IT im VertriebVertriebs-Controlling im Privatkundengeschäft

Feintunig für Marketing, Vertriebsstruktur und Produkte

16.05.1997

Die Vertriebsleitung muß genau wissen, was der Vertrieb letztendlich kostet, welche Sparten, Regionen, Niederlassungen oder Vertriebswege rentabel sind und welche nicht. Ferner braucht sie Informationen für Monats- und Quartalsberichte, für Absatzplanung und Abweichungsanalysen. Doch um Fragen wie beispielsweise: Haben wir die richtigen Produkte?, Passen sie zu den Vertriebswegen?, Ist die Struktur der Vertriebswege richtig?, Wie ist die Provisionsrentabilität bei bestimmten Produkten? und Wie intensiv werden die Mitglieder betreut? schnell beantworten zu können, reichten die bisherigen Auskunftssysteme nicht aus. Sie enthielten zwar relevante Informationen, waren aber zu wenig flexibel in den Abfragemöglichkeiten und nur wenig auf die Belange des Vertriebs zugeschnitten.

Das Host-System des HDI (BS2000) bot keine direkten Zugriffsmöglichkeiten auf Datenbanken mit eigenen Auswertungs-Tools für die Anwender. Bei der internen DV-Abteilung führten die häufigen "Sonderauswertungswünsche" des Vertriebs zu Engpässen. Viele speziell benötigte, vertriebsorientierte Übersichten und Berichte ließen sich nur mit extrem hohem Aufwand erstellen. Das bisherige Host-basierte Auskunftssystem - "Emulation" genannt - hatte keine Schnittstelle zu Excel, so daß sich die Daten nicht weiterverarbeiten ließen.

Das seit 1995 eingesetzte, moderne Controlling-Informationssystem (CIS) auf der Basis des SAS-Systems enthielt zwar sehr umfassende Informationen und erlaubte flexiblere Abfragemöglichkeiten als die "Emulation", war jedoch nicht auf spezielle vertriebliche Anforderungen ausgelegt.

Drei zentrale Anforderungen mußte ein neues VIS erfüllen. Erstens sollte ein eigener Datenpool mit allen vertriebsrelevanten Informationen eingerichtet werden. Zweitens war klar, daß für das Vertriebs-Controlling eine eigene Anwendung benötigt wurde, die dem bisherigen Berichtswesen für den Vertrieb mehr als entsprechen sollte.

Und schließlich mußte diese Anwendung so maßgeschneidert sein, daß sich mit ihrer Hilfe alle vertriebsrelevanten Auswertungen und Berichte monatlich ohne großen Aufwand erstellen lassen. Basierend auf diesen Kriterien erarbeitete die Leitung Vertriebs-Controlling ein detailliertes Konzept für ein neues VIS.

Angesichts der komplexen Struktur des Vertriebs war die Ausarbeitung des Konzepts keine triviale Aufgabe. Zum Privatkundengeschäft gehören außer der Krankenversicherung alle Privatversicherungen - also Kfz-, Haftpflicht-, Haus- und Sachversicherung, Rechtsschutz- und Lebensversicherung. Vertrieben werden die Produkte dieser Sparten sowohl direkt als auch indirekt: im Direktgeschäft über den zentralen HDI Direktservice HDS, über die elf Hauptniederlassungen beziehungsweise Niederlassungen mit ihren 57 Geschäftsstellen und im vermittelten Geschäft über Firmenvermittler, Agenten, Repräsentanten und Makler. Hinzu kommt hier noch der sogenannte Annex-Vertrieb, bei dem Unternehmen wie Banken oder Autohäuser zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft Versicherungen verkaufen.

Elementarer Bestandteil des Konzepts war somit eine differenzierte Kategorisierung der Vertriebswege, der Regionen und Niederlassungen, der Angebote, der Zielgruppen und last but not least ein detailliertes Modell zum Aufbau des Berichtswesens .

In diesem Soll-Modell für das Berichtswesen wurden alle für die Vertriebsleitung relevanten Fragestellungen, die verschiedenen Berichtsebenen und -zeiträume sowie die Vergleichszeiträume umfassend dargestellt. Die Modelle definierten genau, welche Daten und Informationen für welche Art von Auswertung erforderlich sind: für die Bestandsentwicklung etwa den Anteil jeder Sparte am Bestandswachstum, die Entwicklung des Neukundengeschäfts, die durchschnittliche Vertragsdauer oder die Anbündelungsquote und -intensität, das heißt wie viele Verträge ein Mitglied im Durchschnitt hat und wie viele Mitglieder mit Kfz-Versicherung auch in einer anderen Sparte eine Versicherung abgeschlossen haben. Das neue Berichtswesen sollte auch Fragen zur Struktur und Entwicklung von Cross-Selling-Verträgen, zur Spartenerweiterung und zu Kündigungen beantworten. Um die Effizienz des Vertriebs genau beurteilen und steuern zu können - zum Beispiel den Erfolg bestimmter Werbe- und Anzeigenaktionen - , wurden auch Berichtsmuster zur Rentabilität der Werbekosten und Provisionen, zu Kontaktquoten und -effizienz angelegt.

Im Juli 1996 fiel die Entscheidung, ein Projekt zur effizienteren Vertriebssteuerung für das Privatkundengeschäft beim HDI aufzusetzen. Schon im Oktober 1996 konnte mit der ersten Version von Victor produktiv gearbeitet werden. Diese äußerst kurze Zeitspanne zwischen Projektbeginn und produktivem Einsatz der Lösung basierte auf drei Faktoren: Zum einen auf der Tatsache, daß das Fachkonzept zu Beginn des Projekts bereits vorlag, zum anderen waren alle notwendigen Daten im SAS-System vorhanden. Victor konnte auf den Datenpool des Controlling-Informationssystems zugreifen. Da die neue Vertriebs-Controlling-Anwendung ebenso wie das CIS auf der Basis des bereits eingesetzten SAS-Systems laufen sollte, brauchten auch keine neuen Datenzugriffe mehr programmiert werden. Und drittens half die Wahl des geeigneten Partners, das Projekt zügig in die Praxis umzusetzen: Die Dibera GmbH bot mit ihrem Produkt Dib/Eisa eine ausgereifte Anwendung speziell für das Vertriebs-Controlling, die sich schon bei der LVM-Versicherung in Münster in anderer Form bewährt hatte. Aufgrund dieser drei günstigen Faktoren wurden andere Alternativen zur Realisierung verworfen. Die Programmierung einer eigenen Anwendung wäre zu aufwendig gewesen und hätte den Kostenrahmen gesprengt.

Das Konzept sah von Anfang an eine Realisierung in mehreren Stufen - also nicht gleich eine 100-Prozent-Lösung - vor. Während der Startphase wurden die Anforderungen in Abstimmung mit den Verantwortlichen im Vertrieb, den für die CIS-Anwendung zuständigen Programmierern und der Dibera formuliert. Die DV-Sparte und andere Fachabteilungen, insbesondere auch das Controlling, wurden miteinbezogen, Organisation, Aufgaben und Ablauf klar definiert und entsprechende Ressourcen bereitgestellt. Neben der Projektleitung waren das ein HDI-Mitarbeiter für operative Aufgaben, ein Programmierer des CIS-Projekts vom HDI sowie ein Mitarbeiter des Partners Dibera.

In der ersten Phase - August bis September 1996 - wurde das Konzept überprüft und die Projektschritte definiert. Wichtig war hier, das System so flexibel zu gestalten, daß sich Veränderungen wie neue Produkte, neue Vertriebswege oder neue Geschäftsstellen ohne Aufwand integrieren ließen. Die eigentliche Anwendungsentwicklung dauerte dann nur vier Wochen.

Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung gab es lediglich bei der Datenmigration, also bei der Bereitstellung der Daten vom Host. Via ASCII-Code mußten die Daten von dem BS-2000-Host auf einen Novell-Server portiert werden. Das Data-Delivery-System von SAS Institute importiert sie dann in das Data-Warehouse, den CIS-Datenpool. Von den etwa zehn Gigabyte Daten in diesem Data-Warehouse entfallen derzeit rund drei Gigabyte auf Victor.

Die Entwicklung des Prototyps in der ersten Phase verlief absolut zeit- und kostenplangemäß, so daß im Oktober 1996 fünf Mitarbeiter der Abteilung Vertriebs-Controlling in der HDI-Zentrale mit Victor arbeiten konnten. Der Schulungsaufwand war minimal, die Akzeptanz des Systems entsprechend hoch. Da die neue Lösung von der Struktur und Optik her ähnlich wie ein Tabellenkalkulationsprogramm funktioniert, kann jeder, der sich mit gängigen Programmen wie Excel auskennt, nach nur einer Stunde Einweisung in Victor Analysen durchführen und Berichte erstellen.

In der zweiten Phase - November 1996 bis Februar 1997 - wurden schrittweise alle vertriebsrelevanten Informationen aus dem CIS-Datenpool in Victor eingespeist und das System ausgebaut. Bis August 1997 sollen in einer dritten Phase Vertriebsinformationen von anderen Systemen integriert werden, zum Beispiel mikrogeografische Daten für Potentialanalysen und Kundensegmentierungen, Daten zur Vor- und Nachversichererstatistik. Darüber hinaus ist die Anlage eines eigenen, von CIS unabhängigen Vertriebsdatenpools vorgesehen. Victor soll dann auch einer größeren Anzahl von Endanwendern in der Zentrale und den Niederlassungen zur Verfügung stehen.

Die Führungskräfte im Vertrieb bei HDI sind jetzt in der Lage, Analysen wesentlich schneller und effizienter vorzunehmen. Ist der Absatz in einer Sparte rückläufig, läßt sich innerhalb kurzer Zeit feststellen, welche Regionen oder Vertriebswege betroffen sind. Kommt es umgekehrt zu Absatzrückgängen in einer bestimmten Region, ist sofort zu ersehen, in welcher Sparte oder in welchem Vertriebsweg das Geschäft zu bröckeln beginnt. Mit Hilfe dieser sehr aktuellen und differenzierten Informationen kann das Vertriebs-Controlling Ursachen besser erkennen und so schneller und gezielter auf diese Veränderungen mit Gegenmaßnahmen reagieren.

Der HDI-Konzern

zählt zu einer der sechs größten Versicherungsgruppen in Deutschland. Das Prämienvolumen belief sich 1996 auf rund zehn Milliarden Mark. Im Privatkundengeschäft versichert der HDI-Konzern mehr als drei Millionen Kunden.

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Das Auskunftssystem des HDI reichte nicht mehr aus; die BS2000 bot keine direkten Zugriffsmöglichkeiten für die Anwender. Ein neues Berichtswesen sollte auch Fragen zur Struktur und Entwicklung, beispielsweise von Cross-Selling-Verträgen, zur Spartenerweiterung und zu Kündigungen beantworten. Das neue System basiert auf einer bereits laufenden Data-Warehouse-Anwendung. Beim Vertriebs-Controlling konnte man auf Erfahrungwerte in einer anderen Versicherung zurückgreifen. Bis August 1997 sollen auch Vertriebsinformationen von anderen Systemen integriert werden, zum Beispiel mikrogeografische Daten für Potentialanalysen und Kundensegmentierungen.

*Rolf Henning ist zuständig für Vertriebs-Controlling und Privatkundengeschäft beim Haftpflichtverband der Deutschen Industrie, V.V.a.G., HDI in Honnover.