Internet für kleine und mittlere Unternehmen

Gewerbestraßen statt Gemischtwaren-Shopping

26.09.1997

Ein eigener Laden im Internet. Das ist es, was man sich unter dem Begriff "E-Commerce" vorstellt. Ein Hersteller oder Händler verkauft im Internet unter eigenem Namen weltweit seine Produkte und umgeht nebenbei die konventionellen Händlerstrukturen. Diese Vision beflügelt die Phantasie. Kleinunternehmer haben plötzlich die Möglichkeit, auf gleichem Boden mit multinationalen Playern zu konkurrieren.

Es gibt bereits fertige Software- und Servicepakete, um diese Vision zu realisieren. In Deutschland ist die in Jena und die im kalifornischen Silicon Valley beheimatete Firma Intershop Communications am bekanntesten. Konkurrenzpakete sind von Pandesic (der neuen Tochter von SAP und Intel), IBM, Microsoft und anderen Firmen erhältlich.

Sogar eine Regierungsinitiative unterstützt den eigenen Internet-Shop. Das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn zahlt etwa 1000 kleinen und mittleren Unternehmen Fördergelder bis zu 4600 Mark, wenn sie ein eigenes Internet-Angebot aufbauen wollen. Leider war das Budget etwas knapp bemessen, denn es bewarben sich rund 3000 Firmen. Ob noch einmal eine derartige Initiative ins Leben gerufen wird, will das Bundesamt erst beschließen, nachdem es 1998 die Bewerbungen statistisch ausgewertet hat.

Aber wie zu Zeiten des Goldrausches verdienten nicht die Goldgräber ein Vermögen, sondern diejenigen, die ihnen die Spaten verkauften. Die Goldgräberstimmung wird möglicherweise einen Software-Anbieter wie Intershop reich machen - aber nicht unbedingt den Hersteller oder Händler, der im Internet Präsenz zeigt.

Trotzdem wurden einige der Internet-Goldgräber tatsächlich fündig. Das bekannteste Beispiel ist wohl der Buchvertrieb Amazon.com. Der momentane Erfolg eines Unternehmens bedeutet aber nicht, daß dessen Zukunft gesichert ist. Amazon.com wurde im Juli 1995 gegründet. Zwei Jahre später bekommt der Buchladen plötzlich starke Konkurrenz vom großen Verlagshaus Barnes + Noble, einem bekannten Namen in der "echten Welt".

Ein Grund zum Pessimismus? Tatsächlich führen Größe und Unübersichtlichkeit des Internet dazu, daß E-Commerce - mit wenigen Ausnahmen - nur große globale Marken eine Chance haben. Es sei denn, ein kleines oder mittleres Unternehmen geht eine Partnerschaft ein. Hier gibt es zwei sehr unterschiedliche Ansätze: das Online- Einkaufszentrum und das gemeinschaftliche Netzangebot.

Konsumenten: Die Euphorie blieb aus

Online-Dienste waren die ersten, die im Consumer-Bereich Partnerschaftsstrukturen für E-Commerce anboten. Abschreckende Beispiele sind die vielen lustlos zusammengestellten Seiten, denen man über Jahre hinweg in den verschiedenen Diensten begegnet ist.

Auch Computerfirmen und Telekommunikationsgesellschaften versprachen sich allzu schnell allzu viel von Netz- Einkaufszentren. Viel Aufsehen erregte im Juli dieses Jahres die Schließung von World Avenue, einem hochfinanzierten Internet-Kaufhaus, das die IBM in den USA initiiert hatte. Das Konzept, das vorsah, daß Markenartikelhersteller und Händler virtuelle Verkaufsräume mieten sollten, ging nicht auf. Die großen Handelshäuser weigerten sich, ihre Marke dem Oberbegriff World Avenue unterzuordnen. Und die Euphorie der Konsumenten blieb aus. Im Internet, wo das nächste Angebot nur eine Bookmark oder eine kurze http-Adresse entfernt liegt, ist es wenig sinnvoll, unterschiedliche Läden ohne zwingenden Grund unter einer Adresse zusammenzufassen. Eine willkürliche Anordnung von Ladenflächen hat kaum Nutzwert für den Besucher.

Theoretisch bedeutet eine zentrale Verkaufsfläche einen größeren Bekanntheitsgrad, als ihn ein Kleinunternehmen allein erzielen könnte.

Und ein einheitlicher virtueller Einkaufskorb, in den der Käufer Artikel aus verschiedenen Läden packen kann, schafft auch für die Anbieter einen Mehrwert. Aber das Ladenangebot muß sinnvoller zusammengestellt werden, als dies heute meist der Fall ist. Zudem wird die übergeordnete "Marke" eines Internet-Kaufhauses für den Ladenbetreiber zum Problem, wenn er sich ihr unterordnen muß und möglicherweise mit Nachbarläden in Verbindung gebracht wird, deren Angebot aus weniger wünschenswerten Produkten besteht.

Wahren Nutzen versprechen nur Einkaufszentrums-Partnerschaften, die drei Kriterien erfüllen: Sie müssen einen zentralen virtuellen Einkaufskorb unterstützen, hohe Qualitätsmaßstäbe anlegen und stringent zielgruppenorientiert aufgebaut sein. Dieses Konzept verfolgt My world, das deutsche Internet-Kaufhaus von Karstadt. Allerdings räumen die Macher ein, daß sie ihre Zielgruppenorientierung noch verbessern müssen.

Der langfristige Erfolg von My world ist also abzuwarten. Einige Beobachter betrachten das Projekt heute schon als Flop und beziffern die Tagesumsätze weniger als 1000 Mark, was Karstadt bestreitet, ohne jedoch eine andere Zahl zu nennen.

Wie dem auch sei: Wer nicht gerade KaDeWe oder Mercedes-Benz heißt, wird zudem Probleme haben, sein Geschäft bei My world unterzubringen. Dies ist keine Plattform für kleine oder mittlere Unternehmen, und Firmen, die in Spezialsegmenten tätig sind, dürften eine breitgefächerte Zielgruppe wie "die ganze Familie" auch nicht sonderlich interessant finden.

Viel spannender sind gemeinschaftliche Netzangebote von kleinen und mittleren Unternehmen, die sich an eine gemeinsame Zielgruppe richten. Hier gibt es auch in Deutschland schon erste Ansätze für die unterschiedlichsten Gruppen. Die Textkästen auf der folgenden Seite liefern dafür vier Beispiele: für Einzelhändler in der Modebranche, für Innenarchitekten und Designer sowie für Kunden und Zulieferer der Maschinenbauindustrie. Wenn der Jugendtrend zur Mikrosegmentation weiter zunimmt, ist es auch im Consumer-Bereich wahrscheinlich, daß spezialisierte Netzgemeinschaften - beispielsweise Spezialangebote für Inline-Skater oder Fans von Ambient-Musik - langfristig erfolgreicher sind als der Breitenansatz von My world.

Es gibt ein Vorbild für den gemeinschaftlichen Netzauftritt, und er kommt sogar aus Europa: die mittelalterlichen Gewerbestraßen, auf denen unter Zunftaufsicht alle lokalen Schuhmacher oder Schlossermeister zu finden waren. Dieser Ansatz wird es kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, gemeinsam ihre Produkte oder Dienstleistungen ins Netz zu stellen, um so gegen den Bekanntheitsgrad der großen Marken anzukämpfen. Wenn sich diese Netzgemeinschaft als erfolgreiches Modell herausstellt, wird sie eine der wenigen aus dem Internet gewachsenen, virtuellen Strukturen sein, die der Macht der "wirklichen Welt" mit ihren bekannten globalen Marken standhalten kann.

Das Konzept gemeinschaftlicher Netzangebote ließe sich auch mit dem Trendbegriff "Extranet" umschreiben. Extranets sind Verknüpfungen zwischen den Intranets verschiedener Firmen und dazu bestimmt, Informationen wie Preise und Lagerbestände auszutauschen. Für Eingeweihte eröffnen Extranets langfristig eine günstige, nichtproprietäre Alternative zum aufwendigen und teuren Electronic Data Interchange (EDI). Allerdings sind die Netzgemeinschaften, die hier beschrieben werden, bislang hauptsächlich Marketing- und Verkaufsinstrumente.

Die im Aufbau befindlichen Netzkooperativen verbindet die Tatsache, daß dort konkurrierende Hersteller für eine spezifische Käuferschicht eine gemeinsame Produktdatenbank aufbauen. Zum Teil wird diese Datenbank durch ein redaktionelles Angebot oder eine Verknüpfung um das Warenwirtschaftssystem der Teilnehmer ergänzt. Nur das Beispiel aus dem Maschinenbau befindet sich noch im Planungsstadium.

Die Käufer kostet die Teilnahme nichts, sie benötigen lediglich einen Internet-Anschluß mit der zugehörigen Software. Die Anbieter müssen für die Aufnahme in die Produktdatenbank eine Gebühr entrichten, die sich aus einem jährlichen Festbetrag und einer volumen- beziehungsweise umsatzabhängigen Zahlung zusammensetzt. Die Teilnahme kann im ersten Jahr je nach Netzgemeinschaft und Umsatz zwischen 5000 und 15000 Mark kosten.

Die hier aufgeführten Beispiele resultieren zumeist aus der Zusammenarbeit privater und öffentlicher Institutionen der Länder, des Bundes oder der Europäischen Kommission. Auf der privaten Seite sind Marketing-Spezialisten wie Werbe-, Design- und New-Media-Agenturen involviert.

Ein einzelner Hersteller aus einer Industrie hätte es im Alleingang wohl schwer, seine Konkurrenten von einem solchen Gemeinschaftsprojekt zu überzeugen. Daher kommt öffentlichen Institutionen und privaten Agenturen eine Mittlerrolle zu. Im Maschinenbau-Extranet ist etwa die Gesellschaft für Informationsverarbeitung der Industrie- und Handelskammern beteiligt.

Möglicherweise eignen sich Handelskammern ideal für diese Mittlerrolle. Schließlich dienen sie ohnehin als Verbindungsglied zwischen Wirtschaft und Staat. In der Tat gibt es aus diesem Bereich einige Initiativen. Wünschenswert wäre jedoch ein auf spezielle Industrien und Zielgruppen fokussierter Ansatz. Auch Schnelligkeit ist absolut erforderlich. Mit trägen Gremien und detaillierten Umfragen sollten die Interessenten nicht behelligt werden.

Die IHK Aachen beispielsweise hat für ihre 8500 Mitgliedsunternehmen eine kostenlose Homepage erstellt, die die Firmen selbst aktualisieren. Auch der Deutsche Industrie- und Handelstag ist im Web aktiv, so etwa das Delegiertenbüro der Deutschen Wirtschaft in Singapur, das auf dem Internet ein virtuelles "German Technology Symposium" (GTS) initiiert hat, eine gemeinsame Plattform, auf der sich deutsche Firmen im asiatischen Raum vorstellen können http://www.diht.com.sg . Nach den bisherigen Erfahrungen des Delegiertenbüros ist eine Internet-Präsenz in Asien besonders wichtig.

Diese sehr unterschiedlichen Angebote besitzen alle einen großen Vorteil gegenüber Seiten, die im Alleingang produziert werden: Sie offerieren dem Internet-Surfer einen einzelnen Zugangspunkt. Der "Point of Information" im Internet, manchmal sogar der "Point of Sale," wechselt damit von der Seite des Anbieters auf die des Käufers.

Hier verbinden sich gleich drei große Trends der von Management-Gurus gepredigten digitalen Zukunft: die Entstehung von Käufer- statt Produzentenmärkten, die zunehmende Bedeutung kooperativer Strategien in der Wirtschaft und die "Reintermediation", das Aufkommen neuer Mittlerstrukturen zwischen Käufern und Anbietern.

Das Wichtigste an dem Konzept des gemeinschaftlichen Netzauftritts ist, daß es stark zielgruppenorientert ist und mit hohen Qualitätskriterien operieren kann. Diese Art von E-Commerce-Partnerschaften wird - trotz ihrer mittelalterlichen Herkunft - mehr Zukunft haben als die Online-Gemischtwaren-Einkaufszentren.

Maschinenbau

Dieses Beispiel für eine Extranet-Netzgemeinschaft ist noch nicht ganz ausgereift, dafür aber sehr ambitioniert. Das Pilotprojekt der Europäischen Kommission im Rahmen der G7-Initiative "Globaler Marktplatz für kleine und mittlere Unternehmen" ist seit kurzem unter der URL http://www.agentisme.com präsent. Agentisme wird zwei bereits existierenden Netzwerken aufgesetzt: dem Netz der deutschen Industrie- und Handelskammern http://www.ihk.de sowie dem Global Engineering Network von Siemens-Nixdorf http://www.gen.net . Die Projektleitung liegt bei der IHK Gesellschaft für Informationsverarbeitung, Dortmund. Mit im Boot sitzt auch die Regensburger New-Media-Agentur Spin. Teilnehmer und Zielgruppe sind die Maschinenbauindustrie beziehungsweise ihre Kunden. Nach Abschluß der Anforderungsanalyse sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um über die Web-Page umfangreiche digitale Produktdaten (zum Beispiel CAD-Zeichnungen) auszutauschen. Gleichzeitig soll Agentisme für Marketing-Zwecke verwendbar sein - etwa als Schwarzes Brett für Auftragsausschreibungen. Der Automobilzulieferer Klotz aus Kötz, der zehn Mitarbeiter beschäftigt, sagte bereits seine Teilnahme zu. Das Unternehmen, das stark im Exportgeschäft engagiert ist, hat eine eigene Web-Seite, benötigt aber dringend eine kostengünstige funktionierende Online-Plattform, über die sich weltweit Produktdetails austauschen lassen. Vorbild für Agentisme und andere Netzgemeinschaften ist das "Trading Process Network" (TPN) von General Electric. Das 1994 aufgesetzte System hat das Ziel, Aufträge an Zulieferer elektronisch zu verteilen. 1995 lag der Wert dieser Aufträge bereits bei 250 Millionen Dollar. Rund 800 Partnerfirmen hatten sich beworben.

Extranets für die Mode

Die Modeindustrie kann sich auf die Schulter klopfen. In puncto Nutzung der neuen Medien ist sie anderen Branchen voraus. Neben einem hervorragenden Internet-Angebot der Branchenzeitschrift "Texilwirtschaft" http://www.twnetwork.de gibt es gleich zwei konkurrierende Netzgemeinschaften, "Moda" aus München http://www.moda.de und "BPS" aus Karlsruhe http://www.bps.de . Zielgruppe beider Initiativen sind Einzelhändler und Hersteller, die mit einem geschlossenen Extranet verbunden sind. Beide Systeme versuchen zudem, Effizienz zu schaffen, indem sie eine Verbindung zu den Warenwirtschaftssystemen der Teilnehmer herstellen. Sie haben jedoch unterschiedlichen Ursprung. Moda wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie im Rahmen des Projekts "Bayern Online" mit zirka 2,2 Millionen Mark gefördert. Das Projekt läuft seit Dezember 1995 und ist bis zum November 1997 befristet. 14 Hersteller und 100 Einzelhändler haben sich von der bisher kostenlosen Teilnahme überzeugen lassen. Der Betreiber, die BBE Handelsberatung GmbH, drängt jedoch auf eine Finanzierung durch Beiträge der Hersteller. Demnach soll künftig jeder Hersteller eine einmalige Gebühr von 6000 Mark zahlen, dazu einen monatlichen Betrag, der sich nach dem Umsatz richten wird und zwischen 600 und 2000 Mark betragen kann. Interessant wird sein, ob Moda sich als privates Geschäft halten und wie sich dieses Angebot gegenüber dem Konkurrenten BPS behaupten kann. Im Unterschied zu Moda entsprang BPS einer privaten In- itiative: der Kooperation zwischen der Werbeagentur Compart Schnell und dem DV-Consultant Harald Kappus. Am 21. Juli dieses Jahres nahm das Extranet mit acht Herstellern den Betrieb auf. Seither interessiert sich auch das Land Baden-Württemberg für das Projekt. Über die landeseigene MFG Medien- und Filmgesellschaft fördert es nun die Teilnahme von Herstellern. 40 Firmen, schwerpunktmäßig aus Baden-Württemberg, aber auch aus Sachsen-Anhalt, ließen sich so gewinnen. Die Teilnahmegebühr beträgt einmalig 2950 Mark, hinzu kommen volumenabhängige monatliche Zahlungen, die beispielsweise für 150 Artikel bei rund 150 Mark liegen. Ab dem zweiten Betriebsjahr ist ein Jahresbetrag von 2000 Mark fällig.

Designer

Zurückhaltende, elegante Seiten empfangen den Besucher unter http://www.euro-design-guide.de. Der "Euro-Design-Guide" ist ein Projekt vom Rat für Formgebung, Frankfurt/M. und zwei ebenfalls in der Finanzmetropole ansässigen Designagenturen, Bertsch & Bertsch sowie Möller + Thöne. Die New-Media-Gruppe www.surface.de steuerte das Interface-Design bei. Zwar ist das Internet- Angebot öffentlich zugänglich, doch richtet es sich primär an Innenarchitekten und Designer. Hier finden sich überwiegend Produkte kleiner und mittlerer deutscher Designunternehmen - derzeit rund 300 an der Zahl. Zu den Anbietern gehört die 1500 Mitarbeiter zählende Firma Hewi aus Kassel, die auf Türgriffe spezialisiert ist. Ihrem Vernehmen nach könnte der Euro-Design-Guide zum internationalen Schaufenster für deutsches Design avancieren. Außerdem sieht sie das Web-Angebot als Unterstützung für ihre eigene Web-Seite. Finanziert wird der Euro-Design- Guide durch die teilnehmenden Hersteller. In einer Jahrespauschale von 7000 Mark sind 25 Projektvorstellungen inbegriffen, die die Firmen selbst pflegen sollen. Zentral erstellt wird ein redaktionelles Angebot. Die Zusammenarbeit mit Designgruppen aus Tokio und New York ist bereits angekündigt.

*Niko Waesche studiert an der London School of Economics and Political Science. Er gehört außerdem dem Projektteam Neue Medien eines Privatbankhauses an und ist an der Designagentur www.surface.de beteiligt. (E-Mail: waesche ...)