Gefunden: Charakterköpfe mit Rückgrat

15.11.2007
Neue Mitarbeiter und Einladungen zu Vorträgen das ist das Ergebnis einer pfiffigen Plakataktion des Softwareherstellers Wilken. Das Beispiel zeigt: Gegen den fehlenden Führungsnachwuchs lässt sich etwas tun.

Zeigen Sie uns, was Sie draufhaben!" Harald Varel wird neugierig. Eben hat der 39-Jährige auf der täglichen Autofahrt von seiner Heimatstadt Ulm nach München das Wilken-Plakat an der Bushaltestelle flüchtig wahrgenommen. Es ist Februar 2007, die Zeit, in der sich der promovierte Physiker über seine berufliche Zukunft Gedanken macht. Sechseinhalb Jahre bei Siemens, Gesamtprojektleiter für UMTS-Mobilfunk mit einem Budget von über 100 Millionen Euro, dann die Zusammenlegung der Netzwerkbereiche von Nokia und Siemens zum Weltunternehmen NSN mit der Ankündigung von rund 2300 Entlassungen in Deutschland. Varel selbst wird im CIO-Umfeld eine Gesamtprojektleitung rund um das Thema IT-Infrastruktur angeboten. Die Zeit ist reif für einen Wechsel, denkt der Projektleiter. Unter www.jobs-ulm.de stößt er wieder auf Wilken. Und dort heißt es: "Willkommen in der Wilken-Familie".

"Verstaubte Materie"

Im vergangenen Jahr hat Wilken zwei Unternehmen übernommen und braucht nun guten Führungsnachwuchs. "Unser Kerngeschäft ist Rechnungswesen. Mit dieser verstaubten Materie lockt man nur wenige Hochschulabsolventen hinterm Ofen hervor. Doch wir haben heute viel mehr zu bieten", so Geschäftsführer Andreas Lied. Damit zielt er auf neue Techniken und interessante Kunden wie den größten deutschen Einzelhandelsdiscounter ab. Weitere Arbeitsfelder sind hinzugekommen. So erstellt Wilken die Technik für grenzüberschreitende touristische Smartcards ebenso wie für Lösungen in der elektronischen Beschaffung. Ganz neu ist das Geschäftsfeld rund um die Benutzerfreundlichkeit von Websites und von Software im Allgemeinen. Hier geht es unter anderem darum, mit Hilfe einer Augenkamera die Blickrichtungen der Nutzer aufzuzeichnen und zu analysieren.

Seit Mitte September ist Varel nun Wilken-Mitarbeiter und zwar persönlicher Referent von Geschäftsführer Andreas Lied ("Physiker trifft Physiker"). Einige seiner Kollegen hatte er vor dem ersten persönlichen Gespräch bereits auf Citylight-Plakaten "kennen gelernt". An allen Bushaltestellen in Ulm und an den schwarzen Brettern sämtlicher Fakultäten der Hochschulen der Region schauten im Februar Wilken-Führungskräfte potenziellen Kandidaten ins Gesicht. Den üblichen IT-Business-Look mit Anzug und Krawatte legten dazu sieben Mitarbeiter der Leitungsebene fürs Foto-Shooting ab. Dafür zogen sie ihre Sportsachen oder ihre Freizeitklamotten an. "Wir haben auf den Plakaten Menschen gezeigt, die so geblieben sind, wie sie sind, sich nicht verbiegen lassen und Rückgrat haben", meint Ideengeber Wolfgang Grandjean, bei Wilken zuständig für Marketing und PR.

Mit der Aktion wollte das mittelständische IT-Unternehmen mit 250 Mitarbeitern junge Hochschulabsolventen für sich begeistern. Dabei galt es zunächst zu erreichen, dass der IT-Nachwuchs das schwäbische Unternehmen überhaupt als potenziellen Arbeitgeber wahrnimmt. Denn, so Wilken-Geschäftsführer Lied: "Zu oft lassen sich die Neueinsteiger von den Platzhirschen mit den großen Namen blenden und übersehen die etwas kleineren aber durchaus feinen Adressen in der Umgebung."

Die Zugriffszahlen auf die Wilken-Homepage stiegen nach Beginn der Plakatkampagne am 6. Februar 2007 sprunghaft an: Auf die Startseite von www.wilken.de klickten täglich dreimal mehr Interessierte (Anstieg von 4000 auf 12 000 Zugriffe pro Tag). Die Wilken-Karriere-Seite konnte sogar eine Versechsfachung der Zugriffe verzeichnen (Anstieg von 50 auf 300 Zugriffe am Tag). In der Folgezeit landeten in der Personalabteilung deutlich mehr Bewerbungen auf Praktika und feste Stellen als sonst üblich. Eine davon kam von Varel.

Bewusster Wechsel zum Mittelständler

"Ich habe mich bewusst für Wilken entschieden", sagt der Neue. "Schon in der Bewerbungsphase bin ich hier in einer Weise aufgenommen worden, wie ich es in den letzten sechseinhalb Jahren nicht erlebt hatte." Der dreifache Familienvater gehört jetzt zum Führungsteam um Geschäftsführer Lied. "Ich identifiziere mich gerne mit Unternehmenszielen. Im Großkonzern ist mir das schwergefallen, weil man immer nur ein Rad im großen Getriebe ist. Die unmittelbare Entscheidungsgewalt ist ebenso beschränkt wie die persönliche Verantwortung." Deshalb sieht Varel den Wechsel zum Mittelständler nicht als Karriereknick. Finanziell halte sich seine jetzige Position mit der früheren die Waage. Im Übrigen werde es immer schwieriger, Gehälter zu vergleichen. Altersabsicherung, geldwerte Vorteile, Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen irgendwann müsse man abwägen, was einem wichtig ist. "Entscheidungen bei einem Mittelständler haben eine andere Qualität", sagt der Ex-Siemensianer. "Hier ist jeder Mitarbeiter wichtig und wird geschätzt. Bei Siemens hat mir dies gefehlt. Jetzt kann ich mehr gestalten und habe mehr Verantwortung." (hk)