Grenzen der Aus- und Weiterbildung

11.07.1980

Hanno Klein, Leiter des UB Schulung der Integrata GmbH, Unternehmensberatung, BDU, Tübingen

Im Juni wies James Martin an dieser Stelle auf das enorme technologische Potential der 80er Jahre hin. Aber sind wir in der Lage, es voll zu nutzen? Schon die rasche Entwicklung der EDV in den vergangenen beiden Jahrzehnten hat uns die Grenzen der Aus- und Weiterbildung gezeigt:

þDie Möglichkeiten, die in dem heutigen Angebot an Hard- und Software stecken, sind der praktischen Nutzanwendung weit voraus.

þRationelle Methoden der Systemanalyse und Programmierung stehen zwar zur Verfügung, die Mehrzahl der EDV-Fachleute arbeitet aber mehr oder weniger so, wie es dem Erkenntnisstand vor acht bis 15 Jahren entsprach.

Woran liegt das? Von dem vorhandenen Schulungsangebot wird immer noch zu wenig Gebrauch gemacht. Noch folgenschwerer ist allerdings die Tatsache, daß als Aus- und Weiterbildung häufig nur der Besuch von Seminaren mit Vorträgen, Diskussionen, Übungen und Gruppenarbeiten angesehen wird. Anschließend wird der Seminarteilnehmer bei der Umsetzung des Gelernten in die Praxis allein gelassen. Wir sollen aber unter Aus- und Weiterbildung einen Prozeß verstehen, bei dem Seminare lediglich als Start betrachtet werden und der durch geeignete Maßnahmen bei der praktischen Arbeit fortgesetzt wird. Dann gibt es keine Grenzen der Aus- und Weiterbildung, sieht man von den natürlichen Restriktionen in der menschlichen Aufnahme- und Leistungsfähigkeit ab. Diese These möchte ich im folgenden untermauern.

Herkömmliche Schulung

Die wichtigsten Grenzen von Seminarveranstaltungen können sein:

þIn Seminaren muß die Komplexität der Praxis künstlich reduziert werden, weil sonst die Aufnahmefähigkeit der Teilnehmer überfordert wird. Dadurch gibt es bei dem Versuch, das Erlernte anzuwenden, häufig Enttäuschungen, da die Realität höhere Anforderungen stellt oder teilweise von den im Seminar gelösten Fallen abweicht.

þBei vielen Weiterbildungsveranstaltungen, insbesondere bei Seminaren besteht das Problem der unterschiedlichen Kenntnisse und Erfahrungen der Teilnehmer. Dann laufen wir Gefahr, daß Methoden und Verfahren behandelt werden, die zum Teil von vielen schon beherrscht werden.

þIst das Ziel des Seminars, die Teilnehmer dazu zu bringen, den bisherigen Arbeitsstil zu ändern und zum Beispiel rationellere Methoden der Systemanalyse und Programmierung anzuwenden, so stoßen wir auf Widerstände, weil wir in den Augen des Betroffenen Bewährtes abschaffen wollen. Angst vor dem Neuen ist die Hauptursache für die häufig fehlende Bereitschaft neue Verfahren anzuwenden.

þImmer wieder stellen wir bei öffentlichen Seminaren fest, daß die Teilnehmer zwar nun wissen wie die Probleme besser zu lösen sind. Sie stoßen anschließend aber bei Vorgesetzten und Kollegen auf Unverständnis und Widerstände, da diese den Lernprozeß nicht mitvollzogen haben- die neuen Erkenntnisse bleiben ungenutzt.

Praxisorientierte Seminare

þBei vielen öffentlichen Seminaren schafft nur der gemeinsame Besuch mehrerer Teilnehmer aus dem gleichen Unternehmen die Voraussetzung für die Umsetzung des Vemittelten in die Praxis.

þUm die Seminare anwenderorientiert zu gestalten, gibt es heute genügend Methoden, mit denen die Trainer das Kenntnis- und Erfahrungspotential der Teilnehmer systematisch also zielgerichtet ohne endlose Diskussionen über Randprobleme, aktivieren können, in Erfahrung bringen können was die Teilnehmer in der Praxis erwartet.

Leider gibt es noch viele Referenten, die diese Methoden nicht beherrschen.

þDer letzte Abschnitt des Seminars sollte dazu dienen, mit den Teilnehmern die Probleme beim Transfer in die Praxis zu analysieren und Maßnahmen für die Überwindung zu erarbeiten. Sind die Referenten mit den modernen Problemlösungstechniken vertraut, dann können die Teilnehmer schon während der Veranstaltung direkt die neuen Erkenntnisse für die Bewältigung anstehender Aufgaben einsetzen.

þDa wir in Seminaren die Komplexität der Wirklichkeit bewußt verringern müssen, werden hauptberufliche Trainer verführt, nicht mehr die Probleme zu sehen, die ihre Teilnehmer bei der Umsetzung des Erlernten haben. Das gilt insbesondere für Referenten, die nie in der Praxis tätig waren. Daher sollten bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung nur Trainer eingesetzt werden, die das, was sie vermitteln, auch selbst erprobt haben und immer wieder erproben.

Was nachher kommt

Auch wenn diese Vorschläge beherzigt werden, hat die Aus- und Weiterbildung durch Seminare Grenzen, die nur durch geeignete Maßnahmen nach dem Training überwunden werden können.

Sicherlich ist es für den Teilnehmer eine große Hilfe, wenn nach dem Seminar erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung stehen, die ihm bei der Anwendung des Erlernten helfen. Wir erleben aber immer wieder, daß diese "Helfer" - vergessen haben, welche Probleme sie selbst bei diesem Prozeß hatten, und nicht begreifen können, warum sie für den Anfänger so viel Geduld aufwenden müssen, bis dieser endlich in der Lage ist, selbständig zu arbeiten - durch Termindruck in der eigenen Arbeit sich dem Nachwuchs zu wenig widmen - selbst die modernen Methoden nicht beherrschen und dem noch Unerfahrenen klar machen, wie falsch alles ist, was er im Seminar mühsam gelernt hat. Totale Verwirrung ist die Folge.

Wie lassen sich diese Probleme überwinden?

Gute Dienste leistet ein Followup-Training. Voraussetzung ist aber, daß der Referent die modernen Pragetechniken beherrscht und über Praxiserfahrung verfügt. Dann erfährt er von den Teilnehmern, welche Probleme bei der Umsetzung des Gelernten bestehen und in welchen Punkten eine gezielte Unterstützung angebracht ist. Danach kann der Trainer das Seminar voll auf den Bedarf der Teilnehmer ausrichten.

Auch für ein Training-on-the-job sind nur praxiserprobte Trainer geeignet. Diese können bei Bedarf Fragen der Teilnehmer gezielt beantworten, prüfen, ob des Erlernte richtig angewandt wird Hinweise geben und sogar zeigen, wie die richtige Lösung aussieht. Sie können beweisen, daß sie keine leere Theorie, sondern in der Praxis verwendbare Kenntnisse vermittelt haben. Die Motivation wächst beträchtig.

Training und Praxis im Wechsel

Bei der berufsbezogenen Ausbildung sind geschlossene und halb- oder einjährige Lehrgänge fehl am Platz. Ideal ist eine ständige Mischung von Schulung und Praxis. Nach ein-, maximal zweiwöchigen Seminaren sollte der Teilnehmer das Erlernte praktisch anwenden. Erst dann darf das nächste Seminar folgen. Diese Vorgehensweise hat viele Vorteile:

- Die ständige Abwechslung läßt keine Lernmüdigkeit aufkommen - Durch die sofortige Anwendung bleiben die erworbenen Kenntnisse besser haften.

- Durch gezielte, auf den Bedarf abgestimmte Auswahl der Seminare wird erreicht, daß die Aneignung überflüssiger Lerninhalte entfällt.