Tagung des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes in München:

Gewerkschaften wollen ihre Klientel erweitern

03.09.1982

MÜNCHEN - "Wir möchten Computer zu Bedingungen der Gewerkschaften" - auf diese knappe Formel brachte der schwedische Metallgewerkschafter Johnny Tedenfors die Politik der Arbeiternehmerorganisationen bei der Einführung und Anwendung neuer Techniken. Daß hinter dieser Forderung keine Technikfeindlichkeit verbirgt, machte die zweitägige Angestelltenkonferenz des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IBM) in München mehr als deutlich. Redner und Delegierte waren sich allerdings einig in der Forderung nach Kontrolle des technologischen Fortschritts".

Wohl selten hat man von Gewerkschaftsseite so häufig wie in München gehört, daß die Technik grundsätzlich positiv einzuschätzen sei. Hermann Rebhahn beispielsweise, der Generalsekretär des in Genf ansässigen IBM, erklärte, die Gewerkschaftsbewegung habe den technischen Fortschritt nie abgelehnt. Lutz Dieckerhoff, Vorstandsmitglied der IG Metall, meinte, die neuen Technologien ermöglichten eine nie gekannte Flexibilität in der Arbeitsorganisation und enorme Produktivitätssteigerungen. Dadurch seien die Voraussetzungen für eine wirkliche Humanisierung gegeben. Trotz aller negativen Erfahrungen könne man um die Feststellung nicht herum, "daß es eben nicht die Technik an sich ist, die die Arbeitnehmer trifft, sondern ihre Anwendung und Ausgestaltung zum Zwecke des Profits".

In der tarifrechtlichen Auseinandersetzung wollen die Gewerkschaften daher neben der Forderung nach Einkommensverbesserung auf zusätzliche Regelungen dringen, um die negativen Auswirkungen der neuen Techniken auf die Arbeitsplätze zu reduzieren. In der zum Abschluß der Konferenz verabschiedeten Entschließung werden unter anderem "frühzeitige Informationen über die sozialen Auswirkungen geplanter Rationalisierungsmaßnahmen", eine "aktive gewerkschaftliche Mitbestimmung bei Beschlüssen auf allen Ebenen, vom Planungsstadium bis zur Durchführung der Veränderungen", eine "wirksame Beschäftigungsicherheit" sowie "Humanisierung der Arbeit und Schutz der Gesundheit" verlangt.

Darüber hinaus sei für "Aufrechterhaltung und Erwerb der notwendigen Fachkenntnisse" sowie für die Sicherung der Privatsphäre und der individuellen und Gewerkschaftsrechte bei der Einführung elektronischer DV-Systeme zu sorgen.

Ein weiteres zentrales Thema der IMB-Konferenz war die sich ändernde Arbeitskräftestruktur und die daraus resultierenden neuen Aufgaben der Gewerkschaften. Selbstkritisch merkte Rebhahn an, daß man die Frage nach der Stoßrichtung und der Art der Beschäftigungseinbrüche nicht von in den Griff bekommen hätte. Jahrelang sei man davon überzeugt gewesen, daß der Wandel im wesentlichen von den Betrieben ausgehen und den tertiären Sektor erst später erreichen würde.

Zu den am stärksten gefährdeten Arbeitskräften gehörten jedoch heute die - kaum gewerkschaftlich organisierten - Angestellten, die Planer, Konstrukteure, Verwalter sowie die entscheidungsfällenden leitenden Kräfte. Selbst die in der EDV Beschäftigten, so ergänzte Dieckerhoff , würden durch die rapide ansteigenden Softwarekosten Rationalisierungsopfer, wie die Entwicklung im Bereich Software-Engineering zeige.

Als Beispiel führte Rebhahn einige Zahlen aus Großbritannien an. Während 1979/80 auf je 100 in den Betrieben verlorengegangene Arbeitsplätze 17 auf Büro- und Verwaltungspersonal entfallen waren, lautete das Verhältnis 1981 bereits 100 zu 54.

Angesichts dieser Auswirkungen einerseits und der zentralen Rolle andererseits, die Ingenieure, Techniker und leitenden Angestellte bei der Einführung und Entwicklung neuer Techniken spielen, wollen sich die Gewerkschaften verstärkt um deren organisatorische Einbettung bemühen. Der Metallwirtschaft und ihren Gewerkschaften kommt dabei - das wurde auf der Konferenz immer wieder betont - im Hinblick auf den Einsatzgrad und die Herstellung von Automaten eine "Pionierrolle" zu.

Daß die stärkere Erfassung der Angestellten von den Gewerkschaften nicht ganz uneigennützig propagiert wird, zeigt Punkt 4 der IMB-Entschließung: "Bisherige Vorstellungen und die traditionellen Aufgaben der Büroangestellten, Ingenieure und Techniker wie auch der Angestellten in Leitungsfunktionen verändern sich radikal. Arbeitsplätze gehen verloren, und neue Fachkenntnisse und Verfahren werden eingeführt, die die traditionelle Rolle der Gewerkschaften und ihre Einflußnahme am Arbeitsplatz gefährden."