mensch

20.11.1987

Unbeliebt macht sich, wer bei der Diskussion anstehender Informations-Probleme nicht bei der modischen Sprachregelung (Informations Management) mitzieht, pointiert Edmund Schwarz aus Frankfurt. - Der langjährige DV-Experte ruft indes das System-Management in Erinnerung: "Benennen wir in verständlicher Sprache aktuelle und künftige Teilprobleme der DV und beschreiben dazu Lösungsansätze - mit Blick auf den Funktionsträger Mensch."

Da gibt es seit einiger Zeit einen Begriff. Er steht hier und da gedruckt, und man fragt sich, was soll er bedeuten? Wo kommt er her? Brauchen wir ihn?

Wer behauptet, daß der Begriff Informations-Management (Info-Management) definitiver Willkür entspringt, macht sich wohl nicht beliebt bei jenen, die ihn hemmungslos benutzen. Doch wer ihn benutzt, der muß sich eine Menge Fragen gefallen lassen.

Was ist Info-Management? Wir müssen feststellen, daß es bisher keine allgemein gültige und anerkannte Erklärung gibt, die noch dazu verständlich wäre. Es werden zu diesem Schlagwort die unterschiedlichsten Bemerkungen und Darstellungen geboten, wie etwa:

- Aufbau einer schlagkräftigen Informationsstruktur im Unternehmen,

- Durchdringung des Unternehmens mit Informationssystemen,

- Lexikon des Unternehmens,

- wichtiger als Kapital und Arbeit,

- Strategieentwicklung für Datenverarbeitung,

- Leitlinien für Informationsverarbeitung,

- Erfolgsfaktor in Wirtschaft und Verwaltung.

Grundlegende Zusammenhänge

Wenn man sich der Mühe unterzieht und sich mit einigen der gebotenen Darstellungen näher auseinandersetzt, findet man nicht selten absurde Aussagen. Da ist beispielsweise zu lesen: Informations-Management besitzt sicher die Dimension von Management der Informationen und Information des Managements; oder: Die informationstechnologische Renovierung findet im Gerüst und in den Mauern einer schon aufgebauten Datenverarbeitungsorganisation und einer eingefahrenen Tradition statt.

Man muß jedoch fair sein und bemerken, daß es einige recht interessante und sicherlich auch wichtige Abhandlungen über DV-Probleme unter dem Schlagwort "Informations-Management" gibt. Aber warum nur dieses Mäntelchen? Wo liegen wohl die Gründe für dieses kuriose Geschehen?

Wir müssen uns an einige grundlegende Zusammenhänge erinnern, um Absonderlichkeiten zu erkennen und danach ganz sachlich Feststellungen zu treffen.

- Physikalische Phänomene gab es schon immer. Nur die Kenntnis davon und deren Bedeutung für sein Leben hat sich beim Menschen gewandelt beziehungsweise entwickelt.

- Information hat etwas mit dem Menschen zu tun - das heißt, mit dessen jeweiliger Befähigung, Daten oder Signale aufzunehmen und auch vor allem damit, dem Erfaßten dann irgend einen Sinn zu geben. Wenn die letzte Bedingung nicht erfüllt ist, ergeben Daten nur "Strich - Strich - Punkt" (oder "bla bla bla"). Information ist keine absolute Größe, sondern nur im Zusammenhang mit Interpretation oder Wirkung zu verstehen.

- Zur Information gehört also ein Gegenstück - und das ist die Funktion. Beide sind an sich immateriell. Ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrer Bindung an Informationsträger beziehungsweise Funktionsträger und deren wechselseitige Beziehung.

- Management sollte bisher heißen, Menschen und Mittel erfolgreich einzusetzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wobei als Managementfunktionen hauptsächlich genannt wurden: Zielsetzung, Planung, Organisation, Leitung, Auswertung (Kontrolle).

So weit - so gut. Nun wollen wir versuchen, mehr oder weniger im Rahmen von Systemmodellen, unsere Gedanken fortzuführen. Wir müssen feststellen:

- Wenn das zu "Informationen" und "Funktionen" Gesagte stimmt, dann wären Informationen nicht einmal die eine Seite der betrachteten Gesamtheit, beispielsweise eines Betriebes.

- Man kann zur Bedeutung der Informationen nichts sagen, wenn man nicht zugleich möglichst genaue Aussagen über die sonstige betriebliche Substanz macht oder die Kenntnis davon voraussetzt.

- In einen Betrieb werden Funktionsträger, Energien und Materialien eingebracht, damit man dort arbeiten kann. Mehr nicht! Informationen sind an Energien, Materialien oder auch Funktionsträger gebunden. Sie gewinnen nur dann eine betriebliche Bedeutung, wenn sie von betrieblichen Funktionsträgern verwendet werden können oder sonstigen Einfluß auf deren Wirken haben.

- Jede Art von Management muß sich jeweils um die gesamte Substanz eines betroffenen Bereiches kümmern, also um alle Elemente und deren Zusammenwirken. Es geht für den betrachteten Bereich eben um alles.

Um nun dahinterzukommen, worin eigentlich wesentliche Ursachen dafür liegen, daß sich mit dem Aufkommen der preiswerten Mikrocomputer und mit den neuen Möglichkeiten der technischen Kommunikation so viele Herausforderungen für Organisatoren und Manager ergeben, kann ebenfalls eine schlichte Erinnerung hilfreich sein. Ursprünglich bedeutete DV, daß einzelne Aufgabenkomplexe reduziert wurden und Teilaufgaben in einem zentral installierten Rechner abgewickelt wurden (siehe Schema in Bild 1).

Was ist nun so neu? Mit dem Mikrocomputer wird den Arbeitsstellen nicht mehr etwas genommen, sondern gegeben. Was da gegeben wird, ist jedoch nicht oder nicht nur neue Information, sondern es sind vor allem Funktionsträger (siehe Schema in Bild 2). Und diese neuen zusätzlichen Funktionsträger können nur in Verbindung mit dem Funktionsträger Mensch erfolgreich zum Einsatz gebracht werden.

Damit stehen wir vor vielen neuen und umfangreichen Aufgaben für das Management. Zwar steht diese Einsicht ganz im Gegensatz zu dem Werbeslogan der Hersteller "Alles ist kinderleicht", die eben neuartige Massenprodukte an den Mann bringen wollen, doch selbst wenn noch so viele Schüler bereits frühzeitig lernen, mit dem Computer umzugehen, das heißt, Bilder, Töne, Texte und Bewegungen zu erzeugen, sind die neuen Herausforderungen damit nicht bewältigt.

Das große und vielseitige Funktionsträgerangebot will erst einmal für den Betrieb entdeckt sein. Es muß dann damit betriebliche Substanz geschaffen werden durch Erwerb, Entwicklung und Anpassung. Die Substanz muß verfügbar gemacht werden. Es ist neu zu registrieren, zu sichern, anzubieten, zu integrieren und zu übergeben. Selbst wenn die neue Substanz dann ideale Merkmale besitzt, wie überschaubare Funktionalität, verständliche Benutzerführung, integrierte Prüf- und Kontrollfunktionen, einfache Anbindungsmöglichkeiten im komplexen Bereichen etc., bleiben noch immer einige große Herausforderungen für das Management.

Die Problemstellung wird am eindrucksvollsten verständlich mit Hilfe einer Vision, Stellen wir uns vor, man bekäme für den gesamten Betrieb über Nacht eine ideale Computer- und Kommunikationstechnologie geschenkt und installiert. Dann müßten wir uns wieder an die Menschen erinnern. Was tun? Mit gewissen Erfahrungen oder mit einiger Phantasie wäre festzustellen, daß wir im Hinblick auf Menschen vor ganz neuen Verteilungsproblemen und Verknüpfungsaufgaben stehen. Es geht um die Verteilung von:

- Datenvorräten und Informationen,

- Funktionsangeboten,

- betrieblichen Abläufen,

- Kompetenzen und Verantwortlichkeiten.

Was wir zur Bewältigung dieser Aufgaben brauchen, ist Transparenz. Wie kann man die für das Management erforderliche Transparenz realisieren, ohne gleichzeitig die betriebliche Existenz zu gefährden? Neue Konzepte und Maßnahmen für die Verwaltung und den Schutz der betrieblichen Substanz und die Sicherung der betrieblichen Abläufe sind gefragt. Nach welchen Kriterien können neue Abgrenzungen und Zuordungen vorgenommen werden und unter welchen Bedingungen lassen sich neue Prozeduren zwangsläufig gewährleisten, wenn wir die neuen Technologien nutzen wollen?

Gefragt sind also neue Konzepte und Modelle. Und es muß eine intensive Beteiligung des Managements geben, denn ohne das Management lassen sich die zweifellos gegebenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekte der komplexen Herausforderung wohl kaum zielstrebig angehen. Die jeweils gefundenen Lösungen werden sich schließlich nicht einfach übertragen lassen, denn Unternehmensziele und Betriebsgröße bieten doch unübersehbare Rahmenbedingungen.

Angesichts dieser Umstände und Aussichten bleibt zu sagen: Informations-Management ist eigentlich nichts. Mit diesem Mäntelchen wird niemandem gedient - auch nicht den DV-Fachleuten, denn man verschleiert damit nur die komplexe Problematik und verhindert unter Umständen, daß vom Management rechtzeitig genug aktuelle Herausforderungen und, mit Mut und Phantasie, die neuen Aufgaben erkannt werden.

Benennen wir doch lieber mit verständlicher Sprache aktuelle und zukünftige Teilprogramme der Datenverarbeitung und beschreiben dazu Lösungsansätze. Das sind Schritte in Richtung auf Transparenz der Systeme - und eben diese ist für Gestaltungsaufgaben eine wichtige Voraussetzung. Das Management muß die Führung bei den neuen gestalterischen Aufgaben übernehmen. Allein mit der Budgetfreigabe zur Beschaffung von PCs und zur Verlegung von Kabeln ist noch nichts erreicht. Informations-Management ist nichts - System-Management ist alles.