Flegeljahre

10.12.1982

"Jeden Tag", redeten sich früher die Vertriebsbeauftragten eines bekannten MDT-Anbieters ein, "geht ein Arschloch durch das große goldene Tor - warum sollte es nicht bei uns unterschreiben?" Zwar drückt man sich heute gewählter aus in Verkäuferkreisen, an der grundsätzlichen Einstellung hat sich jedoch nichts geändert: Was zahlt, ist der Auftrag, ist die Abschlußprovision. Wenn der Kunde etwa noch Garantien erwartet, daß der Computer auch das Gewünschte leistet, ist er schiefgewickelt.

Von Partnerschaft im Sinne einer Mitverantwortung des DV-Lieferanten steht im Mietvertrag nichts drin. Da überrascht es, wie viele Anwender sich immer noch auf ihre Ahnungslosigkeit berufen, wenn das Kind einmal in den Brunnen gefallen ist. Dabei haben sie es den Herstellern stets leichtgemacht, im Handstreich zu siegen. Überzeugungsarbeit mußte nicht geleistet werden - in den sechziger Jahren noch wurden Computer verteilt, nicht vermarktet. Eine Chance, aus den Flegeljahren herauszukommen, erwachsen zu werden, bot sich der Branche jedenfalls nicht.

Als 1964 das System 360 auf den Markt kam, flatterten der IBM waschkörbeweise Bestellungen von 1401 Kunden ins Haus, ohne daß einer die neue Maschine gesehen hätte. Sollte IBM die Aufträge aus Edelmut ablehnen?

In der DV-Industrie bestimmt, wie in jedem anderen Wirtschaftszweig, der Verkaufserfolg, was "Standard" ist. Gegenüber dem Anwender sitzen die großen Computerhersteller allemal am längeren Hebel. So ist die Gelassenheit der Verkäufer die Gelassenheit von Spezialisten, die ihrem Auftrag nachkommen, gleichgültig für wen und aus welchen Motiven. Pathos ist nicht gefragt, Kontinuität in der Kundenbetreuung ein leeres Wort. Und weil es darum geht, Einkommensstandards zu halten, nimmt man es auch mit der Karriereplanung nicht so genau. Verkäuferbiographien werden nicht in Bestsellerabsicht geschrieben. Oberste Maxime: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing.

Diesem Rollenverständnis entspricht die Branchenverbundenheit der Wandervögel: Man wechselt den Brötchengeber, nicht jedoch das Metier. Es ist bekannt, daß es besonders clevere Verkäufer in ihrer Laufbahn auf fünf bis zehn Stationen gebracht haben. Da rotiert sich im Laufe der Zeit ein hübsches Salär zusammen, auf das ein Reisender in KB Anspruch zu haben glaubt. Daß dabei die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt, scheint die Vertriebsmanager der Hersteller nicht zu stören.

Ob diese Art Personalpolitik noch von allen Anwendern verstanden wird, ist allerdings fraglich. Urteile wie "Erstklassiges Produkt, drittklassiger Hersteller" werden immer häufiger ausgesprochen. Gemeint sind damit auch gravierende Managementfehler, die sich in Hopplahopp-Führungswechseln ausdrücken.

Halten wir fest: Das "Hire-and-fire-Prinzip" birgt Gefahren für die Anbieter. Doch war dieses Spiel bisher nur bei kleineren und mittleren Herstellern beliebt, werden jetzt auch die Großen von der Lust an der Umbesetzung gepackt. Ja, nicht einmal die IBM bleibt von Führungsschwächen verschont.

Beispiel: Der Wechsel von Vertriebschef Jägers zu Kienzle (CW Nr. 48 vom 26. November 1982, Seite 1). Nicht der Weggang an sich ist bemerkenswert, sondern wie ihn Jägers begründet: Das Schwarzwald-Engagement stelle die logische Weiterentwicklung seiner Karriere dar. Das ist denn doch allzu starker Tabak. Glaubt Jägers tatsächlich, daß ihm dieser Allgemeinplatz abgenommen wird? Oder bestätigt der Jägers-Spruch nur, daß die Branche immer noch in den Flegeljahren steckt?