Gratwanderung zwischen Kommerz und Anarchie

26.08.1994

Informationsvielfalt, freier Zugang, globaler Nachrichtenaustausch, unreglementierte Diskussionen und so weiter. Zugegeben, was die Hochschulen mit dem Aufbau des Internets geschaffen haben, ist ein begruessenswerter Ansatz fuer ein Forum zum Meinungsaustausch im globalen elektronischen Dorf. Doch wenn nun die akademische Welt zur Jagd auf die von ihr verachteten kommerziellen Nutzer blaest, ist das wohl das Ende der Anarchismus- Idee im Sinne Bakunins, derzufolge jeder tun darf, was er will, solange er den Rest der Netzgemeinschaft in seiner Freiheit nicht einengt.

Abgesehen von den hehren Idealen des freien Informationsaustausches sollten sich die Forschungseinrichtungen jedoch einmal ueberlegen, von wem sie das Geld fuer den Netzaufbau bekamen - naemlich aus den Steuergeldern der von ihnen so heftig verschmaehten professionellen Anwender. Vielleicht koennten sich beispielsweise gerade die deutschen Hochschulen, die andauernd ueber chronischen Geldmangel klagen, doch noch mit dem Gedanken anfreunden, kommerziellen Usern gegen Gebuehr Zugang zu ihren Servern einzuraeumen. Dies waere jedenfalls sinnvoller als, wie bereits geschehen, Internet-Reisende, die sich via Compuserve eingewaehlt haben, einfach auszusperren oder Diffamierungskampagnen gegen sie zu starten.

Andererseits ist die Idee des Internets zu wertvoll, um es zur Spielwiese fuer geltungsbeduerftige Yuppies zu degradieren, die im Biergarten mit ihren Handies nicht mehr genuegend auffallen. Doch bei aller Skepsis gegenueber egozentrischen Trittbrettfahrern und windigen Geschaeftemachern - von einer Kommerzialisierung koennten alle profitieren, da es die Internet-Vaeter beispielweise bis heute nicht geschafft haben, brauchbare Such-Tools zur Bewaeltigung der Informationsfuelle zu entwickeln. Hier koennte der Kommerz getreu dem Motto "Time is money" sicherlich schnell Abhilfe schaffen - natuerlich gegen Benutzungsgebuehr.

Trotz aller Kritik kann aber dem interessierten Communications- Fachmann eine Reise durch das Netz nur nahegelegt werden, bieten doch die auf den WWW-Servern angebotenen Videos, Sounddateien und vieles mehr einen ersten Vorgeschmack dessen, was auf die Menschheit in Sachen Information-Highway zukommen koennte. Wobei es sich allerdings sicherlich nicht um den naiven Ansatz handel duerfte, dass Wissen und Information fuer alle zugaenglich sein muss, zeigen doch bereits die heutigen Gebuehren der Service-Provider, wohin letztlich die Reise gehen wird.

Also Werbung und Video fuers Volk, Informationen fuer die Betuchten? Bis es soweit ist, duerfte das Internet, von der Clinton- Administration als integraler Bestandteil der neuen National Information Infrastructure eingeplant, jedenfalls noch viele neue kommerzielle User bekommen - auch und gerade in Europa.