Erste Pink-Slip-Party in Berlin

Gnadenlos optimistisch

11.05.2001
Etwa 50 Internet-Firmen sollen in den vergangenen Monaten dicht gemacht haben. 6000 Mitarbeiter hätten dabei ihren Job verloren. Frust in der New Economy? Keine Spur. Die Gefeuerten der jungen IT-Szene feiern weiter und halten nach dem nächsten Startup Ausschau. Von Kathi Seefeld*

"Wir sind die Kapelle auf der Titanic", hatte Frank Lichtenberg, Chef des Online-Lieferservice Snacker.de und Leiter des Arbeitskreises Startups beim Verband der deutschen Internet-Wirtschaft Eco, gesagt und sich zum Organisator der ersten Pink-Slip-Party in Europa aufgeschwungen. Die "Feier der Geschassten mit Möglichkeit zur Jobsuche" hatte der 31-Jährige in Amerika abgeguckt. Dort herrscht in der Dotcom-Branche bekanntlich Untergangsstimmung. Tausenden Angestellten von IT-Unternehmen flatterten in den vergangenen Monaten die pinkfarbenen Kündigungsschreiben ins Haus. 1,5 Prozent der rund 2,3 Millionen Arbeitsplätze in der US-Internet-Wirtschaft sollen bisher verloren gegangen sein.

Nur ein Bruchteil der Geschassten erschienDie Geschäftsführerin der Online-Beratungsfirma The Hired Guns, Allison Hemming, lud im Sommer 2000 erstmals Entlassene der New Economy zu einer Party in den New Yorker Szeneclub Rebar im Manhattener Viertel Chelsea ein. Ein bisschen trauern, ein bisschen feiern, vor allem aber nach neuen Herausforderungen Ausschau halten, war die Devise. Inzwischen sind Pink-Slip-Parties von der Ost- bis zur Westküste der Renner unter den Pleiten-Events.

Lichtenberg, dessen AG kürzlich fünf von 28 Mitarbeitern hatte entlassen müssen, fand das Konzept passend auch für hiesige Verhältnisse und lud am Vorabend des 1. Mai zur ersten europäischen Pink-Slip-Party ins Industrieambiente der Berliner Reinbeckhallen. Die deutsche Hauptstadt kann inzwischen mit einigen Entlassenen der New Economy aufwarten. In den vergangenen Monaten hätten etwa 50 Internet-Firmen dicht gemacht, schätzt der Silicon City Club. Deutschlandweit beziffert der Startup-Zusammenschluss die Zahl arbeitsloser IT-Berufler auf etwa 6000.

Eine Größenordnung, mit der auch der Geschäftsführer des Internet-Verbandes Electronic Commerce Forum Eco, Harald Summa, operiert. Insgesamt sind die Aussagen über den Stellenabbau in der deutschen IT-Branche bisher eher vage. Die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) blickt auf etwa ebenso viele neu gemeldete Stellensucher wie im vergangenen Jahr. Ende März wurden 33290 Erwerbslose in DV-Berufen registriert, denen 16300 offene Stellen gegenüberstanden. "Es sind deutlich mehr als 100, aber weniger als 10000", so Lichtenbergs grobe Schätzung. Ausreichend allerdings, um ihnen besondere Fürsorge zuteil werden zu lassen.

Das hatten vor Pink-Slip schon andere erkannt. Der First Tuesday krempelte sein Konzept um und versucht, sich nunmehr auch als Jobbörse zu etablieren - zusätzlich zu der gewohnten Funktion als Treffpunkt für Venture-Capital-Geber und Ideenträger. "Jobs & Pitches" hieß der "Special Event", zu dem sich die Freunde kostenfreier Getränke im März beim Deutschen Industrie- und Handelstag versammelten. In Berlin haben sich darüber hinaus eine Vielzahl Veranstaltungen fürs Networking etabliert. Es ist ein Leichtes, in den monatlichen Workshops des Silicon City Clubs oder bei den New-Media-Gipfel-Treffen, die seit kurzem das Medienbüro Berlin-Brandenburg veranstaltet, Kontakte zu knüpfen.

Allein, die arbeitslosen ITler wollen die Angebote nicht so recht annehmen. Ihre Feierlaune scheint ungebrochen, nur geht man dazu - wie Berliner Szene-Magazine verraten - mittlerweile in kleine Klubs und Bars, gemeinsam mit Leuten, die Arbeit haben und in Unternehmen "ein gutes Wort" einlegen können.

Zu Deutschlands erster Pink-Slip-Party erschien somit nur ein Bruchteil der angemeldeten 640 Geschassten. Stattdessen waren wie so oft auf Veranstaltungen mit potenziellen Arbeitgebern Leute unterwegs, die wie die beiden Potsdamer Studenten Mark Pohl und Frank Mehnert einfach nur mal ihren "Marktwert checken" wollten. Mehnert, der seit einiger Zeit in einem Startup jobbt, macht sich wenig Sorgen um seine Zukunft. Eine Firmenpleite bedeute für ihn lediglich, in Ruhe sein Studium abschließen zu können.

Firmen gehen bei Mitarbeitersuche leer ausDer Siemens-Abgesandte und Vice President Research Network IP, Christian Gayda, hatte wenig Glück bei der Suche nach "etwa fünf IP-Technologie-Experten". Auch Guido Höhn, Projektleiter in der Personalabteilung von Bosch, musste vorerst ohne Aussicht auf neue Mitarbeiter nach Stuttgart zurückfliegen. Unzufriedenheit über den Party-Flop, der fast mehr Journalisten als Teilnehmer zählte, machte sich unter den etwa 40 Personalsuchenden von Unternehmen dennoch nicht breit. "Wer mehr als einmal rausgeflogen ist, der hat ohnehin keine Lust mehr auf solche Parties und guckt derzeit eher auf Veranstaltungen wie die Gründung des Betriebsrates bei Pixelpark", kommentierte Kerstin Tober ihr frühzeitiges Verlassen des Abends.

Gestandene Unternehmen, versprach die Geschäftsführerin und Gründerin des Internet-Stellenmarktes Worldwidejobs, Ursula Triller, würden für gefeuerte Mitarbeiter der IT-Branche zunehmend interessanter. Worldwidejobs habe 130000 Online-Stellenausschreibungen von 6000 Unternehmen aus dem deutschen Angebot vor Augen. 350 Internet-Firmen bundesweit, so Triller, suchten derzeit mehr als 3000 Mitarbeiter. Beste Berufsaussichten böten dabei der Standort München, gefolgt von Hamburg und Berlin. 24 der Dax-30-Unternehmen hätten aktuellen Bedarf an Web-Entwicklern, Content-Managern oder E-Business-Beratern. Vor allem SAP, die Telekom und die Lufthansa hätten Stellen frei. Noch besser wären die Aussichten bei Internet-Töchtern wie Moneyshelf (Deutsche Bank), Mercato (Eon) oder Powerline (RWE). Zudem suchten die großen Internet-Firmen wie T-Online, Lycos oder Amazon Mitarbeiter, die bei Projekten "Kosten und Technik im Griff behalten", so Triller. In neun Beteiligungsfirmen des Bertelsmann-Konzerns würden aktuell 188 Jobs angeboten.

Keine Lust auf die Old EconomyAn denen sind Entlassene wie Doris Hube und Michaela Kiebler allerdings nicht so recht interessiert. Die eine - geschasste Mitarbeiterin - wie die andere - ehemalige Chefin eines Münchner Online-Reisemarkt-Anbieters - machen aus ihren neuerlichen Startup-Gelüsten keinen Hehl. Zwar habe es sie schwer getroffen, als ihr Unternehmen Insolvenz beantragen musste, "doch ich bin noch keine 60 und habe richtig viel Lust auf neue Aufgaben", sagt Kiebler. Dass Projekte in einem jungen Unternehmen mit größeren Herausforderungen als in traditionellen Firmen verbunden sind, ist sich auch Hube sicher: "Die Erfahrungen, die ich in unserem Unternehmen gesammelt habe, hätte ich in keinem anderen Job machen können."

Die beiden Münchnerinnen, die zur Pink-Slip-Party nach Berlin reisten, weil sie nicht warten wollten, bis das Spektakel Ende Mai im heimischen Nachtwerk über die Bühne geht, waren aus gutgehenden Firmen vor etwa zwei Jahren "einem Schicksalswink folgend" in das Internet-Geschäft eingestiegen. "Die beiden Projekte gardasee.de und hawai-online.de sind sehr erfolgreich gelaufen", erzählt Kiebler. Projektleiterin Hube war als Allrounderin gleichzeitig auch beim Programmieren und in Sachen Web-Design gefragt. Anfang 2001 wandelte sich die GbR in eine AG, ein neues Produkt wurde in Angriff genommen. "Die Tests liefen hervorragend, die Zielgruppen reagierten, wir waren auf der Internationalen Tourismusbörse, und das Konzept war ein Riesenerfolg. Dann sprang im März unser potenzieller Geldgeber ab." Bis dahin, so die arbeitslose Chefin, sei das Startup ohne finanzielle Zuwendungen von außen ausgekommen. Das neue Vorhaben hätte jedoch eines Investors bedurft - "und der bekam, verständlich bei der gegenwärtigen Marktsituation, einfach kalte Füße". Nach der Party heißt für beide die Devise "Neuanfang".

Jobsuche in der Old Economy ist auch am Tisch der geschassten Programmierer des Berliner Startups Virtualley kein Thema. Ganz im Gegenteil, die drei jungen Männer hoffen, dass "ihr" Unternehmen eines Tages wieder auf die Füße kommt. "Ihr" Produkt, Kurzzeit-Web-Seiten mit sinngebenden URLs - "die Adresse enthält eine Nachricht" - sei "absolut genial". Noch vor einem Jahr, sind sich die gut gelaunten Arbeitslosen sicher, hätte es "genügend Geldgeber" gegeben, die Virtualley unterstützt hätten. "Was uns fehlte, war eine gute PR."

Werbung in eigener Sache haben diese Programmierer kaum nötig. "Wir konnten in den vergangenen ein, zwei Jahren so viele Erfahrungen in der Firma sammeln und eigenverantwortlich arbeiten. Wir sind durch Hochs und Tiefs gegangen und haben gespürt, wie wichtig jeder Einzelne ist. Das kann einem weder die Uni noch ein gestandenes Unternehmen bieten." In den kommenden Wochen wollen sich die drei mit Freelance-Jobs und "Aufträgen befreundeter Firmen" über die Runden bringen. An Arbeit für Programmierer herrsche schließlich kein Mangel. "Die Branche lebt, und wer was anderes behauptet, der muss blind sein." Traum aller drei ist jedoch, noch einmal mit ihrem Produkt groß herauszukommen.

So viel Optimismus wurde nur noch von einem übertroffen, dem extra aus Palo Alto eingeflogenen Unternehmensberater Alex Vieux. Vieux sagte der Dotcom-Welt zwar einen dramatischen Wandel voraus, prophezeite jedoch, dass es allemal besser sei, wieder in ein junges Unternehmen zu gehen statt einen "langweiligen Job bei einer Bank" anzunehmen.

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.

Pink-Slip-Parties17. Mai:

Frankfurt am Main (Palast der Republik),

31. Mai:

München (Nachtwerk),

14. Juni:

Hamburg (ACD),

28. Juni:

Berlin (Reinbeckhallen),

12. Juli:

Frankfurt am Main (Palast der Republik),

26. Juli:

München (Nachtwerk),

9. August:

Hamburg (ACD).