Erst gedacht und dann gearbeitet

21.07.1978

Mit Jürgen Gelf, Leiter ,,Organisation und Datenverarbeitung" bei der Rafi GmbH, Ravensburg, sprach Dieter Eckbauer

- Herr Gelf, Investitionen in die Software-Entwicklung gehen zum großen Teil für Programmänderung und Programmwartung drauf - Experten beziffern den Anteil mit 40 bis 60 Prozent. Sie haben sich dazu etwas einfallen lassen.

Wir denken nicht hardware-orientiert, sondern software-orientiert. Die Hardware ist für uns nur ein Arbeitsmittel und wir versuchen, erst die Software zu konzipieren und dann die Hardware dazuzubeziehen. Demzufolge haben wir nur einen Aufwand von sechs bis acht Prozent für Programmpflege und Programmänderung.

-Ihr Ziel ist es, möglichst stabile Anwendungen zu haben, um den Änderungsaufwand so gering wie möglich zu halten?

Ja, durchschnittlich laufen unsere Programme sechs bis acht Jahre fast unverändert. Das hängt auch mit unserer Firmenpolitik zusammen: Wir haben kein kurzfristiges Ertragsdenken, sondern langfristige Substanz-Betrachtungen.

- Das bezieht sich auf die allgemeine Firmenpolitik?

Ja, aber auch auf meine EDV-Politik. Ich will keine Erfüllungspolitik mit Insellösungen betreiben, sondern Projekte, die über einen längeren Zeitraum unverändert bestehen können.

- Sie halten sich für stark genug, diese Politik durchzustehen?

Man braucht keine besondere Stärke, wenn man die entsprechenden Gesprächspartner in der Geschäftsführung hat. Bei uneinsichtigen Gesprächspartnern muß der EDV-Leiter stärker sein.

- Stichwort "stabile Anwendungen": Tendieren Sie dazu, Standardpakete einzusetzen?

Das würde ich sehr gern, aber die meiste Standardsoftware ist zur Zeit noch zu unflexibel.

- Meinen Sie mit unflexibel, daß die Software nicht so ohne weiteres übertragbar ist, auf den Anwender?

Erst mal nicht auf den Anwender, und dann sind die ganzen Pakete miteinander schlecht zu verknüpfen, weil keine einheitlichen Schnittstellen vorhanden sind. Wir haben uns, als wir 1974 mit der Umstellung auf Online anfingen, zuerst ein Jahr lang informiert und dann eine langfristige Planung gemacht.

- Wie sah die aus?

Wir haben uns Gedanken gemacht über die Stellung der Basis-Software, über Standard-Programm-Richtlinien sowie über einen einheitlichen Bildschirm-Aufbau in allen Anwendungsbereichen. Und sehr wichtig war für uns die Überlegung, welches TP-Steuerprogramm wir einsetzen sollten. Ein Kollege hat gelobt: Ihr habt erst gedacht und dann gearbeitet. Da gibt es heute noch Anwender, die mit den Kilobytes rechnen wie zu 1401-Zeiten, nur um einige Kilobytes real zu sparen, was sich dann später oft als Trugschluß herausstellt, setzen sie billigere TP-Steuerprogramme ein, von denen sie nicht wissen, ob sie in ein paar Jahren vom Anbieter noch gewartet werden. Ich kenne Fälle, da haben Firmen- innerhalb der letzten drei Jahre dreimal das TP-Steuerprogramm gewechselt. Ich möchte derartige Planung und Entscheidung mit diesen Umstellungskosten nicht verantworten müssen. Man sollte da etwas anwendungsorientierter denken.

- Auch wer weitgehend standardisiert, kommt im Einzelfall nicht darum herum, bestehende Software-Systeme zu modifizieren. Oder haben Sie sich davon freimachen können?

Wir setzen grundsätzlich keine Programme ein, die Betriebssystem-Veränderungen bedingen. Das mache ich nicht Die Basis-Software bleibt bei uns grundsätzlich unberührt, um auch in Zukunft keine Schwierigkeiten zu bekommen - im Gegensatz zu einigen Software-Häusern, die teilweise sogar im Supervisor etwas ändern.

- Welche Anlagen haben Sie und mit welchen Betriebssystemen fahren Sie?

Wir haben eine 370/125, Modell 2 mit 512 K installiert. Wir fahren das Betriebssystem DOS Release 33 mit DL/1-Entry 2.0 und CICS unter Power.

- Ich könnte mir vorstellen, daß Sie mit dieser Hardware und diesem Betriebssystem bei Online-Betrieb Durchsatzprobleme bekommen.

Die haben wir auch. Unsere Maschine läuft im Monat mit 450 bis 500 CPU-Stunden in fünf Partitions und wir hängen zur Zeit mit 22 Bildschirmen an diesem System und mit 512 R sind wir natürlich, auch durch das Datenbanksystem, am Ende angekommen. Wir haben deshalb eine 370/148 gekauft, die im Frühjahr 1979 installiert werden soll.

- Nun wird gemunkelt, daß IBM noch in diesem Jahr die E-Serie ankündigt. War der Kauf der 370/148 nicht etwas voreilig?

Ja, vielleicht angekündigt; aber wann wird sie geliefert? Ich möchte kein Vorreiter sein, weil es doch teilweise Probleme gab. Ich kaufe die Maschine von einem Kollegen, der eine 3031 bestellt hat. Vorteil: Maschinen, die im Feld installiert sind, haben keine Frühausfälle mehr, laufen bestens. Und dann ist es so, daß ich diese 148 zu einem Preis gekauft habe, zu dem ich auch bei einem Preisverfall durch die E-Serie von 40 Prozent noch günstiger liege und sie früher bekomme.

- Wollen Sie denn, wenn Sie die 148 bekommen, auf OS gehen?

Nein, das bringt nichts: Die fünf beziehungsweise sieben Partitions im DOS genügen uns. Ich neige nicht dazu, dauernd umzustellen, weil es letztlich dem Endbenutzer nichts bringt.

Sie wollen bei DOS bleiben?

Wir bleiben bei DOS. Nochmals: Ich halte nichts davon, die Anwendungsprogramme dauernd an neue Betriebssysteme anzupassen, um intern die schönste Lösung zu haben, extern aber nichts bieten zu können.

- Nun wird vereinzelt Kritik laut, daß DOS zur Unterstützung von TP-Anwendern ab einer bestimmten Konfiguration nicht mehr das geeignete Betriebssystem ist.

Das kann ich nicht sagen. Das einzige, was wir machen müssen, ist, auf eine relativ hohe Verfügbarkeit zu achten. Wir beabsichtigen, bis 1980 rund 50 Terminals zu installieren. Es ist geplant, daß wir später dann, um eine höhere Verfügbarkeit zu erreichen, vielleicht auf eine Back-up-Lösung gehen. Wir werden aber auf jeden Fall die 148 behalten. Das ist unser Konzept.

- Welche betrieblichen Bereiche wickeln Sie über EDV ab, speziell über Bildschirm mit DL/1-Entry?

Wir haben zur Zeit 600 Batch-Programme und 320 TP-Programme. Wir sind zur Zeit dabei, IFS auf DL/1-Entry zu installieren.

Die Online-Finanzbuchhaltung?

Jawohl, das Nachfolgesystem von IFB. Dann haben wir Lohn und Gehalt, aber nur als Erfassung über den Bildschirm, weil der Dialog aus Sicherheitsgründen von uns nicht gewünscht wird. Schließlich: Was bringt es uns bei einer Betriebsgröße von 850 Leuten, wenn wir einmal im Monat aktuell sind, ansonsten die Daten aber 30 Tage lang gleich bleiben? Wir erfassen also die Lohn- und Gehaltsdaten aus der Fertigung - das andere bleibt wie gehabt im Batch.

- Wie sieht es auf der DB-Seite aus?

Zur Zeit verwalten wir eine umfangreiche Kunden- und Artikeldatenbank, die bereits seit eineinhalb Jahren läuft. Und auch die Verwaltung der Daten der Materialdisposition und Stücklisten etc. erfolgt über den Schirm. Darüber hinaus haben wir eine Auftragsabwicklung in Arbeit, die Ende des Jahres fertig wird.

- Die Einführung von DB-Systemen erfordert gewöhnlich einen hohen Testaufwand Läßt sich der reduzieren?

Wir benutzen das IBM-Programmprodukt Debug und haben außerdem ein Programm-Produkt entwickelt, das den Zugriff auf Datenbanken über ein Display-Terminal löst. Mit dieser Utility können wir Inserts, Updates und Deletes durchführen. Es bestand früher die Schwierigkeit, daß man zwar mit den Panel-Programmen sehr schnell Bilder entwerfen konnte und sehr schnell online etwas konzipiert hatte, dann mußte man aber die Datenbanken im Batch erstellen.

- Mit Ihrem Ditto ist das nicht erforderlich?

Sie können sehr schnell in bereits bestehenden Datenbank-Segmenten irgend etwas ändern. Dann können Sie speziell für Tests eine Testdatenbank innerhalb von Minuten erstellen, ohne ein zusätzliches Programm schreiben zu müssen.

Ist das ein Problem für Anwender, die eine Anlage in der Größenordnung der 125 haben?

Das ist für jeden ein Problem, der mit DL/1-Entry oder den mir bekannten Datenbanken arbeitet, daß er sich zuerst einmal, wenn er ein Programm erstellt hat, die Testdaten zusammenstellen muß. Das mußte er bislang immer im Batch machen. Er mußte also im Batch ein Programm schreiben, das er laufen ließ, um sich die ersten Sätze zu erstellen. Erst dann konnte er mit seinem Online-Programm an diese Datenbank herangehen und sie verwalten und pflegen.

- Müssen deshalb die Anwendungsprogramme geändert werden?

Nein, das hat mit den Anwendungsprogrammen nichts zu tun. Es ersetzt die Hilfsprogramme, die früher geschrieben werden mußten, um im Batch Testdaten zu erstellen. Das brauchen wir heute nicht mehr.

- Liefert IBM kein solches Ditto?

Meines Wissens nicht, sonst hätten wir es nicht entwickelt.

Jürgen Gelf (36),

leitet die Abteilung "Organisation und Datenverarbeitung" bei der Ravensburger Rafi GmbH (850 Beschäftigte) seit 1970. Das 70jährige Unternehmen produziert Drucktasten, Signalleuchten, Schaltelemente, elektronische Bauelemente, Tastaturen und elektronische Steuerungen. Im Vorjahr wurde ein Umsatz von 65 Millionen Mark erzielt.

Die EDV-Chronik der Schwaben leist sich wie ein Kapitel aus der IBM-Geschichte: Die Entwicklung begann 1966 mit einer 407. Drei Jahre später wurde eine 360/20-Kartenanlage installiert, der - nachdem dieses System mit Plattenerweiterung ausgereizt war - eine 370/125 folgte. Das war 1974. Kürzlich hat sich Gelf entschlossen, eine 370/148 bei einem Kollegen kaufen: "Die ist sehr günstig gewesen."