Gordischer Knoten mit flexibler Lösung

12.07.1985

Für den Käufer eines neuen Arbeitsplatzrechners mit Textverarbeitungs-Software schienen die angepriesenen Vorteile des neuen Systems bald ebenso offensichtlich zu sein wie für den Verkäufer: Die neuartige Bedienungsform über eine "Maus", mit der Textabschnitte angewählt und manipuliert werden konnten, sah einfach, einheitlich und effizient aus - dennoch, die Rückmeldungen der Mitarbeiter waren weit weniger erfreulich.

Das angebotene System bot auf den ersten Blick Erstaunliches: Durch die verfügbare Fenstertechnik war es möglich, verschiedene Dokumente gleichzeitig geöffnet zu halten und parallel zu bearbeiten. Dazu bot das Produkt die Funktionalität eines integrierten Bürosystems. Es schien also eine optimale Lösung für den (fiktiven) Kunden zu sein. Die Rückmeldungen der Mitarbeiter zum neuen System gaben Grund zum Ärgernis: Der häufige Wechsel zwischen Maus und Tastatur sei umständlich (die speziellen Funktionstasten des alten Textsystems galten als schneller und effizienter). Obwohl der Text am Bildschirm im End-Layout sichtbar sein sollte, ergaben sich immer wieder Überraschungen beim Ausdruck. Die Fenstertechnik sei gar nicht voll nutzbar, weil sonst die gezeigten Textausschnitte zu klein würden. Wurde der Kunde ein Opfer falscher Versprechungen?

Es darf ruhig angenommen werden, daß auch eine ganze Anzahl von Fachleuten der Software-Ergonomie die positiven Aussagen (sogar mit einigem Recht) unterschrieben hätten. Nach wie vor besteht auch unter Spezialisten die Neigung, bestimmten Dialogtechniken pauschal den Vorzug zu geben. So gelten zum Beispiel Menü-Systeme als besonders benutzerfreundlich in der Diskussion.

Dies ist in bestimmten Zusammenhängen auch sicherlich richtig, dennoch kann nicht behauptet werden, daß Menü-Systeme grundsätzlich die bessere Lösung sind. Woran es häufig bei solchen Diskussionen mangelt, ist eine klare Vorstellung darüber , welche Arbeitsaufgaben mit einem System bearbeitet werden sollen und welche Benutzergruppen mit ihm konfrontiert werden.

Wie kann erreicht werden, daß die Software-Ergonomie nicht bei Oberflächenproblemen stehenbleibt? Allein schon der vielbenutzte Begriff der Benutzeroberfläche zeigt, daß es hier teilweise mit einem angemessenen Verständnis der Probleme im argen liegt. Um die bei der Gestaltung eines Dialogsystems anstehenden Fragen besser in den Griff zu bekommen, muß zunächst einmal geklärt werden, welche Probleme Oberhaupt auftreten.

Es ist bekannt, daß sich Kommunikation auf verschiedenen Abstraktionsebenen abspielt. Aus diesem Gedanken läßt sich ein Schichtenmodell für die Mensch-Computer-Kommunikation ableiten, so wie auch im Bereich rein technischer Kommunikation Schichtenmodelle seit längerem akzeptiert und verwendet werden (siehe zum Beispiel das ISO-OSI-7-Schichten-Referenzmodell).

Abbildung 1 zeigt, wie ein solches Modell auch für die Kommunikation zwischen Benutzer und Computer aufgestellt werden kann. Aus der Darstellung wird deutlich, daß die Gestaltung von Benutzerschnittstellen im Sinne eines Top-Down-Ansatzes zunächst auf die Auslegung von Arbeitsaufgaben und -abläufen ausgerichtet sein muß. Daraus sind Datenobjekte und darauf anzuwendende Funktionen, also kurz gesagt die Detailfunktionalität des Systemes, abzuleiten.

Bis zu diesem Punkt war es noch nicht notwendig, sich auf eine spezielle Dialogmethode festzulegen, mit der die Funktionalität angesprochen werden kann. Dieses Dialogprotokoll, das zum Beispiel durch Menü-Technik oder durch eine Kommandosprache realisiert werden kann, ist Inhalt der syntaktischen Schicht des Modelles.

Ein-/ Ausgabe-spezifische Fragestellungen, wie die Gestaltung von Bildschirmformularen, aber auch Eigenschaften der Ein-/Ausgabe-Hardware sind Gegenstand der untersten Schicht dieses Modells.

Was gewinnt man durch eine solche Darstellung? Zum einen werden die Einflußfaktoren der Gestaltung von Benutzerschnittstellen besser zuordnungsfähig. Es zeigt sich an einer solchen Darstellung, daß mit der guten visuellen Gestaltung eines Bildschirmformulares noch lange nicht die gesamte Benutzerschnittstelle optimiert ist.

Darüber hinaus ist festzustellen, daß die verschiedenen Schichten als voneinander relativ unabhängig angesehen werden können. Dies führt zu einem zweiten Vorteil von Modellen der Benutzerschnittstelle.

Applikationssoftware wird meist noch so erstellt, daß anwendungsspezifische und benutzerschnittstellenspezifische Programmteile kaum voneinander zu trennen sind. Dies führt zu sehr inflexiblen Dialogsystemen und zu einem hohen Aufwand bei Änderungen, Anpassungen und Optimierungen der Benutzerschnittstellen. Adaptierbarkeit beziehungsweise selbstadaptives Verhalten des Systemes können in einer solchen Softwarearchitektur nur schwer verwirklicht werden.

Das angeführte Kommunikations-modell kann dazu beitragen, auch auf der Software-Seite eine angemessene Strukturierung durchzufahren. Diese Strukturierung sollte zu Softwarekomponenten für die Benutzerschnittstelle führen, die von der eigentlichen Applikation weitgehend unabhängig sind, und damit eine voneinander entkoppelte Spezifikation und Entwicklung von Anwendungs- und Dialogkomponenten ermöglichen.

Es gibt bereits eine Reihe von Ansätzen, zumindest für den Anwendungsentwickler flexible Hilfsmittel für die Gestaltung des Dialoges zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören zum Beispiel Formular- und Menü-Generatoren, in Zukunft werden in stärkerem Maße allgemeine Dialog- und Tool-Manager an Bedeutung gewinnen.

Dies führt uns zurück auf die Fragestellung nach den Software-ergonomischen Optima. Die vorherrschende Denkweise geht davon aus, daß ein Dialogsystem eine Reihe von einzelnen Bewertungskriterien erfüllen muß, um dem Anspruch einer ergonomischen Gestaltung zu genügen.

Dieses Vorgehen ist zum Beispiel im Entwurf der DIN-Norm 66234, Teil 8 (Dialoggestaltung) dokumentiert. Dort werden folgende Hauptkriterien für die Dialoggestaltung angeführt:

Aufgabenangemessenheit, Selbsterklärungsfähigkeit, Steuerbarkeit, Fehlertoleranz und Verläßlichkeit.

Solche Kriteriensätze können im Sinne von Minimalanforderungen an ein System verstanden werden, zu einer Optimierung eines realen Systemes tragen sie allerdings wenig bei.

Man muß eher davon ausgehen, daß es in der Kommunikation zwischen Benutzer und Rechner verschiedene Grundformen von Dialogen gibt, die sich jeweils durch ein unterschiedliches Profil von Vorzügen und Nachteilen auszeichnen. In der Forschung zeichnet sich ab, daß es drei grundlegende Formen von Dialogen gibt. Zum einen sind dies Systeme nach dem Prinzip der sogenannten direkten Manipulation. Hierunter fallen Systeme, die eine direkte Interaktionsmöglichkeit mit der Bildschirmausgabe erlauben.

Zum zweiten sind Kommando- und Programmiersprachen-orientierte Dialogformen als typische Gruppe anzusprechen. Diese Dialoge zeichnen sich durch eine hohe Flexibilität für den geübten Endbenützer beziehungsweise Programmierer aus. Als dritte Gruppe werden in Zukunft natürlich sprachliche Dialoge zunehmend an Bedeutung gewinnen. Im Entwicklungsprozeß eines Dialogsystems müssen Entscheidungen über den Einsatz dieser Techniken getroffen werden. Dabei zeigt sich, daß die benutzerorientierten Eigenschaften dieser Dialogtechniken meist komplementär zueinander stehen. Abbildung 3 zeigt eine Reihe von solchen komplementären Kriterienpaaren.

Keine der angeführten Dialoggrundformen kann alle wünschenswerten Anforderungen gleichzeitig erfüllen.

Ein typisches Beispiel eines solchen Gegensatzes ist in Abbildung 2 gezeigt. Es gibt Dialoge, die ein schnelles Lernen des Benutzers ermöglichen, dann aber auf einem relativ niedrigen Leistungsniveau bleiben. Andere Dialogformen erfordern einen weitaus längeren Einlernprozeß, bieten aber dafür dem geübten Expertenbenutzer einen sehr effizienten Umgang mit dem System.

Bei der klassischen Gestaltung von Dialogsystemen wird immer eine Entscheidung zwischen solchen gegensätzlichen Kriterien erforderlich sein, eine Entscheidung, die auf einer genauen Analyse von Aufgabe und Benutzer basieren sollte.

Für eine Lösung dieses Dilemmas wird es in Zukunft zunehmend erforderlich sein, die Vorzüge der verschiedenen Dialogformen besser miteinander zu verbinden. Dies kann im einfachsten Fall dadurch geschehen, daß die Systeme einen Anfänger- und Expertenmodus zur Verfügung stellen. Weitergehende Ansätze werden eine echte Integration verschiedener Dialogformen anbieten. In der Forschung werden zur Zeit beispielsweise Ansätze untersucht, wie natürliche Sprache und Zeigeoperationen verbunden werden können.

Ein weiteres großes, Optimierungspotential liegt im Einsatz von adaptierbaren beziehungsweise selbstadaptiven Benutzerschnittstellen, die auf der Basis eines Aufgaben- und Benutzermodells die Dialogformen anpassen können. Es kündigt sich immer stärker an, daß in diesem Bereich Komponenten der Benutzerschnittstelle als eigenständige, portable Produkte entstehen werden. Das richtige Optimum Software-ergonomischer Dialoggestaltung wird also eher in der Verbindung verschiedener Einzeloptima liegen. Produkte, die dieses unterstützen, dürfen in Zukunft mit hohen Marktchancen rechnen.

-Dipl.-Ing. Jürgen Ziegler ist Leiter der Forschungsgruppe Software-Ergonomie am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirshaft und Organisation, Stuttgart.