Internationaler Austausch gefordert

Französische Elite-Unis als Chance für deutsche Studenten

08.11.1991

Der wirtschaftliche Zusammenschluß Europas rückt näher, aber die deutschen Universitäten mit Informatikausbildung geben sich weiterhin streng national. Wegen der immer noch herrschenden Überlastung ist die Aufnahme ausländischer Studenten an hiesigen Universitäten nur schwer möglich. Arndt Bode* berichtet über die Studienmöglichkeiten in Frankreich.

Bis jetzt gibt es kaum Anstrengungen, Studenten aus dem europäischen Ausland zum Informatikstudium nach Deutschland zu bewegen. Dies ist um so bedauerlicher, weil andere Länder die "Europäisierung" mit Vehemenz vorantreiben. Dabei erhoffen sie sich nicht nur interkulturellen Austausch, sondern auch die Verbreitung nationaler Standards, Produkte und Ideen. Als Beispiel seien hier die Anstrengungen der französischen Elite-Universitäten (Grandes Ecoles) genannt, die bereits im Herbst 1991 Studenten aus ganz Europa in ihre ausgewählten Studiengänge aufnehmen wollen.

Die Informatikausbildung in Frankreich ist durch eine Zweiteilung in Universitäten und Elite-Universitäten gekennzeichnet. Von den rund 300 000 Abiturienten im Jahr entscheiden sich etwa 90 000 für ein naturwissenschaftliches beziehungsweise ingenieurwissenschaftliches Studium.

Das Studium selbst teilt sich in zwei Stufen auf. Der erste zweijährige Abschnitt, der dem deutschen Vordiplom entspricht, kann entweder an den Universitäten oder aber in speziellen Schulen durchgeführt werden. Nach diesen zwei Jahren steht für jeden Studenten eine Entscheidung an: Entweder man bemüht sich darum, nach aufwendigen Prüfungen - man nennt diese in Frankreich mit voller Absicht "Wettbewerb" - in einer Grande Ecole aufgenommen zu werden, oder man entscheidet sich, an eine der Universitäten zu gehen.

Im letzteren Fall wird nach zwei Jahren eine "Maitrise" (Magister), nach einem weiteren Jahr ein Diplom (DEA, diplome détudes approfondies) vergeben. Die französischen Universitäten vergeben pro Jahr 12 000 Magistertitel und etwa 7000 Diplome. Die Grandes Ecoles, die pro Jahr etwa 15 000 Ingenieure ausbilden, verleihen einen Magister beziehungsweise ebenfalls das Diplom (DEA). Anschließend an das Diplom ist sowohl in den Universitäten als auch im Bereich der Grandes Ecoles die Durchführung einer Promotion möglich, die in der Regel nach drei Jahren abgeschlossen ist.

Für die Dauer der Promotion werden spezielle Lehrveranstaltungen angeboten. Die Belastung der Kandidaten durch Mitarbeit an Übungen und sonstigen Lehrveranstaltungen sowie an administrativen Tätigkeiten im betreuenden Lehrstuhl ist im Vergleich zu den deutschen Kollegen, die ja meist als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt sind, sehr gering.

Die Konzentration auf die wissenschaftliche Arbeit erlaubt daher Promotionszeiten von teilweise weniger als drei Jahren. In Frankreich beenden etwa 4500 Studenten im Bereich der Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften pro Jahr erfolgreich ihr Studium mit einer Promotion.

Die als Wettbewerb organisierten Aufnahmeprüfungen der Grandes Ecoles werden in Frankreich mit großem Aufwand betrieben. So führt die seit 1987 bestehende Ecole Normale Supérieure (ENS) zentral für Frankreich in Lyon jährlich etwa 15 Tage lang diese Prüfung durch.

Die Kandidaten unterziehen sich eine Woche lang schriftlichen Prüfungen, wobei rund 3000 Bewerber beteiligt sind. Aus diesen werden die 600 Besten ausgewählt, die dann eine weitere Woche mündliche Prüfungen zu bestehen haben.

Nur etwa die 100 besten Studenten (für alle angebotenen Fächer) werden zum Studium zugelassen. Der Prüfungsaufwand für Professoren und Studenten ist erheblich. Man rechnet, daß die Grandes Ecoles pro zugelassenem Studenten zirka 10 000 Mark allein in die Prüfungen investieren.

Die jährliche Lehrbelastung der Professoren der Grandes Ecoles liegt niedriger als die vergleichbarer deutscher Kollegen, dafür ist die Prüfungslast um so größer. Da für die Studenten die Chance, an einer Grande Ecole angenommen zu werden, relativ gering ist, bewerben sich französische Studenten im Schnitt an drei bis fünf Universitäten. Pro Bewerbung investieren sie rund zwei Wochen an Prüfungszeit.

Das französische Ausbildungssystem ist dabei so organisiert, daß die entsprechende Zeit von Mai bis Juli zu diesem Zweck zur Verfügung steht. Hat der Student die Aufnahmeprüfung der Grande Ecole erfolgreich hinter sich gebracht, so besteht kaum noch das Risiko, im weiteren Ausbildungsweg zu scheitern. Die Erfolgsquote bei Diplomen und späteren Promotionen liegt weit über 95 Prozent.

Die Studenten gelten als französische Beamte, die bereits während der Zeit ihres Studiums ein Gehalt beziehen. Dieses übersteigt bei weitem die Kosten für die Unterbringung in komfortabel eingerichteten Wohnheimen und die Verpflegung.

Neben den auf diesem Wege zugelassenen Studenten akzeptieren die Grandes Ecoles nur eine geringe Zahl zusätzlicher externer Hörer, die das gleiche Curriculum hören, jedoch eingeschriebene Mitglieder anderer Universitäten sein müssen.

Die Elite-Schüler im Fach Informatik sind an der ENS Lyon zu einer Gruppe von 30 Studenten pro Jahr zusammengefaßt, die ein weitgehend festes wöchentliches Programm von 30 Ausbildungsstunden haben. Neben der fachspezifischen Ausbildung in Mathematik und lnformatik legen die Grandes Ecoles gemäß ihrer Orientierung als Elite-Universitäten ebenfalls großen Wert auf Allgemeinbildung, Sprachen und Leibeserziehung. Auch während der Dauer des Promotionsstudiums nach dem Diplom werden Vorlesungen angeboten. Anders als in Deutschland sind die Promotionsstudenten ganz auf ihre Dissertation konzentriert und führen keine Assistententätigkeit aus, wie man sie an deutschen Universitäten kennt.

Promotion früher möglich

Das führt dazu, daß im günstigsten Fall bereits nach vier bis fünf Jahren (also nach insgesamt sechs bis sieben Jahren Studium) die Promotion erworben werden kann. Bedenkt man, daß wegen der kürzeren Schulzeit das durchschnittliche Eintrittsalter der Ecoles-Studenten bei rund 19,5 Jahren liegt, ergibt sich, daß deutsche Promovierte mindenstens fünf Jahre älter sind.

Die ENS Lyon bietet ab dem Studienjahr 1991/92 deutschen Studenten die Möglichkeit eines dreijährigen Studiums mit dem Ziel Magister- und Diplomabschluß. Voraussetzung für die Aufnahme ist das bestandene deutsche Vordiplom in Informatik. Die Bewerbung erfolgt über einen Gutachterausschuß und Empfehlungsschreiben betreuender Professoren.

Der in Frankreich erworbene Magister beziehungsweise das Diplom wird noch nicht automatisch in Deutschland als Informatikdiplom anerkannt. Will der Student an einer deutschen Universität promovieren, muß er möglicherweise zusätzliche Prüfungen ablegen. Es ist allerdings zu erwarten, daß im Rahmen der europäischen Einigung die Abschlüsse international anerkannt werden.

Die Industrie macht schon heute wenig Unterschied zwischen einem deutschen und einem französischen Diplom. Wahrscheinlich wird sogar ein Berufsanfänger mit Auslandserfahrung bei der Einstellung wegen seiner Sprachkenntnisse und sonstiger erworbener Fähigkeiten bevorzugt.

Weitere Informationen über die genaue Gestaltung des Studiengangs an der ENS Lyon und über die Aufnahmebedingungen für deutsche Studenten sind beim Autor des Artikels zu beziehen.

Eine Übersicht über Stipendien und Beihilfen im deutsch-französischen Studentenaustausch hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft als Broschüre 1990 herausgegeben. Sie ist beim Bundesbildungsministerium, Heinemann Str. 2, D-5300 Bonn 2, zu beziehen.