"Feste Bindung an ein konventionelles DBMS verbaut den Weg zu relationalen Systemen"

14.03.1986

Produkt-Ankündigungen und Erweiterungen bestehender DB-Systeme sind in der DV-Szene fast schon an der Tagesordnung. Jüngstes Beispiel ist das IBM-Announcement einer neuen Version des relationalen Systems DB2. Anlaß genug für die COMPUTERWOCHE zu fragen, welche Neuerungen und Veränderungen in den nächsten fünf Jahren auf diesem Sektor zu erwarten sind. Wir haben bewußt auf die Zukunftsansichten der Hersteller oder Anbieter von DB-Systemen verzichtet. Erfahrungsgemäß stimmen nämlich deren Vorstellungen und Prognosen für künftige Einsatzbereiche von Datenbanken verständlicherweise meist mit den Vorzügen ihrer eigenen, oft seit Jahren eingesetzten Produkte überein. CW befragte deshalb Kenner der DB-Szene, bei denen man davon ausgehen darf, daß sie keine Hersteller-gebriefte Meinung vertreten, sondern ihre eigenen Kenntnisse und Erfahrungen zu diesem Thema objektiv wiedergeben.

Lutz Martiny, Leiter Kommerzielle Datenverarbeitung Systementwicklung Schering AG Berlin und Bergkamen

Aufgrund der technologischen Entwicklung hat sich die Leistungsfähigkeit der elektronischen Datenverarbeitung derart gesteigert, daß nahezu kein Bereich im Unternehmen nicht DV-gestützt arbeitet. Die Durchdringung des Unternehmens mit Informationstechnologie hat den Leiter der Organisationseinheit Datenverarbeitung aus der Managementebene "Gruppe" bis in die zweite Führungsebene gebracht. Vereinzelt gibt es sogar Vorstands-/Geschäftsleitungsressorts für Organisation und Datenverarbeitung (Org/DV) oder Informationsverarbeitung (IV).

Die sich abzeichnende technologische Entwicklung läßt in den nächsten Jahren die vollständige Durchdringung der Unternehmen mit rechnergestützter Informationstechnologie erwarten. Die Integration von Daten-, Text-, Sprach- und Bildverarbeitung vollzieht sich gleichzeitig mit einem Qualitätssprung an der Nutzeroberfläche. Das Aufkommen von leistungsfähigen Personalcomputern, Standardanwendungsprogrammen, Texteditoren und Sprachen der sogenannten vierten Generation legt die Vermutung nahe, daß ein hochspezialisiertes DV-Wissen nicht mehr nötig sein wird, um Anwendungssysteme zu realisieren.

Damit aber wird ein großer Teil der Aufgaben der Organisationseinheit Datenverarbeitung in die Fachabteilung verlagert und dort wird die Verantwortung für Anwendungsentwicklung, Wartung und Pflege angesiedelt werden. Der sogenannte Endnutzer wird für den Einsatz der Technologie nicht mehr auf den Spezialisten aus der Datenverarbeitung - oder wie die Organisationseinheit auch immer heißen mag - angewiesen sein.

Müssen nun DV-Spitzenmanager aufgrund dieser sich abzeichnenden Entwicklung um ihre in den letzten 30 Jahren mühsam erklommene Position in der Unternehmenshierarchie fürchten, weil das Herrschaftswissen, das sie in diese Funktion gebracht hat, mehr und mehr allgemeines Wissen wird? Ich meine, diese Befürchtung müssen im wesentlichen diejenigen DV-Chefs hegen, die ihre berufliche Erfüllung in der Optimierung von ClCS-Transaktionen und ähnlichem finden und damit beweisen, daß sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.

Schon der vorhandene Leistungsumfang der Informationstechnologie geht weit über die Rationalisierung des operationalen Tagesgeschäftes eines Unternehmens hinaus. Informationstechnologie kann bereits heute als strategisches Instrument eingesetzt werden. Sie erlaubt neue Marketingstrategien, macht neue Kunden-Lieferanten-Beziehungen über Systemkopplungen möglich und schafft völlig neue Produkte (Information als vermarktbare(s) Dienstleistung/Produkt). Die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten erfordert vom Leiter einer Organisationseinheit Informationsverarbeitung weit mehr als nur technisches Know-how. Er muß in der Lage sein, dieses Wissen durch unternehmerisch ausgerichtetes Denken und Handeln zu vermitteln und umzusetzen.

Der Wert und die Funktion des DV-Chefs von morgen werden nicht dadurch geprägt daß Nutzer und Topmanagement die Technologie begreifen, sondern dadurch, daß der DV-Chef das Geschäft der Nutzer und des Topmanagements beherrscht.

Peter Clotten, Prokurist ADV-Leiter DV-Produktion Wacker Chemie GmbH München

Die zunehmende Durchdringung aller Fachbereiche mit administrativen und technischen Anwendungen der Informationsverarbeitung unter Einsatz oder Benutzung von Zentralrechnern oder Personalcomputern ist unbestritten unaufhaltsam.

Insbesondere die Euphorie der letzten Zeit, mit Einsatz von Personalcomputern in den Fachbereichen die als unangenehm empfundene "Abhängigkeit" von der zentralen DV zu erreichen, erfordert ein Überdenken der Position der DV-Mitarbeiter.

Einerseits sind Abgrenzungsprobleme zwischen den oft überstürzt eingerichteten Benutzerservice-Bereichen und den konservativ orientierten DV-Organisatoren und Anwendungsentwicklern vorhanden Alternativ-Angebote der Möglichkeiten der individuellen Datenverarbeitung auf Zentralrechnern werden installiert und oft mangels ausreichender Unterstützung durch den DV-Bereich nicht breit genug eingesetzt.

Andererseits hat sich durch den Einsatz von Personalcomputern in den Fachbereichen bereits eine zweite Ebene von DV-Spezialisten entwickelt, die unter Einsatz dieser neuen Möglichkeiten in Verbindung mit dem vorhandenen fachspezifischen Wissen ausgezeichnete- Lösungen erarbeitet und installiert haben. Bedauerlicherweise fehlt hier oft das Basiswissen aller Möglichkeiten - auch das der zentralen DV

In diesem Szenario bewegen sich zur Zeit die Mitarbeiter der Datenverarbeitung. Abgrenzungsdiskussionen zwischen allen Bereichen innerhalb der DV und die Einordnung der "Neuen Dienste" (wie zum Beispiel Benutzerservice) werden geführt und erfordern die Neustrukturierung der Aufbauorganisation der Datenverarbeitung. Von der Daten- zur Informationsverarbeitung ist die "Wendeparole" der Datenverarbeiter.

Was hat das alles mit dem Stellenwert der Datenverarbeiter heute zu tun? Wir haben uns zur Diskussion gestellt. Unsere Arbeit ist transparenter geworden. Das Bild der ..DV-Gurus", der freischaffenden Künstler, deren Werke man unabänderbar übernehmen mußte, ist schon lange zerstört. Das Festklammern einiger wenigen konservativer DV-Mitarbeiter an diesem Habitus kann die Entwicklung nicht mehr aufhalten.

Wir haben die Erfahrungen der Datenverarbeiter in den neuen Funktionsverbund Fachabteilung DV einzubringen, um die umfassende und abgestimmte Informationsverarbeitung des Unternehmens sicherzustellen. Im Rahmen dieser Symbiose haben wir uns neu zu positionieren. Das ist um so leichter, je schneller wir uns selbst allen Möglichkeiten der Datenverarbeitung öffnen und innerhalb des Datenverarbeitungsbereiches über Zuständigkeiten in der Betreuung einigen. Ein Zerfall der seit Jahren bestehenden Symbiose kann nur allen schaden.

Unseren Stellenwert zu beurteilen oder sogar abzufragen ist in dieser Umwälzung unserer Funktion fast nicht möglich. Ein möglicher Versuch: Was glauben Sie, würden die Verantwortlichen der Fachbereiche, die sie heute betreuen, auf die Frage antworten, ob sie Vor- oder Nachteile in der Übernahme von DV-Mitarbeitern in die bestehenden Fachbereichsfunktionen sehen? Abgesehen von möglichen Restriktionen bei der Einordnung in die bestehende Gehaltsstruktur, glaube ich die Antworten zu kennen.

Unser Stellenwert wird sich nur halten können, wenn wir uns schnell genug anpassen. War das eigentlich nicht schon immer so?

Fritz Reinhard Müller, Mitglied der Geschäftsleitung, Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt

Das Ding kommt mir wie gerufen! Endlich kann ich jetzt alle Kundeninformationen aus Kalender, Karteikasten, Akte und meinem Kopf auf einen Blick bekommen und darüber hinaus auch noch auswerten", sagte der Vertriebsleiter eines großen Unternehmens, als ihm die Vorteile eines Mikros in einem Informationsgespräch beim PC-Händler erläutert wurden. Natürlich ging's schnell. In wenigen Tagen stand das Gerät auf dem Tisch des Vertriebsleiters. Bald waren auch alle notwendigen Daten eingegeben. Der große Erfolg in der Sache die Vorbildfunktion einer Führungskraft, die selbst Hand anlegt, aber auch das Image, sich ein teures Gerät leisten zu können, stachelte Mitarbeiter und Kollegen des Vertriebsleiters an, sich ebenfalls einen PC zu wünschen. Auf der Suche nach entsprechenden Einsatzfeldern wurde die ganze Bandbreite entdeckt: von dem schon seit zwei Jahren beantragten DV-Projekt bis hin zur Sortierung der Mitarbeiter nach aufsteigender Telefonnummer.

Wie diese Situation zeigt, werden drei Typen von Anwendungen auf PCs realisiert:

1. neue überschaubare Anwendungen, deren Nutzen in einer deutlichen Informationsverbesserung liegt,

2. Anwendungen mit geringer Bedeutung, deren Priorität bei der DV-Realisierung sehr niedrig angesetzt ist, und

3. Anwendungen, die im Grenzbereich des sinnvollen angesiedelt sind - oft genug überflüssig.

Obwohl dabei nur in Teilbereichen eine echte Konkurrenz zur Datenverarbeitung auftritt, kommt einiges zusammen an Anwendungen, die in Eigenregie vom Fachbereich betrieben werden. Angesichts dieser Entwicklung, die vor kurzem erst eingesetzt und heute bereits beträchtliche Ausmaße hat, kann man durchaus den zukünftigen Stellenwert der Datenverarbeitung als sinkenden Stern bezeichnen. Denn mit dem PC ist es ja nicht getan. Ein immer besser abgestuftes Spektrum an Computerleistung ' wird nahtlos alle Belange vom Host bis zum PC - von der Zentrale über die Abteilungen/Filialen bis zum Arbeitsplatz - abdekken können. Viele dieser Geräte, insbesondere dann, wenn, sie in den Abteilungen und Filialen installiert sind - also nicht mehr der Zentralgewalt unterstehen - werden in einen gewissen Wettbewerb zur herkömmlichen Datenverarbeitung treten. Die PCs weisen hier den Weg.

Diese Tendenzen werden natürlich von der Datenverarbeitung erkannt. Oft genug läßt man sich dabei in das sicherlich von vielen Anwendern fen zur Schau getragene Könkurrenzdenken, in das Gegen einander, hineinziehen. Technische Argumente kommen nicht gegen die Macht der Talsachen an. Auch die Flucht nach vorn hilft nicht viel. Einige Datenverarbeiter vertei nunmehr PCs in großen Massen, um dadurch den Anwenderstau nach vorne in den Entstehungsort zu verlagern. Das Ergebnis dieser Aktionen führt zur Kritik: Viele Anwender fühlen sich überfordert, wenn der Spieltrieb befriedigt, die Neugier gesättigt und das Imagedefizit aufgefüllt sind.

Bis zu diesem Punkt befindet sich die Datenverarbeitung auf der Verliererstraße. Aber das ist gefährlich für jedes Unternehmen. Nicht, daß die Arroganz und Besserwisserei viele Datenverarbeiter so unentbehrlich wären! Vielmehr muß es eine Stelle im Unternehmen geben, die für Ordnung im Informationshaushalt sorgt. Die bisherigen Tendenzen der Dezentralisierung lassen ein Babylon von gewaltigem Ausm-erkennen. Keiner kann mit keinem mehr Informationen austauschen, weil technische, organisatorische oder semantische Definitionen von jedem selbst und immer wieder anders festgelegt werden.

Hier gilt es, ordnend einzugreifen. Das bedeutet einiges mehr an Organisation, Betriebswirtschaft und Innovation; letzteres besonders, weil die Informationsverarbeitung zum Wettbewerbsfaktor heranwächst. Die "ordnende Hand" muß mit höchster Kompetenz ausgestattet sein, um Standards und Regeln unternehmensweit durchsetzen zu können. Ähnliches gilt für die Verantwortung. Es geht nicht nur um den erfolgreichen Einsatz eines Anwendersystems, sondern um den Erfolg des gesamten Unternehmens. Das ist in der Tat ein neuer Stellenwert der Daten- beziehungsweise Informationsverarbeitung. Solange man sich aber in Kleinkriege mit verschiedenen Anwendern verstrickt, solange man sich über technische Kompetenzen auf unterster Ebene auseinandersetzt, wird man in der Datenverarbeitung diesen neuen Stellenwert noch lange nicht erreichen!