Grüne Wiese wird Realität

03.05.1991

Was offen ist, ist austauschbar - solch unverblümte Wahrheiten sollte der Open-Systems-Spezialist eines renommierten DV-Marktforschungsunternehmens lieber nicht aussprechen, schließlich sind die Computerhersteller seine besten Kunden. Der verfängliche Satz stammt von Tom Tiefenbrunner, Director European Strategies for Open Systems bei der International Data Corporation (siehe Seite 1). Gemeint ist, daß in einer Wettbewerbssituation, die aus der Sicht des Anwenders Vergleichbarkeit der Hardware- und Software-Angebote ermöglicht, künftig immer mehr die Qualität der Beratung entscheidet - ätzend wird die Aussage dadurch, daß Tiefenbrunner den Ausweg kennt, auch wenn er ihn an dieser Stelle nicht offen benennt: Er heißt "Shake-out in der DV-Industrie" - viele Anbieter im Bereich offener Systeme werden den "Bankruptcy Gap" nicht überstehen. Hier haben wir eine Erklärung dafür, daß die Hersteller mit mehreren Zungen reden, wenn es um Interoperabilität und Portabilität geht.

Sind die Fronten im Prinzip geklärt, was die Herstellerseite betrifft ("Offene Systeme ein Muß" - auch dies eine Tiefenbrunner-These), so läßt das Bild des Open-Systems-Users nach wie vor keine rechte Kontur erkennen. Laut IDC wissen viele Anwender nicht, worin die Vorteile von offenen Systemen liegen. Es ergänzt sich aufs beste: Während Hersteller wie Unisys, Bull oder SNI, die sich gezwungenermaßen mittlerweile zu offenen Systemen bekennen, mit Verlusten Schlagzeilen machen, kann die IBM für das proprietäre System AS/400 Umsatzrekorde melden. Anders gesagt: Noch braucht kein DV-Leiter an einer IBM-Anlage Angst um seinen Job zu haben, Big Blue wird schon dafür sorgen, daß er Erfolg hat.

Oder sollte so etwas der Chefredakteur einer DV-Fachzeitung mit Blick auf den Abonnentenstamm besser nicht schreiben? Schließlich will die CW ein anwenderorientiertes Blatt sein. Indes Proprietät und Wirtschaftlichkeit schließen sich laut Tiefenbrunner aus - erst offene Systeme böten die freie Wahl der DV-Mittel und damit Investitionsschutz sowie die Option, Systeme unter Nutzung der neuesten Informationstechnologie beliebig auszubauen. Daß nur offene Systeme diese Chancen eröffnen, ist unbestritten. Und doch: An der Vermutung scheint etwas dran zu sein, gerade "lnvestitionsschutz", was nämlich die vorhandenen Anwendungen auf proprietären Systemen anlangt, diene den meisten DV-Managern als Alibi. "Natürlich sind wir offen", wird beteuert, "aber auf der grünen Wiese befinden wir uns nun mal nicht."

Wenn wir dies in handfestes Deutsch übersetzen, dann heißt das: Es wird zu einem Shake-out bei den DV-Verantwortlichen kommen. Was Tiefenbrunner recht ist, soll uns billig sein: Das meinen wir auch so. Zur Beruhigung: Es bleiben genug übrig.