Für jeden das passende System

10.06.2008
Die Globalisierung beendet das Zeitalter der monolithischen ERP-Architekturen endgültig. Kennzeichen der neuen Generation sind intuitive Handhabung und offene Integrationsstandards. Wie kulturelle Eigenheiten die Softwareentwicklung beeinflussen, diskutieren führende Hersteller mit computerwoche Topics.

? Der ERP-Markt existiert seit mittlerweile fast 20 Jahren. Kritiker behaupten daher, das Thema sei längst überholt und todlangweilig - da tue sich nichts mehr. Ist das tatsächlich so?

Ralf Gärtner, Vorstandsmitglied der SoftM AG: ERP ist im betriebswirtschaftlichen Umfeld der interessanteste und spannendste Markt überhaupt. Es gibt kein anderes Marktsegment, in dem das Zusammenspiel von Kunden-Management (CRM), Business Intelligence und den betriebswirtschaftlichen Kernanwendungen derart gefordert ist. In ERP-Software läuft alles zusammen, und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch die internationalen Anforderungen von Unternehmen werden damit abgedeckt. Ich kann mir deshalb keinen spannenderen Markt vorstellen.

Stefan Faust, Geschäftsführer CODA Financial Systems GmbH: Sicherlich ist ERP inzwischen zum Teil Standard, also "Commodity", geworden. Das ist auch verständlich, denn es existiert mittlerweile die dritte Generation der Software-Anwendungen. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb ERP als langweilig erscheint. Der Begriff ist bei Anwendern einfach zur Gewohnheit geworden, aber für uns als Hersteller ist ERP aufgrund der Dynamik im Markt hochspannend.

Wilfried Gschneidinger, Geschäftsführer IFS Deutschland GmbH & Co KG: Aus unserer Sicht erleben wir momentan sogar eine Hype-Phase. Ich glaube, ich spreche hier auch im Namen aller anwesenden Kollegen, dass wir momentan eine der größten Geschäftsnachfragen überhaupt verzeichnen. Nicht die Thematik ERP ist langweilig, wenn überhaupt, dann hat sich die Begrifflichkeit ERP im Laufe der Jahre etwas abgenutzt.

? Können Sie diese Dynamik bitte genauer erklären? Wie schätzen Sie derzeit den ERP-Markt ein?

Ralph Monssen, Produktmanager bei Comarch Software AG: Zwei wesentliche Punkte prägen den Markt derzeit: Das ist einmal die Globalisierung mit ihren Herausforderungen. Zum anderen sind viele Firmen, die vor zehn Jahren ein ERP eingeführt haben, an dem Punkt angelangt, ihre System zu erneuern und neu zu gestalten.

Achim Ramesohl, Director BG Business Solutions, Microsoft Deutschland GmbH: Die Globalisierung ist mit Sicherheit einer der Haupttrends. Selbst mittelständische Unternehmen konkurrieren heute mit Firmen auf der ganzen Welt. Was sich seit Jahren abzeichnet, ist die zunehmende Komplexität des Geschäftsumfelds. Die Aufgabe der ERP-Anwender besteht nun darin, diese Komplexität wieder herauszunehmen. Wir als ERP-Anbieter müssen dafür sorgen, dass diese Komplexität so benutzerfreundlich und intuitiv wie möglich zu managen ist. Das gilt auch für die Implementierung der Lösungen. Jahrelange Einführungen von ERP-Systemen sind passé. Die Anwender brauchen Lösungen sofort.

Günter Velten, Nissen & Velten Software GmbH: Hinzu kommt die Vergleichbarkeit durch das Internet. Unternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, dass Prozesse nicht sauber abgebildet sind. Die Kunden akzeptieren es nicht mehr, wenn es in einem Unternehmen Informations-Brüche, Pannen, Schwierigkeiten in der Abwicklung gibt und keine Transparenz vorhanden ist. Diese Forderungen müssen die Unternehmen immer stärker berücksichtigen. Ohne Instrumente, die diese Prozesse unterstützen, ist das nicht mehr möglich. Da ist die Bereitschaft der Unternehmen im Moment einfach da, zu investieren.

? Welchen Vorteil haben die Kunden durch neue Systeme?

Alexander Arnold, Geschäftsführer Steeb Anwendungssysteme GmbH: Das sind oft Vorteile, die augenscheinlich sehr einfach klingen, aber eine große Wirkung haben können. Ein Beispiel: Wir hatten kürzlich bei der Fachabnahme eines Prototyps ein aufschlussreiches Ereignis. Dort haben die Hauptanwender der Geschäftleitung begeistert den Prozessablauf präsentiert. Vom Einkauf über den Vertrieb bis zum Qualitäts-Management. In den einzelnen Prozessphasen gab es keine Brüche mehr. Die einzelnen Aufgaben aller Beteiligten waren mittels ERP miteinander verzahnt. Niemand musste beispielsweise Informationen zusätzlich in Excel-Tabellen erfassen. Alle Informationen sind voll integriert.

? Sie haben jetzt alle die Globalisierung angesprochen, die sowohl die ERP-Anbieter als auch die Anwender zu neuen Wegen zwingt. Aber was bedeutet das konkret?

Gschneidinger: Viele Unternehmen finden im zunehmenden Maße ein verändertes Marktumfeld vor. Der Wettbewerb hat sich in vielen Branchen durch die Internationalisierung und Globalisierung komplett gewandelt. Deshalb müssen sich die Firmen auch in ihrer strategischen Ausrichtung neu orientieren, um in ihrem Markt bestehen beziehungsweise weitere Marktanteile erobern zu können. Unternehmen, die sich bislang auf einen Binnenmarkt wie Deutschland oder die Schweiz beschränkt haben, kommen automatisch in die Situation, sich international neue Märkte erschließen zu müssen, um weiter wachsen zu können. Für uns ERP-Anbieter bedeutet das eine erhöhte Nachfrage, weil die bestehenden Systeme zum Teil so veraltet und regional konzipiert sind, dass sie fallweise noch nicht einmal Fremdwährungen abbilden können.

Gärtner: Ein weiterer Markttreiber kommt hinzu: ERP-Systeme verabschieden sich zunehmend von der intrinsischen und monolithischen Sichtweise, das heißt, sie richten ihren Blick nicht nur auf sich selbst, sondern öffnen sich für neue Aufgaben. Ein Beispiel dazu aus der Textilindustrie: Die meisten Textilunternehmen produzieren nicht mehr in Deutschland. Sie haben sich von einem Produzenten zu einem Lieferanten gewandelt. Sie sind verantwortlich für die Planung einer Kollektion, die Produktion findet aber ganz woanders statt. Das Management braucht effektive Instrumente, um das steuern zu können - neue ERP-Systeme mit Multisite-Fähigkeit bieten dazu Lösungen.

Monssen: Es gibt auch noch ein anderes Szenario: Auf dem Heimatmarkt kann ein Unternehmen bestehen, allerdings muss es sich überlegen, wo es seine Waren einkauft. Zum Beispiel bezieht ein Unternehmen seine Chemikalien aus China und liefert sie weiter an Fabrikanten. Früher hat das Unternehmen diese Chemikalien aus Deutschland bezogen. Diese neue Lieferkette, dieser neue Prozess verlangt nun ganz andere Anforderungen an das Unternehmen. Die Behandlung von Fremdwährungen ist da nur ein Thema. Der Lagerbestand muss so sein, dass es auch dann liefern kann, wenn ein Schiff auf China nicht rechtzeitig ankommt.

Faust: Aufgrund der Globalisierung und Internationalisierung haben wir es bei den Anwendern auch mit unterschiedlichen Mentalitäten und Bildungsgraden zu tun, das geht weit über das reine Sprachproblem hinaus. ERP-Systeme müssen mehr berücksichtigen, als dass die Dateneingabe akkurat und der Maskenaufbau verständlich ist. Verschiedene Sprachen und Währungen zu managen, dass machen wir doch seit fast dreißig Jahren. Aber jetzt kommt noch der kulturelle Unterschied hinzu, der berücksichtigt werden muss. Also nicht deutsche Anwendungsprinzipien den Osteuropäern und Asiaten übezustülpen. Für diese Themen gibt es keine guten ERP-Begrifflichkeiten.

? Was hat ERP mit Mentalität zu tun?

Gschneidinger: Das kann man mit einem Satz beantworten. Die Benutzerfreundlichkeit geht immer mehr in Richtung intuitive Handhabung, wie es die heutige i-Pod-Generation bereits gewohnt ist. Das ist ganz einfach eine Altersfrage. Die jungen Menschen, die jetzt von den Schulen und Universitäten abgehen, haben einen ganz anderen Umgang mit Technik als unsere Generation das noch hatte. Eine Maussteuerung war für uns doch schon fast ein kultureller Quantensprung. Heute gibt es deshalb auch ganz andere Anforderungen.

Bei der momentanen Komplexität der ERP-Systeme ist es sehr schwer, mit einem Klick die richtigen Informationen zu bekommen. Wir haben da eine Funktionalität entwickelt, ähnlich der Google-Funktion, mit der die Anwender innerhalb der Applikationen schnell und effizient suchen können.

? Das ist aber etwas, was weltweit bereits der Fall ist. Wir haben aber jetzt über die verschiedenen Mentalitäten und Kulturen gesprochen. Wie wirkt sich das konkret aus?

Velten: Das wirkt sich sehr stark aus. Wenn Sie in einem lokalen Markt erfolgreich sein wollen, dann müssen Sie die Sprache sprechen. Sie können nicht einfach davon ausgehen, dass eine deutsche Software auch in der Schweiz oder Österreich erfolgreich ist. Das geht mit einfachen Begriffen los. Zum Beispiel sind die Begriffe UVA oder G&V in der Schweiz nicht gebräuchlich, dafür sollte man wiederum als Beispiel wissen, was eine Betreibung ist. Der Käufer fühlt sich nicht repräsentiert, wenn er seine "Sprache" nicht wieder findet.

Monssen: Mentalität ist aber nicht nur die jeweilige Sprache. Es geht ja auch darum, welche neuen technischen Funktionalitäten eingebracht werden sollen. Gerade in Asien, wo die Menschen sehr technikaffin sind und die Mobilität im Vordergrund steht. Dem muss man Rechnung tragen. Wir sind eher konservativ im Umgang mit neuen Technologien und warten erst einmal ab. In Asien will man immer das Neueste vom Neusten und setzt es auch sofort um. Die Forderungen sind also ganz andere.

Faust: Aber: Sie führen das Produkt bei einem Kunden ein mit einem Standard und einer Ergonomie. Ein weiterer Kunde möchte es in den Ländergesellschaften aber anders haben. Das muss man eben auch können, und es muss für den Kunden bezahlbar sein. Hinzu kommt, dass Prozesse je Land und Kulturkreis sehr verschieden sein können. Freigabeprozeduren, Genehmigungen und Kompetenzen sind sehr verschieden geregelt, was wiederum einen Einfluss auf den Workflow haben kann.

Gärtner: Für mich ist die Ergonomie das Entscheidende. Hier hat sich die Welt seit einigen Jahren gewaltig geändert. Jeder kann das Internet bedienen, das ist ein De-facto-Standard. Und diesen Standard muss man mit seinen Produkten unterstützen, wenn man international tätig ist. Die Bedienung muss schnell erlernbar sein.

Arnold: Mentalität ist wichtig, wenn eine deutsche Firma ins Ausland geht. Es ist aber auch wichtig, die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten, um beispielsweise einen rechtsgültigen Jahresabschluss zu erstellen. Dazu kommt, dass Firmen ihre Produkt- und Prozessqualität auch in neuen Ländern abbilden wollen. Das kann ein ERP-System sehr wohl abbilden. Das Begrenzende ist eher, die entsprechenden Ressourcen zu haben.

? Die Frage ist also: Man hat einen Standard und unterschiedliches Mentalitäten. Kann man das überhaupt mit einer Lösung bedienen?

Velten: Eine Software muss einen technologischen Standard haben: Sie muss unterschiedliche Währungen abbilden, über eine intelligente Ergonomie verfügen und gesetzliche Anforderungen berücksichtigen können. Sie sollte aber auch schnell anpassbar sein und moderne Technologien beherrschen. Es müssen daher auch Schnittstellen zu Kollaborationswerkzeugen vorhanden sein, um Communities aufbauen zu können, über die ein Erfahrungsaustausch möglich ist.

Arnold: Der Mittelstand definiert sich doch dadurch, dass er im Aufbauen von IT-Ressourcen begrenzt ist. Es wäre natürlich denkbar, wenn man für jedes Land der Welt das jeweilige System nimmt. Aber das ist einfach nicht leistbar. Das heißt, sie können nicht für jede Abteilung ein System aufrechterhalten. Sie brauchen also zwei Dinge: einen stabilen Kern, der gewisse Standards unterstützt, wo dann - zweitens - andere Lösungen angebaut werden können. Man muss schon die Restriktionen betrachten, die es im Mittelstand einfach gibt.

? Stabiler Kern plus die Möglichkeit, flexibel Ergänzungen vornehmen zu können. ERP-Systeme werden also immer mehr zur Integrationsplattform?

Gärtner: Ja, das in der Tat so. Unsere Erfahrungen zeigen, dass es immer Speziallösungen geben wird. Beispiel Zoll: Das ist ein derart komplexes Thema mit so vielen nationalen Besonderheiten, ich weiß überhaupt nicht, ob es eine Anwendung gibt, die alle internationalen Zollstandards beherrscht. Sie brauchen also ein flexibles System, das dies integriert. Auch Laborsysteme, Zugangslösungen oder Zeitwirtschaftsanforderungen sind oft so speziell, das es sich gar nicht lohnt, sie in den Standard-ERP-Umfang mit aufzunehmen.

Wichtig ist daher: Die Offenheit eines Systems für die Integration von Fremdsystemen. Auch das wird ERP in Zukunft immer mehr beherrschen. Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen.

? Die Quadratur des Kreises geht also weiter?

Velten: Ja, die Quadratur des Kreises geht weiter. Die höheren Anforderungen, die wir durch die Globalisierung haben, die spiegeln sich auch in der Branchenfokussierung wider. Die Entscheider, die heute eine Unternehmenssoftware kaufen, wollen nicht nur eine breit aufgestellte Lösung im Land und international haben. Die wollen auch ihre spezifischen Bedürfnisse abgebildet haben.

? Im Grunde genommen ist das doch ein Widerspruch: Wir haben Internationalisierung, Globalisierung und die verschiedenen Mentalitäten. Trotzdem verfolgen wir mit ERP-Software eine Zentralisierung und Standardisierung. Wie löst man diesen Widerspruch auf? Hat am Ende doch wieder jeder seine eigene, spezielle Installation?

Ramesohl: Man kann diesen Widerspruch beispielsweise durch ein globales Reporting und Business-Intelligence-Konzept auflösen und die landesspezifischen Daten damit dann konsolidieren und zur Steuerung verwenden. Früher hatte man eine ERP-Welt auf der einen Seite und ein Reporting auf der anderen. Heute wachsen diese Disziplinen zusammen. Die Berichte über die einzelnen Länder müssen gleich aussehen. Das ist die Herausforderung für ERP.

Gschneidinger: Dass jeder sein eigenes individuelles Paket schnürt, korrespondiert nicht mit den Zielstellungen unserer Kunden. Wir wollen doch nicht in die Situation der OEMs oder Automobilhersteller kommen, die die Komplexität ihrer Software mit den vielen Best-of-Breed-Einzelpaketen und den damit verbunden Schnittstellen nicht mehr im Griff haben. Dort sind die Schnittstellen die Fehlerquelle Nummer eins. Diese Komplexität müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Natürlich haben Unternehmen, die anorganisch, aber auch organisch gewachsen sind, ein Sammelsurium an Software, die regional verteidigt wird. Aber für einen internationalen ERP-Anbieter gibt es Mittel und Wege, diese Standards auch weltweit verfügbar zu machen, um mit einem System zu arbeiten. Das Ziel heißt für uns Unicode - auch um die Systeme zentral steuern und betreiben zu können.

Faust: Schnittstellen sind aus unserer Sicht gar nicht das Problem. Es wird einfach nicht überlegt, der Datenfluss innerhalb eines Prozesses nicht sauber analysiert, welche Daten von Anwendung A nach B sollen. Wenn besipielsweise eine Deckungsbeitragsrechnung gefordert ist und das vorgelagerte System die Sortimentgrupe liefert, der Kunde aber die Produktgruppe haben möchte. Dann muss die Anwendung angepasst werden. Das hat aber nichts mit den Schnittstellen zu tun. Das Problem ist das geforderte Datengerüst in den Anwendungen. Auch ein Komplettanbieter kann das nicht verhindern.

Schnittstellen an sich sind ja keine Herausforderungen für einen Best-of-Breed-Anbieter, weil sie in jedem Projekt vorhanden sind und erfolreich gelöst werden. Außerdem bewegt sich ja der Markt auf Kundenwunsch endlich zur noch einfacheren Integration hin, zu SOA. Es geht doch auch darum, die unterschiedlichsten Anwendungen zum Nutzen der Anwender miteinander zu verbinden.

? Mit anderen Worten: Wo ist der größte gemeinsame Nenner? Wie findet man den richtigen Mix aus Standardsoftware und Speziallösungen?

Arnold: Das ist eine geschäftsstrategische Frage. Wie weit will man Abweichungen von den Standardprozessen zulassen? Wenn einer der Erfolgsfaktoren im Mittelstand die Frage ist, wie gut habe ich meine Prozesse im Griff, dann gibt es da leider nicht viel zuzulassen.

Gärtner: Auf die Frage: Wie viel Standard?, gibt es keine pauschale Antwort. Es hängt vielmehr von der Situation ab. Klar, bei einem internationalem Rollout kann man relativ einfach einen Standard einführen. Aber es gibt ja oft die Situation, wo Firmen durch internationale Zukäufe oder Zusammenschlüsse wachsen und damit zunächst über verschiedene IT-Lösungen verfügen. Da sieht das schon ganz anders aus. Hier müssen völlig unterschiedliche IT-Systeme miteinander verbunden werden. Und hier einfach zu sagen, wir führen jetzt eine Standardsoftware überall und sofort ein, halte ich für problematisch.

Velten: Bei internationalen Zukäufen spielt die Software des übernommenen Unternehmens eine untergeordnete Rolle. Es ist zu 100 Prozent eine Management-Entscheidung, wann und wie welche Software eingesetzt wird.

Gärtner: Ich bleibe dabei: Es ist eine Management-Entscheidung, denn die heutigen ERP-Systeme machen eine solche Entscheidung ja erst möglich. Vor zehn Jahren war die Integration noch ein riesiges Problem. Und gerade weil die Geschäftsführung immer schneller agieren und reagieren muss, gibt es ja die Forderung nach einer Service-orientierten Architektur.

Ramesohl: Aus unserer Sicht ist die Implemtierung oft zweigeteilt: Im Kernland gibt es eine starke Standardisierung, in internationalen Niederlassungen die Notwendigkeit zur Anpassung an lokale Anforderungen. Diesen Spagat gilt es zu bewältigen. Andererseits spielt das auch in der Merger- und Akquisitions-Strategie eine Rolle. Die meisten Großunternehmen haben ein riesiges Problem damit, den Kern aufzubrechen. Das verursacht ernorme Kosten.

Wir sehen deshalb den Trend, dass die Finanz- oder Reporting-Systeme gemeinsame Standards abbilden, nicht aber monolithisch aufgebaut sein müssen. Divisionale oder internationale ERP-Installationen bedürfen einer gewissen Flexibilität, und diese Systeme müssen sich schnell mit anderen Systemen zusammenbringen lassen.

Gschneidinger: Es ist weder das eine noch das andere, sondern ist absolut kundenindividuell zu sehen. Es gibt Unternehmen, die sind absolut zentral ausgerichtet, die zwingen ihren Neuzugängen ohne Diskussion ihr bestehendes System auf. Und dann gibt es wieder Firmen, die lassen ihren Zukäufen maximale Freiheit und stellen nur Grundanforderungen, wie ein einheitliches Reporting. Hier gibt es kein Richtig oder Falsch.

Es wurde zu viel über Integration und Schnittstellen diskutiert. Was mir fehlt, ist das Stichwort Flexibilität. Unsere Systeme müssen die Flexibilität haben, um den verschiedensten Anforderungsprofilen vom Kunden bestmöglich gerecht zu werden.

? Auf die Anforderung Flexibilität antworten die Hersteller in der Regel mit SOA. Lassen sich damit die Internationalisierung, verschiedene Mentalitäten und Prozessanforderungen unter einen Hut bringen?

Monssen: Man muss hier zwischen den etwas älteren Systemen und den ganz neuen unterscheiden. Bei den älteren haben wir Flexibilität über standardisierte Schnittstellen. Bei den brandneuen, die etwa auf .NET basieren, spricht im Grunde schon die Technologie für die Möglichkeit, durch Standard-Schnittstellen, Webservices und SOA Anwendungen rasch anpassen zu können.

Gärtner: Der Nutzen von SOA bei mittelständischen Betrieben ist die Schnelligkeit. So haben wir beispielsweise die Strategie "Semiramis inside". Darunter verstehen wir, dass Unternehmen und Partnerunternehmen sehr schnell Branchen-Lösungen auf Basis von Semiramis erarbeiten können. Das ist in der Tat der Fall. Wir haben beispielsweise einen Partner, der mit Semiramis innerhalb von sechs Monaten ein komplettes Leitstandsystem gebaut hat. Das ist SOA, und das nenne ich Wirtschaftlichkeit.

Gschneidinger: Die Grundlage für SOA ist Objektorientierung. Ohne das geht es nicht. Neben dem Flexibilitätsnutzen ist die Schnelligkeit der entscheidende Vorteil von SOA. Wenn dies nicht so wäre, hätten wir alle hier gegen den Marktführer aus Walldorf überhaupt keine Chance. In unserer Branche frisst nicht der Große den Kleinen, sondern der Schnelle frisst den Langsamen. Das ist der große Nutzen für unsere Kunden und das Alleinstellungsmerkmal von innovativen Anbietern wie der IFS.

Velten: SOA ist eine gute Antwort auf die Herausforderungen, die auf die Unternehmen und damit auf uns Hersteller zukommen. Da ist zunächst die Anpassung innerhalb des Unternehmens, die dem Anwender die individuelle Ausgestaltung und Flexibilität ermöglicht. Der zweite Punkt ist die Öffnung nach außen. Dann ist es relativ leicht, über Objektorientierung die Kommunikation überzustülpen. Dazu gibt es wunderbare Möglichkeiten, über XML-Kommunikation oder XSLT-Transformationen Geschäftsprozesse miteinander zu verknüpfen.

Arnold: Es geht bei SOA um eine Zerlegung dessen, was im Unternehmen passiert. Bislang wurde Software von mehreren Anbietern aus unterschiedlichen Richtungen gebaut, wurde hart codiert und dieselben Dinge mit einer gewissen Unterschiedlichkeit abgebildet. Jetzt geht es darum, den Austausch zu vereinfachen. Dazu gehört aus SAP-Sicht, dass man ein entsprechendes Umfeld aufbaut, in dem die Dinge wiederverwendet werden, damit man Prozessänderungen besser und schneller zur Verfügung stellen kann. Wenn ein Kunde spezifische Anforderungen hat, die nicht in der Standardsoftware abbildbar wären, ist man heute in der Lage, dies zu modellieren, ohne dass die gesamte Systemarchitektur gefährdet ist.

Ramesohl: Objektorientierung und SOA sind auch für uns Anbieter sehr hilfreich. So konnten wir im neuen Release unseres CRM-Produkts recht einfach die Workflow-Engine wechseln. Das war überhaupt kein Problem, da das System Service-orientiert aufgebaut ist. Deshalb ist SOA auch für Microsoft enorm wichtig, weil durch die Service-orientierte Architektur die Release-Zyklen Aufwände für Anpassungen oder Release-Wechsel bei unseren Partnern und Kunden erheblich verringert werden.

Meine Herren, wir danken Ihnen für das Gespräch.