Erste Produktivitaetsgewinne zu verbuchen Groupware: Erst die Anbindung von Standardpaketen macht Sinn

24.09.1993

Groupware-Loesungen duerfen nicht mechanisch auf die bestehenden IT- Strukturen aufsetzen, sondern muessen stets den jeweiligen Unternehmensspezifika angepasst werden. Auf Dauer wird Groupware eher eine Faehigkeit guter Betriebssysteme als eine Kategorie spezieller Produkte sein. Berater Winfried Gertz* informiert ueber den Stand der Diskussion.

Nichts geht mehr in Zeiten des massiven Zurueckschraubens ehemals geplanter Investitionen. IT-Controller, unversehens zu neuen Weihen gelangt, lassen nichts anbrennen. Der Rotstift regiert. Abschied nehmen heisst deshalb das Gebot der Stunde - Abschied vor allem von nicht zeitgemaessen Strukturen der unternehmensweiten Kommunikation. Insbesondere die Informatik steht auf dem Pruefstand.

Die heute in vielen Unternehmen vorhandene IT-Infrastruktur - Systemtechnik, Netze, Anwendungssoftware, Datenbasen - ist noch auf Unternehmensstrategien und Organisationsformen der achtziger Jahre zugeschnitten.

Und ueber die Jahre gewachsene Altlasten erschweren zudem eine flexible Anpassung an die neue Wettbewerbssituation. Hohe Investitionen sollen sich endlich rechnen, Frustration angesichts ausbleibender Produktivitaetssteigerung macht sich breit. Nicht zuletzt aus diesen Gruenden ruesten Unternehmen weltweit auf das Client-Server-Modell um. Im Zuge intensiver Vernetzung existierender Systeme werden die entscheidenden Weichen fuer den Wechsel vom Personal zum InterpersonalComputing gestellt. Dahinterstehender Gedanke: Menschen und Aufgaben schneller und effizienter miteinander zu verbinden.

Ein Nutzniesser dieses Paradigmenwechsels ist Groupware, Synonym fuer die computergestuetzte Zusammenarbeit von morgen.

Die Infrastruktur ist schon vorhanden

Der zunehmende Einsatz von Groupware ist vor allem auf den Prozess der weltweiten Vernetzung zurueckzufuehren. Massgebliche Triebkraefte dieser Entwicklung sind nach Einschaetzung des Marktforschungs- Unternehmens Dataquest Electronic Mail und der Markt fuer Netzwerke.

Waehrend E-Mail zwischen 1984 und 1992 mit einem Wachstum von weltweit einer Million auf 25 Millionen Anwender aufwarten konnte, behauptet sich der Markt fuer Netzwerke mit einer seit 1989 unveraenderten Zuwachsrate von jaehrlich 30 Prozent. Damit ist die Infrastruktur fuer teamorientierte Software wie Groupware geschaffen.

Es gibt kaum Patentrezepte

Viele Unternehmen unterziehen derzeit ihre betrieblichen Verfahren einer grundlegenden Revision. Nicht wenige sehen im Einsatz von Groupware eine sichere Investition in die Zukunft. Fuer heterogene Anforderungsprofile indes gibt es kaum Patentrezepte, selbst wenn ein mittlerweile umfangreiches Angebot von Groupware-Loesungen dies glauben macht.

Voraussetzung fuer einen anforderungsgerechten Einsatz von Groupware ist aber die genaue Identifizierung der jeweiligen Aufgabenstellungen. Ueberdies sollten die kulturellen Besonderheiten einer Organisation bei der Einfuehrung der neuen Technologie erste Prioritaet einnehmen.

Dass es allmaehlich Zeit wird, neue Technologien nicht konzeptionslos auf bestehende IT-Strukturen aufzusetzen, sondern mit der Charakteristik eines Unternehmens in Einklang zu bringen, darauf verweisen die Autoren der unlaengst vorgelegten Studie "Management in the 90s" des Massachusetts Institute of Technology (MIT), Massachusetts. Grundsaetzlich gehen die Wissenschaftler wie Stuart Madnick davon aus, dass Unternehmen sich auf "fundamentale Aenderungen der gewohnten Arbeitsweise" einstellen muessen. Erheblichen Einfluss darauf habe, wie es in der Studie heisst, die fortgeschrittene Technik selbst. Sie uebe kraft ihres Leistungspotentials und der Dynamik ihrer Verbreitung einen grossen Druck auf die in der Regel noch unentschlossenen Unternehmen aus. Ehemals kritische Faktoren wie Distanz, Zeit und Know-how bereiteten den IT-Verantwortlichen hingegen mit heute verfuegbaren Technologien kaum noch nennenswerte Probleme. Die Verfuegbarkeit unternehmensweit vorhandenen Wissens wird so zu einem wettbewerbsentscheidenden Kriterium.

Wissensbestaende miteinander teilen

Groupware unterstuetzt Organisationen, ihre Informations- und Wissensbestaende in produktiver Weise miteinander zu teilen, lautet eine kluge Definition. Miteinander vernetzte Teams arbeiten via Computer an gemeinsamen Dokumenten und Projekten. Das Wort Groupware verweist auf eine besondere Eigenschaft der dabei eingesetzten Programme und Systeme, bezeichnet aber keine Produktgattung, wie noch immer behauptet wird.

Auf Basis einer leistungsstarken Datenbankstruktur bilden sich mit Groupware unternehmensweite Kommunikations- plattformen heraus, die den Austausch von Daten ueber integrierte Sicherheits- und Replikationsmechanismen regeln. Zahlreiche Anbieter von Groupware- Loesungen stehen jedoch vor dem Problem, dass verbindliche und offenliegende Schnittstellen und Protokolle fuer die Einbindung von Standardprogrammen derzeit noch nicht in Sicht sind. Mit Hochdruck arbeitet deshalb die Software-Industrie daran, ihre Programme Groupware-faehig zu gestalten und sie damit auf einen boomenden Markt der Zukunft vorzubereiten. Groupware wird insofern nicht als Selbstzweck gesehen. Vielmehr macht erst die Anbindung von Standardpaketen und individuellen Firmenloesungen an Groupware- Umgebungen Sinn. Nur so ist auch die erhoffte Steigerung der Produktivitaet zu erwarten.

Betriebssysteme werden in Zukunft zur Groupware

Kenner der Szene wie David Coleman, Herausgeber des in Scottsdale, Arizona, erscheinenden Newsletters "Group Talk", erwarten das Ende von speziellen Groupware-Loesungen in naher Zukunft. "Ich glaube, in fuenf bis sechs Jahren verschwindet die Kategorie Groupware, denn die entsprechenden Funktionen sind bis dahin bestimmt in die verschiedenen Betriebssysteme eingebaut worden", so seine Prognose. Bis dahin allerdings muessen Groupware-Anbieter noch Applikationen entwickeln, die Funktionen wie Datenintegritaet im Teamzugriff, Sicherheit und uebergreifende Dateiverwaltung aufweisen. Auf seiten der Hersteller von Betriebssystemen werden nur zoegerliche Anstrengungen unternommen, solche Grundlagen des Workgroup-Computing zu integrieren. Dennoch setzen viele Unternehmen schon heute auf Groupware. Das Spektrum der Einsatzgebiete erstreckt sich von E-Mail und Electronic- Conferencing bis zu Shared-Editing und Workflow-Automation. Zahlreiche Anwendungserfahrungen insbesondere industrieller Unternehmen treiben die weitere Verbreitung von Groupware voran. Erste Produktivitaetsgewinne lassen sich verbuchen; die Informatik, zuletzt als Kostentreiber kritisiert, wird ihrer Rolle als Waffe im Wettbewerb wieder gerecht. Trotz flauer Konjunktur und tiefgreifender Rationalisierungsmassnahmen macht sich Optimismus breit. Der Einsatz von Groupware allerdings sollte sorgsam ueberlegt sein. Wem die Arbeit im Team und offene Kommunikation bis dato ein Greuel war, wer den Besitz von Information und Wissen als Machtinsignie missverstand, der wird alles daransetzen, die Einrichtung von flexiblen Strukturen zu untergraben.

Ohne Beruecksichtigung solch kontraproduktiver Kraefte fuehrt der Einsatz von Groupware in die kommunikative Sackgasse.

*Winfried Gertz, Berater bei der Beiersdorff GmbH, Agentur fuer Marketing-Kommunikation, Muenchen.