Industriegeprägte Region setzt auf neue Berufe

Friedrichshafen hofft: Weniger Arbeitslose durch Multimedia

24.05.1996

Gleich zweimal innerhalb einer Woche diskutierten Experten in München über den vielgepriesenen Multimedia-Arbeitsmarkt (siehe auch CW Nr. 20 vom 17. Mai 1996, Seite 49: "Multimedia-Jobs: Der Einstieg gelingt am besten über Praktika"). In einer vom Münchner Multimedia-Anbieter Activ-Consult veranstalteten Gesprächsrunde beschrieb der Oberbürgermeister von Friedrichshafen, Bernd Wiedmann, wie er in einer klassischen Industriestadt, in der in den letzten Jahren über 4000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren, Jobs im Multimedia-Umfeld schaffen will.

Gemeinsam mit Activ-Consult gründete die Stadt letztes Jahr eine Multimedia-Akademie, die im Herbst ihren Betrieb aufnahm. Beide Partner sind mit jeweils 50 Prozent daran beteiligt. Zunächst 150 Umschüler werden dort in den Berufen Multimedia-Produzent, Multimedia-Programmierer, Screen-Designer, Multimedia-Autor und Multimedia-Konzeptionist ausgebildet. Activ-Consult-Geschäftsführer Siegfried Emmer lieferte auch gleich einige Erläuterungen zu den neuen Berufsbildern mit (siehe Kasten).

Eine Produktionsgesellschaft wurde bereits gegründet. Zusätzlich plant der Bürgermeister die Einrichtung eines Multimedia-Centers, in dem sich kleine Firmen niederlassen können. Versüßt werden soll der Start der jungen Unternehmen zum Beispiel mit einem Quadratmeterpreis bei der Büromiete von vier bis fünf Mark.

Daß gerade in Städten mit einer Monoindustriekultur etwas getan werden muß, zeigte Münchens Arbeitsamtdirektor Eric Blume an folgender Zahl: 80 Prozent der Arbeitslosigkeit sind strukturell bedingt, das heißt, Jobs fallen weg, ohne daß es dafür Ersatz gibt. Er lieferte eine Erklärung nach, wie die neu entstehenden Millionen Arbeitsplätze, von denen Bonner Politiker immer wieder sprechen, zu verstehen seien. Viele Berufe sehen aufgrund ihrer veränderten Anforderungen anders aus als noch vor einigen Jahren. Traditionelle Berufe würden also um neue Inhalte erweitert, und das fällt für Blume bereits unter die Kategorie "neue Arbeitsplätze".

Auf die Frage, ob die Multimedia-Experten in einer industriegeprägten Region unterkommen könnten, antwortete Emmer, daß am Ende des Schuljahres in Friedrichshafen mehr Angebote als Teilnehmer vorhanden sein werden: "Es gibt keine arbeitslosen Multimedia-Experten." Blume relativierte diese Aussage mit der Bemerkung, daß es die "Hoffnung auf schnelle Jobs nicht gibt". Er wünschte sich, daß künftig die Eignung höher bewertet werde als der Berufsabschluß.

Kritiker einer Ansiedlung von High-Tech-Schmieden in industriegeprägten Regionen fragen sich, wie auch im Falle Friedrichshafen, wo die Mitarbeiter unterkommen sollen. Ein Vertreter des Friedrichshafener Arbeitsamtes räumte gegenüber der CW ein, daß es nicht möglich sein wird, alle Absolventen in der Region unterzubringen. Man habe alle Teilnehmer darauf hingewiesen, daß sie sich in der ganzen Republik um einen Arbeitsplatz bemühen müßten.

Die Einrichtung der Akademie sei "nur ein Baustein in Richtung Strukturwandel". "Keine Stadt hat ein endgültiges Rezept wie sie ihre Arbeitslosenprobleme lösen kann", so der Friedrichshafener Arbeitsamtbeamte. Man könne nicht immer nur warten, sondern müsse auch den Mut haben, in eine Ausbildung zu investieren, die sich als vielversprechend erweise.

Activ-Consult-Chef Emmer ist zuversichtlich, daß viele neue Jobs entstehen werden, weil "Multimedia eine arbeitsintensive Branche ist, in der sich kaum etwa automatisieren läßt". Er räumte allerdings ein, daß die Anforderungen an diese Fachleute sehr hoch seien. Engagement, Flexibilität und Teamfähigkeit sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Er sagt auch warum: An der Friedrichshafener Multimedia-Akademie wurden bereits im ersten Jahr 35 Prozent der ursprünglichen Lehrinhalte verändert.

Wer also nicht bereit sei, das Postulat des lebenslangen Lernens zu verinnerlichen, werde sich künftig schwertun. Aber auch in puncto Mobilität müsse sich einiges ändern. Bertelsmann suche beispielsweise in der Zentrale in Gütersloh "händeringend" nach Multimedia-Experten. "Aber wer geht nach Gütersloh arbeiten?" fragte der Münchner Manager.

Immerhin scheint das Modell der Friedrichshafener Akademie so attraktiv zu sein, daß in anderen Bundesländern über ähnliche Gründungen nachgedacht wird. Am konkretesten soll das in Bayern der Fall sein. Am Rande der Diskussion war zu erfahren, daß Emmer mit der Regierung in München im Rahmen der Initiative "Bayern Online" eine Multimedia-Akademie gründen will.

Diese soll tatsächlich eingerichtet werden, aber der Standort stehe noch nicht fest. Im Gespräch sind bisher die Städte München, Nürnberg und Passau. Etwas verschnupft sollen andere Multimedia-Anbieter sein, weil sie fürchten, zu kurz zu kommen. Angeblich will Ministerpräsident Edmund Stoiber in einer Regierungserklärung Ende Mai sich auch zur Multimedia-Akademie äußern.