Geräte mit Internet-Anschluß

Grenzenlose Web-enabled Fantasy

29.08.1997

Die Aussichten des Desktops als Vehikel für einen Online-Massenmarkt sind tatsächlich nicht besonders gut: für Laien zu kompliziert, zu teuer und zu groß, für das klassische Wohnzimmer schlicht ungeeignet. Um so einleuchtender, daß Analysten Geräten der Konsumelektronik, etwa einem TV-Gerät oder Personal Digital Assistant (PDA), größere Chancen einräumen. Und tatsächlich werden bereits Fernsehgeräte, Spielekonsolen, Set-top-Boxen, Telefone, Pager, PDAs und Handheld-Computer mit Web-Funktionalität ausgestattet. Unternehmen wie Bandai Digital Entertainment, Web-TV oder Thomson haben schon erste Produkte - Spielkonsolen und Set-Top-Boxen - auf den Markt gebracht. Auch für die Internationale Funkausstellung in Berlin sind entsprechende Tools angekündigt.

Daß Web-enabling, also das Ausstatten eines elektronischen Geräts mit Web-Funktionalität, keine Zukunftsmusik ist, zeigt ein Projekt, das derzeit in Chicago läuft. Hier steht auf einer Tankstelle die erste Web-fähige Zapfsäule. An ihr kann der Reisende nicht nur Benzin tanken, sondern über einen Touchscreen auch Straßenkarten der Umgebung, Verkehrslage und Wetterbericht abrufen und ausdrucken, Bankgeschäfte tätigen sowie telefonieren.

Auch McDonald's ist bereits auf diesen Zug aufgesprungen und integriert eine derartige Zapfsäule jetzt in sein Corporate Marketing. Auf Knopfdruck können Kunden an der Zapfsäule ihre Burger-Bestellung aufgeben, die in der Tankstelle zubereitet wird. Daß in diesem Markt Geschäfte zu machen sind, demonstrieren auch die Big Player der IT-Branche: Microsoft kaufte Web TV, Oracle griff nach Navio, und kürzlich zog Sun mit Diba nach.

Konsumelektronik im weitesten Sinn ist aber nur ein Teil des Themas. Der Zugriff auf das Internet über Devices läßt sich auf viele Bereiche - auch des täglichen Lebens - ausdehnen und wie folgt kategorisieren:

-Business-Productivity: PCs, Workstations, Netzcomputer, Kioske, Router, Hubs, Firewalls, Drucker, Kopierer, Faxgeräte etc.

-Konsumelektronik: Fernsehgeräte, Spielekonsolen, Set-top-Boxen, Telefone, Pager, PDAs, Handheld-Computer etc.

-Industrie und Produktion: Autos, Zapfsäulen, Industrieausrüstung, Industriesteuerung, medizinische Geräte etc.

Einer der Visionäre in Sachen Web-enabling von Devices als der Technologie, die das Web zum Massenmedium machen könnte, war beispielsweise Spyglass. Der heutige Anbieter begann vor zwei Jahren mit der Entwicklung von Softwarekomponenten, basierend auf der gleichen Web-Technologie wie Web-Browser und Web-Server.

Als einer der Trendsetter gab das Unternehmen den Startschuß für die Entwicklung von mittlerweile über 200 Web-fähigen Produkten - TV-Geräte, Set-top-Boxen, Netzwerkcomputer, um nur einige zu nennen.

Standardisierte Routinen fehlen

nternet-Service-Provider, Telefon- und Kabelgesellschaften, Hersteller von Internet-working Hardware, Mobilfunkanbieter und große Unternehmen, die Device-Connectivity und Infrastruktur-Services anbieten, sind die Adressaten, für die Web-enabling interessant ist. Ausschlaggebend ist für diese Unternehmen aber nicht nur die Technologie, auch die Dienstleistungen, die bei der Implementierung helfen, rücken ins Blickfeld.

Grundsätzlich sind der Web-enabling-Fantasie keine Grenzen gesetzt. Einziges Problem ist allerdings, daß die einzelnen Devices in Bauart, Anwendung oder Größe sehr verschieden sind. Die Implementierung der Web-Technologie kann daher keinen standardisierten Routinen folgen, sondern muß maßgeschneidert werden. Außerdem sieht sie sich mit folgenden Problemen konfrontiert:

-Desktop-Browser und Server sind zu "fat" für Devices.

-Web-Inhalte orientieren sich an den Display-Fähigkeiten eines Desktop.

-Eine effektive Internet-Per- formance erfordert Verbesserungen.

Sieht man sich Internet-Access-Devices näher an, so decken sie hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und ihres Memory-Bedarfs ein breites Spektrum ab. Konstanten eines typischen Desktop-PCs sind: ein hoch auflösendes Display, 16 MB RAM, eine Festplatte und ein Pentium-Prozessor. Telefone verfügen dagegen nur über ein LC-Display mit einer Auflösung von 100 x 200 Bildpunkten, unter 1 MB RAM, einen kleinen lokalen Speicher und eine sehr begrenzte Prozessorleistung. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich die meisten Devices.

Für Web-enabling heißt das, daß bei Devices mit genügend CPU, RAM und Display-Fähigkeiten ein schlanker Web-Browser direkt auf dem Device laufen kann. Andere Geräte wiederum haben streng limitierte Ressourcen und können keinen Embedded Web-Browser unterstützen. Wichtig ist daher Device-unabhängige Software, die "embedded" auf dem Device läuft und auf der Browser- und Server-Seite mit standardisierter Funktionalität arbeiten. Zu beachten ist, daß viele dieser Non-PC-Devices für spezielle Zwecke und Applikationen konzipiert wurden. Aus diesem Grund haben sie eine ziemlich fixe Ressourcen- und Kostenstruktur und bieten für Variationen wenig Spielraum. Für ein Massenprodukt bedeutet das, daß für den Zugriff auf Web-Inhalte weder Original-Content noch Device-Software - was besonders kostspielig wäre - zu verändern sind.

Das vielfältige Hardware-Angebot sollte jedoch den Blick auf die Software nicht verstellen. Gab es vor ein paar Jahren nur Text und Bilder, bietet der Markt jetzt Java Applets, Shockwave Animation, Active X Control, Audio und Video. Und damit kam die High-Tech-Maschinerie "Software, Speicher, Performance" in Gang: Web-Inhalte erfordern Hochleistungs-Browser und diese wiederum High-end-PCs und höhere Bandbreiten.

In der Folge wurden Browser zunehmend größer, erhielten immer mehr Funktionen und erforderten eine Menge Ressourcen auf dem PC. Unerheblich ist dabei auch, daß Netscapes Navigator mit 6 MB nicht ganz so groß ist wie Microsofts Internet Explorer mit 11 MB, denn mit beiden kommt man weder in einem Telefon noch in einem Automaten oder Industrieroboter sonderlich weit.

Das Konzept eines einzigen homogenen Browsers oder einer Server-Plattform ist zwar für alle PCs plausibel, für Non-PC-Devices allerding nicht praktikabel. Der Grund: Für den HTML-basierten Inhalt ist eine modulare, skalierbare Architektur nötig. Während es bei der Konsumelektronik eher um Web-Browsing geht, handelt es sich bei den beiden anderen Kategorien mehr um Web-Server. Jedes Unternehmen, das den Status einer Anlage oder eines Geräts abfragen oder remote kontrollieren will, ist bereits ein Kandidat für eine embedded Web-Server-Technologie. Beispiele hierfür sind Verkaufsautomaten und Büromaschinen - Xerox etwa arbeitet an Kopierern mit Web-Fähigkeiten - Prozeßsteuerungen oder Internet-working Hardware. Browser und Server müssen skalierbar sein, sollen sie die Anforderungen und Fähigkeiten von Embedded Devices erfüllen.

Embedded Web-Browser sind extrem modulare, voll funktionstüchtige und schlanke Web-Browser für Devices mit genügend CPU-Leistung, Memory und Display-Funktionalität, etwa für TV-Geräte, Set-top-Boxen, PCs und NCs. IBMs NC-Network-Station beispielsweise ist mit Spyglass-Technologie Web-enabled. Embedded Web-Browser können auch aus zwei Komponenten bestehen: einem leichten, im Gerät integrierten Viewer und einem Proxy-Browser, zum Beispiel Remote Mosaic Server, der auf einem Computer des Service-Providers läuft. Das funktioniert sehr gut bei PDAs, Set-top-Boxen und Devices. Embedded Web-Server sind ähnlich skalierbar wie Embedded Browser. Jedoch lassen sich mit einem Server Informationen durch das Device nicht nur versenden, sondern auch empfangen. Ebenfalls mit einem kleinen Footprint ausgestattet, bieten sie die nötige Leistung, um Management und Kontrolle von Devices - etwa Kopierer, Drucker, Hubs, Router und Produktionsausrüstung - zu unterstützen.

Jedoch ist es nicht damit getan, Devices einfach per Browser oder Server an das Internet anzubinden. Auch die Performance muß stimmen, die Web-Zugriffszeit sollte kurz sein und der Zugriff für den Anwender so einfach wie möglich.

Unter Umständen ist auch der Inhalt so anzupassen, daß er sich auf dem Device-Display darstellen läßt. Die dynamische Umwandlung von Web-Inhalten, wie etwa von farbigen JPEG-Bildern in Graustufen-GIF-Format, reduziert die auf das Device zu übertragenden Datenmengen enorm.

Eine neue Klasse von Spezial-Servern

Für grafiklastige Inhalte läßt sich die Zugriffszeit damit um 90 Prozent verkürzen. Ein Cache-Speicher sichert früher angeforderte Dokumente - auch bereits umgewandelte - lokal. Die Antwortzeit für Anfragen an häufig genutzte Web-Dokumente läßt sich so verkürzen.

Kurzum: Device-unabhängige Applikationen, die für Zusammenarbeit und Informationsaustausch sorgen, müssen bereitgestellt werden. Wichtig ist dabei eine neue Klasse von skalierbaren, hochspezialisierten Infrastruktur-Servern. Sie erhöhen die System-Performance, reduzieren die Computing-Anforderungen im Device und verbessern die Darstellung des Web-Inhalts bei nur geringen Kosten. Der Gefahr einer Überlastung der Telefoninfrastruktur - sollten Millionen Devices online gehen - wird so effizient vorgebeugt.

Was sich derzeit an Produkten und Dienstleistungen auf diesem Markt tummelt, ist erst die Spitze des Eisbergs. So wurde heuer auf der Embedded Systems in Sindelfingen bereits eine Web-fähige Kaffeemaschine vorgestellt. Bis der Toaster folgt, ist nur noch eine Frage der Zeit. Aber Spaß beiseite: Web-enabled Devices werden das Internet für jedermann zugänglich machen - und manchmal sogar ohne sein Wissen.

Angeklickt

Die Web-fähige Kaffeemaschine ist nur eines von zahllosen Web-enabled Systems, auf die sich - wie "der Markt" hofft - die Mitglieder der immens anwachsenden Internet-Gemeinde im Scharen stürzen werden. Da der PC-Boom vielfach an Grenzen stößt, beflügelt neues IT-, Haus- und Unterhaltungsequipment - bevorzugt mit Internet-Anschluß - die Fantasie der Marketiers, aber auch der Entwickler. Wie immer tut sich in den USA einiges mehr als hierzulande; doch für eine oder andere Überraschung könnte auch die Internationale Funkausstellung in Berlin sorgen.

*Mike Knezovich ist Intenet Technology Consultant bei Second Wind Communications im US-Bundesstaat Indiana.