Informationsweitergabe bleibt Pferdefuß des Wissens-Managements

Firmen probieren es mit Zuckerbrot und Peitsche

06.08.1999
Von Ina Hönicke* Wie wichtig Know-how für den Erfolg eines Unternehmens ist, ist in der Theorie allen klar. Aus Angst um Machtverlust halten die meisten Mitarbeiter allerdings mit ihren Kenntnissen nach wie vor hinterm Berg. Um ihnen klarzumachen, wie wichtig interner Wissenstransfer ist, ist viel Feingefühl nötig.

Der Münchner Wirtschaftspsychologe Dieter Frey beurteilt die Kommunikationsfreudigkeit in den Unternehmen skeptisch: "Rund 80 Prozent aller Mitarbeiter behaupten einerseits, schlecht informiert zu sein, versuchen aber gleichzeitig, sowenig wie möglich von ihrem eigenen Wissen abzugeben." Das Hauptproblem sei die Angst vor Macht-, Status-, Kompetenz- und Autoritätsverlust. "Diese Angst gilt es zu enttabuisieren und offensiv anzugehen", betont Frey. Dazu gehöre auch, den Mitarbeitern deutlich zu machen, daß das Zurückhalten von Informationen bestraft wird.

Die Vergeudung von Wissensressourcen beginne beim Kästchen- oder Gruppendenken in den verschiedenen Unternehmensbereichen. Jede Abteilung sei bemüht, Wissenspotential zu horten, damit sie gegenüber den Kollegen in anderen Abteilungen einen Vorsprung hat. Darüber hinaus trage der nach wie vor autoritäre Führungsstil vieler Vorgesetzen auch nicht gerade zur Motivation bei: "Machtstrukturen dieser Art führen unweigerlich zu ineffizienter Kommunikation bis hin zu Mobbing."

Frey kann verstehen, daß die Beschäftigten in einem solchen Fall ihr Know-how als vermeintliche Daseinsberechtigung lieber für sich behalten. Für den Münchner Wissenschaftler steht fest, daß psychologische und nicht technische Probleme erfolgreiches Wissens-Management verhindern: "Wenn die Bereitschaft zur Informationsweitergabe nicht vorhanden ist, können die Unternehmen ihren Mitarbeitern die besten technischen Lösungen überstülpen - es wird nicht klappen."

Ähnliche Erfahrungen machte Udo Strehl, Vorstandsvorsitzender des Softwarehauses USU in Möglingen: "Natürlich sind die Mitarbeiter hoch erfreut, wenn sie wichtige Informationen in der Datenbank finden, doch mit der Informationsweitergabe hapert es bei vielen." Persönliches Know-how werde oftmals verteidigt, geschützt und gebunkert. Dadurch sei das Wissen nur noch die Hälfte wert.

Diese Abwehrhaltung zu überwinden ist nach Ansicht des USU-Chefs die mit Abstand größte Herausforderung bei der Einführung von Systemen des Wissens-Managements. Strehl betont: "Das ist keine Frage der Technik, sondern der Psychologie.

Deshalb brauchen wir eine Kultur, die den Umgang mit Wissen fördert und belohnt." Der USU-Manager weiß, wovon er spricht.

Viele Jahre lang wurden die Mitarbeiter des Softwarehauses in Meetings aufgefordert, Know-how und Erfahrungen über Projekte einzubringen, doch so recht geklappt habe die Informationsweitergabe nicht. Vor etwa zwei Jahren hätten sich dann einige Kollegen das Thema auf ihr Panier geschrieben und zunächst einmal die entsprechenden Instrumente entwickelt. Daraus sei eine Wissensdatenbank namens "Value base" entstanden.

Als ein großes Problem habe sich herausgestellt, daß Menschen ihr Know-how und ihre Erfahrung unterschiedlich klassifizieren. Während die einen nach Inhalten unterschieden, ordneten andere nach Daten und wiederum andere nach Eindrücken oder Namen.

Daraufhin entwickelten die USU-Verantwortlichen ein semantisches Modell, in das die Mitarbeiter unstrukturierte Daten hineingeben können. Strehl: "Mit Hilfe von Beziehungspunkten ist es möglich, daß die Mitarbeiter auch anders klassifizierte Erfahrungen von Kollegen nutzen können." In dem schwäbischen Softwarehaus gehört die Informationsweitergabe nicht nur zur Unternehmenskultur - sie wird auch honoriert.

"Wenn ein Mitarbeiter eine gute Idee hat, entsprechendes Know-how in die Wissensdatenbank stellt, wird er dafür bezahlt. Wenn aus einer Idee vielleicht sogar noch ein Produkt entsteht, wird dies extra honoriert", beschreibt USU-Vorstand Strehl das Anreizsystem seines Unternehmens.

Anders wird das Ganze bei der Sartorius AG, Göttingen, einem Anbieter von Wäge- und Separationstechniken für chemische, medizinische und pharmazeutische Labors sowie Gleitlagern für den Maschinenbau, gehandhabt. Hier werden die Mitarbeiter nicht mit Anreizsystemen gelockt, sondern zur Preisgabe ihres Wissens verpflichtet.

Der Konzern hat als erstes deutsche Industrieunternehmen eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die neben Mobbing, Diskriminierung und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auch die "Unterdrückung von arbeitsnotwendigen Informationen" mit entsprechenden Konsequenzen belegt. Die Palette reicht von der einfachen Belehrung bis zur Kündigung. "Informationen zurückzuhalten, ist für uns auch eine Art von Mobbing", meint Vorstandsvorsitzender Utz Claassen.

Die Betriebsvereinbarung soll die Weitergabe von Informationen - und zwar sowohl zwischen Kollegen als auch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern regeln. "Jede Führungskraft ist verpflichtet, alle Informationen, die die Mitarbeiter zur Bearbeitung ihrer Aufgaben benötigen, vollständig, durchgängig und unmittelbar weiterzugeben." Umgekehrt ist jeder Beschäftigte verpflichtet, Informationen, die diese benötigen, möglichst rasch an die Vorgesetzten weiterzugeben", erklärt Claassen.

Ganz ohne Probleme ist die Umstellung beim Göttinger Unternehmen offenbar nicht über die Bühne gegangen. "Im ersten Jahr gab es im Management eine Reihe von Veränderungen. Führungskräfte, von denen wir annahmen, daß sie die neuen Aufgaben konstruktiver und teamfähiger erledigen können, wurden speziell für diese Positionen ausgewählt", berichtet Claassen. Manager, die das Haus verlassen hätten, seien entweder intern, extern oder gar nicht ersetzt worden.

Der Topmanager hält weniger eine harte Organisationsstruktur, als vielmehr eine klar definierte Zielerreichung für entscheidend: "In unserem Haus gehen wir informell miteinander um. Gleichzeitig aber sind die Mitarbeiter genauestens darüber informiert, wie die Belohnung und Sanktionierung von Erfolgen und Mißerfolgen aussieht."

Claassen, der 1997 für kurze Zeit an der Spitze des Fußballvereins Hannover 96 stand, versucht in puncto Offenheit mit gutem Beispiel voranzugehen. So hat er während einer Betriebsversammlung allen Mitarbeitern "als vertrauensbildende Maßnahme" die Fünfjahresplanung der Gesellschaft detailliert vorgestellt. Er hält diesen Schritt für eher ungewöhnlich: "Im Gegensatz zu manch anderen Führungskräften halte ich es nicht für richtig, die eigenen Leute dumm zu halten. Nur wer die Ziele kennt, kann sich wie ein mündiger Mitarbeiter verhalten." Schließlich würden Firmen genau solche Leute brauchen, um erfolgreich zu sein.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.