Erstanwender- heiß begehrt und doch gefürchtet

08.07.1977

Deutschlands "Noch-Nicht-Anwender" gehören zur heißbegehrtesten und umworbensten Gruppe von potentiellen Kunden für alle Anbieter von Datenverarbeitungssystemen.

In der Vergangenheit konzentrierte sich das Hauptinteresse der Vertriebsbemühungen fast aller Anbieter auf Großfirmen, die sich in ständig steigendem Umfang mit einem Wust von Daten herumplagen mußten. Die dort anfallenden Probleme konnten nur mit immer perfekteren Ideallösungen gemeistert werden. Demzufolge zielte die Produktphilosophie vieler Hersteller darauf, möglichst ambitionierte, komplexe und technologisch hochstehende Systeme zu schaffen.

Allerdings gibt es nur eine begrenzte Zahl von Großfirmen, die sich derartige Problemlösungen leisten können, denn die Investitionskosten betragen in solchen Fällen häufig ein Vielfaches von dem, was ein mittlerer Industriebetrieb jährlich überhaupt an Umsatz erwirtschaften kann. Die Sachlage war dann auch schon nach kurzer Zeit klar.

Auf der einen Seite gab es die finanzstarken Großanwender - um die kümmerte sich vor allem die Creme der Anbieter, also Firmen wie IBM, Siemens, Univac, Honeywell etc., die Terrains waren und sind auch heute noch schnell abgesteckt gewesen. Auf der anderen Seite gab es eine Vielzahl von Anbietern, die sich ihren Markt woanders suchen mußten, nämlich bei den nicht so ambitionierten und finanzstarken Anwendern oder auch im relativ finanzschwachen weiteren Umfeld der Großfirmen. Diese Anwender waren gezwungen, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln ihre anfallenden Daten so gut wie möglich zu verarbeiten. Sie hatten aber einen Vorteil gegenüber den Großfirmen: Die Terrains der Anbieter waren nicht abgesteckt, das heißt die Konkurrenz nicht nur der Hersteller untereinander war groß, sondern es wurden auch die unterschiedlichsten Methoden angeboten: Da gab es die sogenannte mittlere Datentechnik oder für den kleinen Betrieb die Möglichkeit, alle seine organisatorischen Probleme außer Haus zu geben. Da gab es für den Kleinstbetrieb die Möglichkeit, alles durch den Steuerberater machen zu lassen. Und letztendlich gab es natürlich die Möglichkeit, wie bisher weiter zu verfahren bzw. die alten Buchungsmaschinen gegen vollautomatisierte - und dennoch billige - auszutauschen.

Zwei Auswege gab es aus diesem Dilemma: Man mußte einerseits die Gruppe derjenigen Anwender, die bereits über beschränkte EDV-Erfahrung verfügte, zum Wechsel auf größer dimensionierte Systeme verführen. Man mußte andererseits auf die Vielfalt derjenigen Betriebe zurückgreifen, die bisher überhaupt noch nicht erschlossen worden waren für "neuzeitliche" EDV-Methoden.

Von den 2 Millionen Betriebsstätten der Bundesrepublik bzw. von den mehr als 1,3 Millionen Unternehmen und Institutionen in diesem Lande sind bisher eigentlich nur 4 - 5 Prozent durch die bisher angebotenen automatisierten DV-Methoden, bei denen der Anwender eigene Systeme der EDV benutzt, angegangen worden. 95 Prozent der potentiellen Kunden sind bisher von den Herstellern vernachlässigt worden, weil sie diesen zu klein vorkamen. Firmen, die weniger als 50 Beschäftigte haben, wurden links liegengelassen.

Sicher, es gab auch Ausnahmen. Bei ganz kleinen Firmen aber ließ sich kein Anbieter sehen - was den Verzicht auf 85 Prozent des möglichen Kundenstammes bedeutete.

Die Zeiten ändern sich. Mittlerweile wird der Markt der mittleren und großen Unternehmen von den meisten Anbietern nach allen Regeln der Kunst bearbeitet. Dennoch prägt Unbehagen dieses Geschäft: Man fürchtet sich vor dem mühevollen Vertriebs- und Servicegeschäft! Lieber verkauft man ein einziges hochstehendes System an einen Anwender, der bereits seine EDV-Erfahrungen gesammelt hat, als daß man sich um die Nöte der Noch-Nicht-Anwender kümmert. Die Zielgruppe heute ist also der Kleinbetrieb mit einer Beschäftigtenzahl von 10 - 50 Beschäftigten. Dort glaubt man noch Chancen zu besitzen, um seine Systeme verkaufen zu können. Andererseits, der potentielle Kunde sollte haargenau aufpassen was ihm da so alles versprochen will. Zum Beispiel die plattenorientierte MDT, um sich einmal eines der vielen Schlagwörter herauszugreifen.

Den meisten der Unternehmen ist das übrigens auch durchaus bewußt, wie der Hersteller Olivetti in der Bundesrepublik herausgefunden hat. Bei einer Umfrage dieser Firma, die sich offensichtlich besonders um die Belange der Kleinstfirmen kümmern will, stellte sich heraus, daß über 60 Prozent der Befragten die Kosten für einen Computer für zu hoch hielten mehr als die Hälfte hielten ihr Unternehmen für zu klein, und mehr als ein Viertel der Leute glaubten nicht daran, daß sie geeignete Leute für einen Computereinsatz haben.

Andererseits kann ihm natürlich auch viel dadurch entgehen, daß er mit einer zu konservativen Einstellung darauf beharrt, seine Verwaltungsaufgaben auch weiterhin so zu lösen wie schon sein Großvater seligen Angedenkens. Denn ohne Zweifel würden ihm viele seiner Anwenderkollgen, die den Sprung zur neuzeitlichen Datenverarbeitung gewagt haben, zur Nachahmung raten, wenn er sie fragen würde. Meist aber wird er nur verkaufstechnisch bearbeitet von all den "Systemlösungsspezialisten", den "problembewußten Computer-an-den-Arbeitsplatz-Bringern".

Rainer Kolshorn ist Dipl.-Kaufmann und Marktforscher