Großrechner als Datenbank-Rear-End-Maschinen

08.10.1976

Mit Dipl.-Ing. Engelbert Weber, Leiter der Hauptabteilung

Datenverarbeitung bei der Deutschen Lufthansa AG. sprach CW-Chefredakteur

Dr. Gerhard Maurer

Schlagwort: Realtime-Dinosaurier. Die Effizienz in großen Online-Systemen geht zurück, je größer die Zahl der Terminals wird. So wie das erste Terminal das teuerste ist, werden auch ab einer gewissen Grenze zusätzliche Terminals, bezogen auf die Effizienz des Systems, sehr teuer. Würden Sie dem zustimmen?

Realtime-Systeme bestehen aus einer Vielzahl von Elementen, die aufeinander abzustimmen sind, um das Optimum an Wirtschaftlichkeit zu erzielen. Wir bei der Lufthansa haben die Erfahrung gemacht, daß der Einsatz von Hardware- und Software-Monitoren deutlich aufzeigt, an welcher Stelle das schwächste Glied der Kette zu verstärken ist.

- An Ihrem Realtime-Reservierungssystem - dort stehen im Zentrum drei Univac-Großrechner 494 - hängen heute über 1800 Datenstationen. Ist die Grenze erreicht, wo es nicht mehr weitergeht?

Es ist eindeutig festzustellen, daß wir diese Grenze erreicht haben. Das gilt sowohl für die Zahl der an das Hauptsystem anzuschließenden Datenübertragungsleitungen wie auch für die Zahl der über die angeschlossenen Terminals abzuwickelnden Transaktionen.

- Ihre drei Univac-Großrechner sind bereits in der Maximal-Konfiguration ausgestattet. Es ist bekannt, daß für das Lufthansa-Reservierunssystem zwei Rechner im Master-Slave-Verfahren arbeiten und ein dritter als Stand-By-Rechner installiert ist. Ein vierter nachgeschalteter Rechner würde also nichts bringen. Was werden Sie nun tun?

Als nächste Maßnahme ist eine Leistungssteigerung des Netzwerkes geplant. Wir wollen im Netz programmierbare Konzentratoren installieren, um damit erstens die Übertragungsleistung auf den vorhandenen Leitungen zu erhöhen und zweitens die Zentraleinheiten von vielen Verwaltungsfunktionen für das flächendeckende Netzwerk zu entlasten.

- Das heißt, die Zentralrechner für das Flugreservierungssystem werden zu dedizierten Maschinen, ausschließlich für transaktionsorientierte Verarbeitung.

Ja. Wir wollen darüber hinaus noch einen Schritt weitergehen Neben der Installation von Netzknotenrechnern in peripheren Installationsorten wollen wir die heute vorhandenen, zentralen EDV-Anlagen dafür einsetzen, in Frankfurt ausschließlich Netzwerkverwaltungsfunktionen auszuüben. Die verabeitungsintensiven Aufgaben sollen dann nachgeschalteten, sogenannten Rear-End-Rechnern übertragen werden. Das ist unser Konzept für die 80er Jahre, denn leider gibt es bei der Lufthansa bezogen auf die anliegenden Realtime-Aufgaben, Anforderungen, die von keinem einzelnen Computersystem in der Welt zur Zeit bewältigt werden können. Deshalb ergibt sich für uns das Erfordernis, die Verarbeitungsfunktionen von den Übertragungsfunktionen zu trennen - wobei diese Trennung so geschehen soll, daß die Verarbeitung auf beliebig viele Rechner, gleich welchen Herstellers, übertragen werden kann.

Wie beurteilen Sie die vieldiskutierten Dezentralisierungs-Tendenzen aufgrund der preislich zunehmenden Attraktivität der Minicomputer?

Der Minicomputer hat durch seinen günstigen Preis Anwendungsbereiche erschlossen, für die herkömmliche Rechnerkonfiguration bisher wirtschaftlich nicht eingesetzt werden konnte. Dies gilt neben dem dezentralen isolierten Einsatz zur Bewältigung lokal begrenzter Aufgaben geringer Komplexität insbesondere für die Anwendung als sogenannte Vorverarbeiter in größeren EDV-Systemen. In höheren Entwicklungsstufen sind bei uns dezentral installierte intelligente Terminals verschiedener Art über Minicomputer als sogenannte Vorverarbeitungs-Netzknoten oder Verbund-Rechner mit großen Zentralrechnern bereits direkt verbunden und führen diese Aufgaben arbeitsteilig aus.

- Davon ausgehend: Wie sieht denn die Gesamt-EDV-Konzeption der Lufthansa für die Zukunft aus?

Bei der Lufthansa ist die Konzeption der Datenverarbeitung wesentlich durch die Tatsache bestimmt, daß für eine Reihe wichtiger Aufgaben, wie bereits erwähnt, Datenbanken und Dateien erforderlich sind, die zur Bereithaltung jederzeit richtiger und einheitlicher Informationen für den Abruf durch viele dezentrale Endverbraucher nur zentral geführt und verwaltet werden können. Hinzu kommt die Notwendigkeit von kurzen Zugriffs- und Verarbeitungzeiten bei hohem Daten-Durchsatz. Diese Anforderungen lassen sich, wirtschaftlich nur auf leistungsstarken Großsystemen lösen, an die Terminals in den Fachbereichen angeschlossen sind.

- Das heißt, Verteilung der Intelligenz wird bei Ihnen nicht zur Entmachtung der Großsysteme führen?

Nein, eine Entmachtung der Großrechnersysteme und der mit ihnen beschäftigten Mitarbeiter wird nicht stattfinden. Zwar werden wir mehr und mehr Mini- beziehungsweise innerhalb der intelligenten Datenterminals auch Mikro-Computer einsetzen, ohne jedoch dabei die Funktion und die Bedeutung der zentral geführten Datenbanken in den Großrechner-Systemen zu schmälern.

Dipl.-Ing. Engelbert Weber, 41, studierte in Stuttgart Maschinenbau. 1959 ging er als Beratungsingenieur zu Daimler-Benz und 1961 als Operations-Research-Fachmann zur Deutschen Lufthansa. 1964 übernahm Weber dort die Abteilung Systemanalyse und Programmierung. 1967 wurde ihm die Verantwortung für die gesamte LH-Datenverarbeitung übertragen

(heutiger Personalstand, ohne Datenerfassung: 450 Mitarbeiter). Wichtigste heute installierte Systeme sind drei Univac 494-Großrechner (mit über 1800 Terminals) vornehmlich für Reservierung und Verkauf und zwei IBM 376/158 (mit über 200 Terminals) für den Bereich Technik.