Integration von Büro und Produktion soll Antriebsmotor sein:

Glasfaser fristet noch ein Mauerblümchen-Dasein

15.01.1988

MÜNCHEN (ab) - Die Einführung der Glasfaser als Übertragungsmedium in privaten Telekommunikationsnetzen geht hierzulande nur schleppend voran. Noch ehe sich der Anwender an Lichtwellenleiter in der Fertigungs- und Büroumgebung gewöhnt hat, präsentierte der bundesdeutsche Großkonzern Hoechst jetzt eine optimierte Version der Glasfaser - den polymeren optischen Leiter, kurz gesagt: die Kunststoff-Faser.

Gemeinsam mit der New Yorker Codenoll Technology, einer Beteiligung der Hoechst Celanese Corporation (HCC), demonstrierte die Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt im November den Probebetrieb eines lokalen Ethernet-Verbundes mit polymeren optischen Fasern. Als entscheidendes Argument für dieses Produkt führt Hoechst den Kostenvorteil gegenüber den herkömmlichen Medien Glasfaser und den verschiedenen Koax-Variationen ins Feld. Offenkundigster Nachteil des Lichtwellenleiters auf Kunststoff-Basis ist dessen mangelnde Verfügbarkeit: Mit größeren Kontingenten ist frühestens in zwei Jahren zu rechnen.

Hoechst demonstriert Glasfaser-Ethernet

Als greifbarer stellt sich da für Hartmut U. Steusloff vom Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB), Karlsruhe, die "echte" Glasfaser als Übertragungsmedium digitaler Daten zwischen verschiedenen Netzen dar. Prädestinierend sei ferner speziell in der Weitverkehrstechnik neben der Unempfindlichkeit gegen Korrosion und elektromagnetische Störfelder auch die Abhörsicherheit, beurteilt Steusloff. Außerdem haben Lichtwellenleiter verglichen mit Kupferkabel nur ein geringes Gewicht sowie einen kleinen Krümmungsradius; ein Gramm Glas ersetzt bei gleicher Kanalkapazität etwa zehn Kilogramm Kupfer.

Als ungünstig beim Einsatz von Glasfasern erweist sich dagegen die hohe Dämpfung durch Spleiß- und Steckertechnik an der Übertragungsstrecke. Die größte Hemmschwelle dürften Glasfaseraspiranten jedoch zu überwinden haben, wenn sie den heutigen Preis für eine Neuverkabelung erfahren. So sind Glasfaser-Elemente hierzulande nicht nur kaum verfügbar, sondern auch sehr teuer. Rund 1000 Dollar kostet beispielsweise der PC-Adapter für das Glasfaser-LAN von Codenoll; für eine Arcnet- beziehungsweise Token-Ring-Konfiguration muß der Benutzer immerhin etwa 700 Dollar berappen. Das Angebot, kritisiert Steusloff, ist zu schwach. Applikations-orientierte Engineering-Dienste würden überhaupt nicht geleistet.

Geringes Angebot zu überhöhten Preisen

Doch die Glasfaser wird sich durchsetzen. Das jedenfalls scheinen die internationalen Normierer anzunehmen. Konkret wurden - was eine Festlegung betrifft - bislang allerdings nur die Amerikaner, deren Vorschlag für ein einheitliches "Fiber Distributed Data Interface (FDDI)" dem American National Standards Institute (ANSI) bereits vorliegt. In diesem Token-Ring-Protokoll ist ein Glasfaserring definiert, der als Kette von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen eine Übertragungsrate von 100 Megabit pro Sekunde bei einer Länge von 200 Kilometern und maximal 1000 Teilnehmern aufweist. Exakte Ausgestaltungen bestehen noch nicht. Akzeptanz-Probleme für künftige FDDI-Regelungen fürchten die US-Analysten derzeit nicht. Im Gegenteil: Ihrer Ansicht nach wird der Trend von Ethernet-Konfigurationen auf Glasfaser-Basis in Richtung FDDI-Netze verlaufen.

ANSI liegt Vorschlag für FDDI-Norm vor

Mit Prognosen über die Verbreitung von Lichtwellenleitern in der Bundesrepublik halten sich die Experten derzeit sehr zurück. So dominieren im Bürobereich augenblicklich Ethernet-Systeme auf Koaxialkabel-Basis entsprechend der IEEE-Norm 802.3. Um die bereits aufgezeigten Pluspunkte optimieren ließen sich diese Konfigurationen indes durch eine Glasfaser-Grundlage.

Entgegen steht diesem Gedanken aber, daß sogenannte T-Abzweige für Lichtleiter mit einem kleinen Teilerverhältnis bislang weder reproduzierbar noch preiswert herzustellen sind. Ein T-Abzweig entsteht durch Aneinanderschweißen zweier Glasfasern und bewirkt einen Dämpfungsverlust, der mit wachsender Teilnehmerzahl steigt; zudem können T-Abzweige ebenso wie Lichtleiter nur unidirektional betrieben werden. Um dennoch CSMA/CD-Protokolle in Lichtleitern zu übertragen, könnten Sternkoppler eingesetzt werden, die die Übermittlung der Lichtleistung an alle angeschlossenen Empfänger erlaubt.

Erhalten ließe sich die konventionelle Office-Verkabelung, wenn Glasfaser lediglich als Backbone-Netz realisiert würde, also gleichsam als Integrations-System zwischen Büro und Fertigungsbereich fungierte. In produktionstechnischen Umgebungen hat sich die Glasfaser nämlich schon verschiedentlich durchgesetzt, konstatiert der Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts. Die vorgegebenen Realzeitbedingungen einerseits sowie die elektromagnetische Unempfindlichkeit andererseits qualifizierten hier das "neue" Medium. Die große Bandbreite soll darüber hinaus für hochleistungsfähige lokale Netze entsprechend der MAP-Definitionen von Interesse sein.

Euphorie für die Glasfaser als Zukunftsmedium läßt sich in der Bundesrepublik jedoch noch nicht verzeichnen. Selbst Helmut Holighaus, Geschäftsführer des deutschen Codenoll-Distributors Adcomp, äußert sich skeptisch: "Im Augenblick ist der Bedarf für Lichtleiter hierzulande noch nicht geweckt." Die Amerikaner sind da offenbar begeisterungsfähiger, rechnet man doch in den USA mit einem Anwachsen des Glasfaser-Marktvolumens auf über 800 Millionen Dollar bis 1992. Dies wäre verglichen mit dem Status quo immerhin ein Anstieg um über 400 Prozent.