Flexible Logistik für Fertigungsprozesse

14.09.2005
Von John Boyle 
Manufacturing Execution Systems vernetzen Produktion standortübergreifend. Sie ergänzen so ERP-Systeme.

Alles unter einem Dach" ist ein Produktionsmodell mit Auslaufcharakter. Egal, ob in der Autofertigung, im Maschinenbau oder bei der Unterhaltungselektronik: Bevor ein Produkt den Endkunden erreicht, haben seine Einzelteile einmal die Erde umrundet. Wer kundenorientiert produzieren muss, gezwungen ist, schnell auf Marktgegebenheiten zu reagieren und dabei trotzdem seine Bestände nicht explosionsartig vermehren will, kommt um eine intelligente Taktung seiner Prozessschritte in der Fertigung nicht herum.

Grenzen der ERP-Produkte

Moderne ERP-Systeme sind durchaus in der Lage, solche verteilten Netzwerke zu steuern. Themen wie die Mandantensteuerung, die Finanzkonsolidierung und das Stammdaten- Management werden souverän gemeistert. Vom kleinsten Produktionsstandort bis zur Firmenzentrale können die Daten konsolidiert werden. ERP-Produkte verfügen über Module zur Produktionsplanung und ermöglichen die Disposition entlang der Lieferkette unter Berücksichtigung der Kundentermine. Supply-Chain-Management-Module ermöglichen die Grobsteuerung von Kapazitäten und erlauben eine summarische Verwaltung von Beständen.

Der Produktionssteuerung und Materialverwaltung sind jedoch Grenzen gesetzt. Reichte früher bei der Produktion "unter einem Dach" noch ein Zuruf zur Organisation der Produktionsschritte, so liegen heute zwischen den einzelnen Bearbeitungsschritten Kilometer, Ländergrenzen, häufig sogar Sprach- und Kulturbarrieren.

Auf der ERP-Ebene wird die Produktion als Black Box behandelt. Material verschwindet darin und taucht als Fertigprodukt wieder auf. Work-in-Progress-Bestände (WIP) sowie Fertigungsabläufe werden nicht im System verwaltet, sondern per Zuruf geregelt. Hier können Subsysteme für Transparenz über alle Standorte hinweg sorgen. Integrierte Produktionslogistiksysteme wie Manufacturing Execution Systems, kurz MES, nutzen optimalerweise die gleiche technische Basis wie das ERP-System. Das MES übernimmt die Verwaltung und Steuerung der einzelnen Fertigungsschritte und ist in der Lage, Produktionsbestände zu verwalten sowie die Ver- und Entsorgung der Arbeitsplätze mit Material und Werkzeugen abzuwickeln. Somit ist eine transparente Fertigung zu gewährleistet, egal ob sie im Haus oder auf einem anderen Kontinent stattfindet.

Grundlage der Einführung eines solchen MES ist die Analyse der Produktionsprozesse. Am besten geschieht dies bereits vor der Auslagerung der Produktion. Nach der Analyse werden die einzelnen Fertigungsschritte im System abgebildet und konsolidiert. Funktioniert die Abstimmung der Prozesse - bei sinkenden Durchlaufzeiten steigt die Reaktionsfähigkeit gegenüber Kundenaufträgen - können Teile der Fertigung herausgelöst und verlagert werden.

Dezentrale Datenhaltung

Ist in der Einführungsphase ein Teil der Fertigung bereits verlagert worden, muss zumindest für die Rollout-Phase an jedem der Standorte ein Projektleiter die Einführung begleiten. Die einzelnen Fertigungsorte werden im MES dann als Mandanten geführt.

Während die Stammdatenpflege zentral in einem System erfolgt, werden die täglichen Vorgangsdaten an den jeweiligen Standorten verwaltet. Über das Internet in einem so genannten Virtual Private Nework erfolgt der Datenaustausch. Jeder Fertigungsschritt in der Produktion wird im System quittiert. Auch die Bestandsverwaltung des WIP-Materials findet im System des jeweiligen Werkes statt. Beim Weitertransport zum nächs- ten Produktionsstandort wer-den die Bestände auf den Empfänger über Datenprotokolle übertragen und dort weiterverarbeitet.

Das MES verfügt über ein Portal, in dem alle Daten standortübergreifend gesammelt und mit Reporting-Tools ausgewertet werden. Eine Echtzeitverarbeitung ermöglicht es, den Status jedes einzelnen Fertigungsauftrages zu überwachen und die Bestandsverwaltung im ERP-System immer aktuell zu halten.

Angenehmer Nebeneffekt: Da der gesamte Produktionsprozess über Standortgrenzen hinweg komplett dokumentiert wer- den kann, wird eine Rückverfolgung jeder Produktionscharge möglich. Im Falle eines Rückrufs lassen sich Produkte mit schadhaften Bestandteilen einfach identifiziert und gezielt zurückrufen. (fn)