Personal-Marketing bisher vernachlässigt

Firmen am Neuen Markt entdecken bewährte Rekrutierungsinstrumente

30.06.2000
Unternehmen des Neuen Marktes entdecken bei der Suche nach qualifiziertem Personal bewährte Recruiting-Tools für sich. In Berlin trafen 13 von ihnen auf mehr als 100 Jobinteressenten.Von Kathi Seefeld*

Alexandra Pohl hat mit wenigen Blicken die Lage gecheckt. Die mit dem weißen Button am Revers suchen einen Job, genauso wie sie. Mit den anderen, die ein gelbes Kärtchen am Kragen tragen, will sie während der nächsten zwei Tage ins Gespräch kommen. Consors Discount-Broker, GFT Technologies, Pixelpark oder WWL Internet: 13 potenzielle Arbeitgeber, allesamt am Neuen Markt notiert, buhlen auf der Suche nach qualifiziertem Personal im Berliner Estrel-Hotel um die Gunst der angehenden Medienwissenschaftlerin.

Die 28-jährige Berlinerin hat "Erfahrungen mit Projekten", "keine Lust auf eingefahrene Gleise" und "bereits ein Auge auf I-D Media geworfen". Die Multimedia-Agentur sei nicht ganz unbekannt, schon recht groß, aber, wie es heißt, flach strukturiert und auch international agierend. "Außerdem sitzt I-D Media in Berlin - was mir besonders gefallen könnte." Das avisierte Unternehmen zieht bei seiner Präsentation bereits sämtliche Register moderner visueller Kommunikation. Der Stand blinkt und klingt auffallend. "Wir freuen uns auf ein persönliches Gespräch mit Ihnen", heißt es im Unternehmensporträt. "Sind Sie ready for take-off? Dann sprechen Sie mit uns an unserem Stand im Foyer!", meldet sich nur wenige Meter weiter mit riesigen Anzeigen die NSE Software AG. Und IDS Scheer verspricht: "Auch im Ausland bieten wir hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten."

Alexandra Pohl will in Ruhe entscheiden. Sie hat ihr Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Potsdam Babelsberg fast beendet und sucht nach einem Job im Bereich Konzeption und Neue Medien. Sie hat bereits die CeBIT durchstreift und nächtelang im Internet recherchiert. Das Richtige sei aber noch nicht dabei gewesen. Viele Firmen in der IT-Branche vermittelten den Eindruck, "jeden, aber auch wirklich jeden zu nehmen, der schon mal an einem Rechner gesessen hat", sagt die Studentin. Andere Online-Offerten seien zu wenig informativ, die Suchmeldungen sähen faktisch alle gleich aus, man erfahre "so gut wie gar nichts" über das Unternehmen. "Herkömmliche Anzeigen in der Zeitung sind da manchmal aussagekräftiger."

Doch genau mit solchen Investitionen bei der Mitarbeitersuche geizten junge, selbst börsennotierte Firmen nach Ansicht von Bernd Engelien von der Career Company. Personal-Marketing, so Engelien, werde oft als lästig empfunden, Zeit und Mittel zuallererst in Projekte investiert, Mitarbeiter nicht selten spontan oder "per Zettel an der Uni" rekrutiert. "Nicht wenige Unternehmen stellen dann, wenn sie größer geworden sind, plötzlich fest, dass sie beim Tempo ihres Wachstums den Personalbedarf vernachlässigt haben." Verschärfend komme hinzu, dass der Bekanntheitsgrad von Unternehmen des Neuen Marktes bei den Hochschulabsolventen bis auf wenige Ausnahmen weit hinter dem gestandener Firmen herhinke. "Die Fachkräfte rennen den Personalabteilungen der jungen Unternehmen also nicht unbedingt und automatisch die Türen ein."

Bewerber stehen nicht auf Neue-Markt-ChefsIn Berlin veranstaltete die Career Company darum erstmals einen Recruiting-Event speziell für Unternehmen des Neuen Marktes. Obwohl der Andrang sich mit 13 Firmen und etwa 100 ausgewählten Jobsuchenden im Vergleich zu anderen Career-Veranstaltungen, wo sich oft bis zu 50 Firmen um die Bewerber reißen, in Grenzen hielt, steht für Engelien fest: Das gezielte Zusammenbringen von qualifizierten Arbeitskräften und Unternehmen wird als bewährtes Recruiting-Tool die jungen Firmen ebenso überzeugen wie die traditionellen.

Ohne auf andere Mittel bei der Personalfindung verzichten zu wollen, unterstrichen alle in Berlin präsenten Unternehmen unisono die hohe Effektivität des bewährten Recruiting-Tools. MIS Consulting Darmstadt, seit Februar 2000 am Neuen Markt, suche bis Ende des Jahres etwa 60 neue Mitarbeiter in den verschiedensten Bereichen, erzählte Management-Assistentin Elke Gengnagel. "Besonders gefragt sind die Bereiche Softwareentwicklung und Consulting. Wollten wir auf jede Position eine Anzeige schalten, würde uns das sehr viel Geld und Kraft kosten." Die Teilnahme an einer Karrieremesse käme das Unternehmen ungleich günstiger. "Die Interessenten sind bereits unseren Ansprüchen gemäß vorausgewählt worden, das erleichtert so manches Gespräch." Fast alle, die den Kontakt zu MIS gesucht hätten, seien Auslandaufenthalten gegenüber aufgeschlossen aufgetreten. "Es waren einige Bewerber darunter, bei denen ich sofort das Gefühl hatte, sie passen zu uns."

Einige der Jobsuchenden erklärten dagegen hinter vorgehaltener Hand, dass sich ihre Skepsis gegenüber Firmen am Neuen Markt eher verstärkt habe. "Ich finde es problematisch, wenn ein Personaler, der mich einschätzen und meinen Lebenslauf bewerten soll, genauso jung ist wie ich", gab ein BWL-Student zu bedenken. Eine andere Absolventin gestand, dass Unternehmen nicht nach ihrem Geschmack seien, in denen "Führungskräfte wie Consor-Manager Kay Dapper Basecapes tragend Eröffnungssätze sprächen". Auch mit dem Risiko versprochener Aktienoptionen konnte sich der eine oder andere nicht anfreunden.

Größter Kritikpunkt für Alexandra Pohl blieben allerdings "die vielen Worthülsen". Die angehende Medienwissenschaftlerin schätzt, dass die Branche problemlos viel mehr fähige Mitarbeiter finden könnte. "Aber etliche Unternehmen machen es sich da zum Teil selbst schwer." Ständig würden neue Tätigkeitsfelder kreiert, und Bewerber ahnten selten, was dahinter stecke. "Unter Konzeption kann man sich noch etwas vorstellen, was aber, wenn bei Pixelpark ein Mitarbeiter für strategische Konzeption gesucht wird?" Ihn tröste, räumte Jochen Wörand, Verantwortlicher für Aus- und Fortbildung bei der WWL Internet AG, ein, dass man als relativ junges Unternehmen mit seinem Personalproblem nicht allein dastehe. Der Anbieter von E-Commerce-Lösungen will im Sommer eine Niederlassung in Berlin eröffnen und sucht dafür Mitarbeiter. Um diese in genügender Anzahl zu finden, reiche ein dreitägiges Treffen natürlich nicht aus. "Aber eine gute Gelegenheit war es allemal." Viele Begleiterscheinungen großer Job-Messen hätten keine Rolle gespielt. "Die Bewerber sind hier nicht von einem Stand zum nächsten gepilgert, um einen Vertrag abzuschließen, den sie dann beim nächsten Unternehmen dazu nutzten, das Gehalt höher zu schrauben."

"Wir hätten fast jeden nehmen können"Angetan zeigte sich die GFT Technologies AG. "Wir haben einen Bedarf von 100 bis 150 Leuten zum Jahresende", erklärte Human-Resources-Frau Irina Zimmerer. "Auf den ersten Blick hätten wir fast jeden nehmen können, der bei uns vorgesprochen hat." Doch zunächst sei es nur um ein Kennenlernen gegangen. Firmenstrukturen wurden hinterfragt, über Aktienoptionen geredet, Karrieremöglichkeiten gecheckt. "Den einen oder anderen werden wir sicher zu einem Besuch ins Unternehmen einladen."

Während gestandene IT-Firmen auf Recruiting-Veranstaltungen in der Regel nur wenig dem Zufall überlassen, zeigten sich die Unternehmen des Neuen Marktes gerade auch für spontane Begegnungen gut. Sie sei froh, meinte Sabine Hartl, Mitarbeiterin für Human Resources bei I-D Media, dass über Gespräche am Stand oder auf den Fluren des Hotels letztlich doppelt so viele Interessenten auf das Unternehmen zukamen, wie ursprünglich im Terminplan eingetragen waren. "Erfreulich fand ich, dass dennoch alles sehr konzentriert lief, die Leute nicht wie auf manch großer Messe irgendwas suchten, sondern durchweg qualifiziert waren."

Was die Qualifikationen von Bewerbern betrifft, gingen die Vorstellungen sowohl innerhalb der Unternehmen als auch bei den Personalberatern noch weit auseinander. "Wir suchen Leute mit gesundem Menschenverstand, die Qualifikation ist zweitrangig. Das benötigte Wissen kann man lernen", bekannte Consors Managing Director, Kay Dapper. Bei GFT Technologies sind nach wie vor Diplome gefragt. Die Career Company selbst, so Annette Dieckmann, setze bei der Vorauswahl der Kandidaten bislang auf einen Studienabschluss und auf weniger als fünf Jahre Berufserfahrung. "Nicht wenige Unternehmen erwarten inzwischen, dass wir uns in der Frage des Studienabschlusses öffnen."

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.