Die Jobs des neuen Jahrtausends

Geoinformatiker: Spezialisten für digitale Räume

03.11.2000
Von VON Helga
Geoinformatik ist im Begriff, sich zu einer Disziplin mit bedeutenden Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Aber nur wenige Hochschulen bieten das Fach bereits an. Bei diesem Studienfach werden der Umgang mit Geoinformationssystemen, die Möglichkeiten der 3D- und 4D-Visualisierung und die Nutzung von Geodaten auf DV-gestützter Grundlage gelehrt. Den Bildschirm füllt eine Weltkarte.

Klick - das Gebiet Kanadas erscheint vergrößert. Klick - die Lebensräume verschiedener Eskimostämme kommen ins Bild. Klick auf "Inuit" - jetzt steht Wissenswertes über diese Volksgruppe auf dem Monitor. Schließlich kann man ein Bilddokument über das Aussehen der Inuit oder eine Tonsequenz mit dem Klang ihrer Sprache wählen.

Sabine Probst vermittelt mit der Demoversion "Eskimosprachen" einen Eindruck davon, was ein Geoinformationssystem (GIS) leisten kann. Die Geoinformatikerin bietet seit einem Jahr Dienstleistungen und Applikations-Programmierung auf GIS-Basis an. Die Firma Geocontor, die Probst gemeinsam mit einer Partnerin betreibt, schult und berät Anwender aus Ämtern und Behörden. Was muss der Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamts beachten, wenn er raumbezogene Daten benötigt? Wie lässt sich GIS im Katasteramt anwenden? Nun weitet Probst ihr Angebot auf die Privatwirtschaft aus. Das Internet ergänzt die Möglichkeiten, Geodaten zu erfassen und aufzubereiten oder bereits vorhandene zu recherchieren und zu vermarkten.

"Das Geschäft mit Geodaten boomt

So muss etwa ein Ingenieurbüro Daten für den Straßenbau nicht neu erfassen, wenn das die Gemeinde schon getan hat. Der Versicherer sieht auf einen Blick, wie groß die Hochwassergefahr in einer Region ist. Dem Immobilienmakler erleichtern digital aufbereitete Raumdaten die Suche nach einem geeigneten Gewerbegrundstück. "Einerseits boomt das Geschäft mit Geodaten", weiß Probst. "Andererseits ist es ein sensibler Markt: Die visuelle Aufbereitung von raumbezogenen Daten ist ein nettes Extra. Wenn aber das Geld knapp wird, verzichtet man lieber darauf."

Als die Unternehmerin vor fünf Jahren das Kartografiestudium an der FH München beendete, spielte in dem Fach der Computer noch keine große Rolle. Probst brachte sich IT-Grundlagen selbst bei, machte Praktika bei GIS-Herstellern und verabschiedete sich von der manuellen Kartografie, dem Zeichnen von Hand: "Ich habe gesehen, dass das ein Auslaufmodell war." Danach betreute die Geoinformatikerin vier Jahre lang in einem Ingenieurbüro wasserwirtschaftliche Projekte auf GIS-Basis. "Erfahrungen als fest angestellte Mitarbeiterin sind wichtig, um betriebliche Abläufe kennenzulernen: Angebotserstellung, Projekt-Management, Kostenrechnung", berichtet Probst aus ihrer Anfangszeit. Als sie keine berufliche Weiterentwicklung im Vermessungsbüro sah, hat sie den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. "Ich rechne mit einer Durststrecke von mindestens zwei Jahren. Zum einen muss man sich in der Branche einen Namen machen. Zum anderen vergeht in der Regel viel Zeit, bis sich der Kunde

entscheidet, ob er einen Auftrag erteilt."

Nach Ansicht Probsts besteht das erforderliche Wissen von Geoinformatikern inzwischen zu einem hohen Prozentsatz aus IT-Kenntnissen. "Die Fachkenntnisse aus Geografie, Kartografie und Vermessung rücken immer mehr in den Hintergrund und lassen sich anlernen", meint sie. Deshalb könnten sich auch Wirtschaftsinformatiker leicht auf diese Arbeit spezialisieren. Gleichzeitig rät sie, sich in dem noch diffusen Berufsfeld ein eigenes Profil zuzulegen. Am besten gelinge dies in studienbegleitenden Praktika, mal bei einem GIS-Hersteller, mal bei einem Anwender und mal bei einem Dienstleister: "Das hat mir geholfen, meinen Schwerpunkt im Bereich Schulung und Applikationsentwicklung zu definieren."

Chief Technology Officer

Wenn Frank Meier seinem Kunden eine E-Business-Lösung vorschlägt, trägt er eine große Verantwortung. Als CTO (Chief Technology Officer) der Hamburger Medienwerft ist er für die Auswahl der Technik zuständig - und entscheidet damit nicht nur über große Investitionssummen, sondern auch über Entwicklungszeit und -aufwand sowie künftige Ausbau- und Erweiterbarkeit. Dabei sind im Internet-Geschäft die Projektzyklen im Vergleich zum klassischen Consulting deutlich kürzer. Um in dem innovationsfreudigen und schnelllebigen Markt zu bestehen, berichtet der CTO aus eigener Erfahrung, muss eine E-Business-Lösung exakt - von Front- bis Backend - auf die spezifischen Anforderungen des Kunden zugeschnitten sein. Mit kompetentem Rat kann hier nur aufwarten, wer sich über neueste Entwicklungen im Bereich Softwaretechnologie, Internet und E-Commere auf dem Laufendem hält.

Meiers Unternehmen versteht sich als Full-Service-Agentur, die ihren Kunden von Consulting über Systementwicklung und Integration bis zum Marketing alle Leistungen im Bereich der digitalen Medien und Kommunikation aus einer Hand anbietet. Als CTO ist Meier, 31, dafür zuständig, im Einzelfall die Auswahl für Software, Datenbank, Entwicklungswerkzeuge oder auch Standard-Applikationen zu treffen. Doch das ist nur ein Teil seines Arbeitsgebietes. Seine Aufgabe sieht er vor allem darin, sein Know-how und das des Unternehmens auf dem neuesten Stand zu halten und dafür zu sorgen, dass alle Schlüsselqualifikationen verfügbar sind. Damit stehen für ihn die Ausrichtung auf Software und Entwicklungs-Tools, vor allem aber die personelle Ausstattung des Unternehmens permanent auf dem Prüfstand.

"Bei der schnellen Entwicklung im Internet und E-Business-Bereich kann ich nicht jedes neue Datenbanksystem und jede Programmiersprache beherrschen", räumt der Geschäftsführer ein."Aber ich muss dafür sorgen, dass wir die Kompetenz und die adäquate Software im Hause haben." Ein wichtiger Teil seines Aufgabengebiets besteht deshalb darin, frühzeitig die Tendenzen und Entwicklungen im E-Commerce-Markt zu erkennen und abzuschätzen. Dabei setzt er auf seine Kontakte ins Silicon Valley, wo sein Unternehmen seine Präsenz ausbaut.

Diplominformatiker Meier hält neben einer akademischen Ausbildung mit informationstheoretischem Hintergrund, einem ausgeprägten Interesse an technischen Zusammenhängen und Spaß an den digitalen Medien eine starke administrative Position des CTOs für unverzichtbar. Als einer von vier Geschäftsführern legt er in Abstimmung mit seinen Kollegen im technischen Bereich die strategische Marschroute des Unternehmens fest.

"Das Internet ist eine internationale, von der englischen Sprache dominierte Plattform. Da macht eine Berufsbezeichnung, die weltweit verstanden wird, nicht nur für ausländische Kunden und Partner Sinn, sondern bietet sich auch im Hinblick auf einen möglichen Börsengang an."

Dabei ist die internationale Verständlichkeit nicht der alleinige Grund: Auch wegen des Fehlens einer gleichwertigen deutschen Bezeichnung sieht Meier sein Tätigkeitsfeld mit dem Begriff CTO am treffendsten beschrieben. Während der "EDV-Leiter" nur einen kleinen Teil seiner Aufgabenstellung abdeckt und vor allem die beratende Funktion außer Acht lässt, klingt der naheliegende "Geschäftsführer Technik" eher nach Kombizange und Schraubenzieher als nach qualifizierter Beratung in zukunftsweisender Softwaretechnologie. Auch deshalb deutet einiges darauf hin, dass der CTO zumindest im Internet- und E-Business-Bereich zur gängigen Berufsbezeichnung avancieren wird.

*Helga Ballauf arbeitet als freie Journalistin in München, Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.

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