ERP-Konsolidierung - ein System für alle

16.01.2007
Von Frank Naujoks
Die konzernweite Einführung einheitlicher Betriebswirtschaftssoftware kann Vorteile bringen - aber nicht unbedingt für jedes Unternehmen. Von Frank Naujoks*

Die Idee eines weltweit über den gesamten Konzern hinweg einheitlichen ERP-Systems besitzt durchaus ihren Reiz. Doch bevor sich IT-Verantwortliche daranmachen, ein solches Vorhaben umzusetzen, sollten wichtige Grundvoraussetzungen geklärt werden: Das Projekt benötigt als Basis einen lohnenden Business Case. Darüber hinaus sollten einige Bedingungen technischer wie auch unternehmensspezifischer Natur erfüllt werden. Denn sonst wird aus der Vision schnell ein Albtraum, der die betroffenen Firmen über Jahre quält, Ressourcen verschlingt und unter Umständen die tägliche Arbeit im Unternehmen eher erschwert als erleichtert.

Sieben Tipps für die ERP-Konsolidierung

- Ein Konsolidierungsprojekt muss sich rechnen. Entwickeln Sie einen Business Case.

- Einheitliche Prozesse und kleinere regionale Einheiten vereinfachen die ERP-Konsolidierung.

- Läuft das ERP-System weltweit rund um die Uhr, müssen Zeitfenster für Wartung und Upgrades gut geplant werden.

- Ziehen Sie eine begrenzte Konsolidierung in Betracht, wenn das Geschäftsmodell häufig wechselt und Sie oft Zukäufe integrieren müssen.

- Um ein ERP-System zu vereinheitlichen, brauchen Sie auch eine einheitliche IT-Infrastruktur als Basis.

- Der Anstoß für eine ERP-Konsolidierung sollte aus den Fachabteilungen kommen.

- Beziehen Sie die Mitarbeiter in das Projekt mit ein. Das erhöht die Akzeptanz für die veränderten Prozesse und das neue System.

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- welche Voraussetzungen eine ERP-Konsolidierung verlangt;

- warum neben der Technik auch die Prozesse eine Rolle spielen;

- wie IT- und Fachabteilungen das Vorhaben gemeinsam stemmen sollten.

Anstöße, über eine Konsolidierung der ERP-Landschaft nachzudenken, gibt es reichlich. Beispielsweise kann die momentan verwendete Technik nicht mehr zeitgemäß sein. Vielleicht gelingt es der IT nicht mehr, die Anforderungen der Geschäftseinheiten zu erfüllen, oder Prozesse müssen schnell geändert werden. Darüber hinaus können Fusionen und Unternehmenszukäufe frischen Wind in die ERP-Landschaft der Firma bringen.

Die meisten großen, international agierenden Unternehmen unterhalten ein heterogenes Applikationsportfolio, das über die Jahre eher wild gewachsen als strategisch geplant und implementiert worden ist. So haben Konzerne wie die Deutsche Telekom oder Siemens mehr als 100 unterschiedliche Releases von SAPs Enterprise-Resource-Planning-Software im Einsatz. Gerade in solchen Situationen wächst der Wunsch des Managements nach einer Standardisierung des ERP-Portfolios auf einen einheitlichen Release-Stand eines Herstellers, insbesondere um operative Kosten zu senken und die Komplexität der IT-Landschaft zu verringern.

In der Regel ist die Konzentration auf einen Hersteller der erste Schritt in Richtung einer konsolidierten ERP-Lösung, danach erst widmet man sich den Release-Ständen. Dabei bedeutet Konsolidierung mehr als nur Standardisierung, denn gleichzeitig lassen sich auch organisatorische Veränderungen vornehmen und Geschäftsprozesse konzernweit vereinheitlichen. So können alle operativen Einheiten durch eine einheitliche ERP-Lösung auf einem gemeinsamen Prozess-Template aufbauen und dieselbe Datenbank verwenden. Zusätzlich lässt sich die technische Infrastruktur konsolidieren und vereinfachen. Außerdem können Anwenderunternehmen Kosten senken zum Beispiel in den Bereichen Integration, Schulung, Support und Hardware. Hinzu kommen mögliche Vorteile durch Prozessverbesserungen, erhöhte Datenkonsistenz sowie eine verbesserte Informationsqualität.

Dennoch ist es keine leichte Aufgabe, die eigene ERP-Landschaft zu vereinheitlichen, da beispielsweise Betriebsunterbrechungen drohen und oftmals auch ERP-Systeme abgelöst werden, an die die Anwender sich seit Jahren gewöhnt haben. Selbst wenn laut dem Business Case eine ERP-Konsolidierung sinnvoll erscheint und Einsparungen verspricht, lauern Hindernisse. Unternehmen tun sich meist schwerer als erwartet, wenn sie derartige Projekte in Angriff nehmen. Beispielsweise treten oft technische oder kulturelle Schwierigkeiten auf.

Die folgenden sieben Faktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Frage: ERP-Konsolidierung oder nicht, und beeinflussen das Gelingen des Projekts:

- Geschäftsmodell,

- Unternehmenskultur,

- geografische Konzentration,

- Geschäftsbedingungen,

- Übernahmen, Fusionen und Unternehmensteilverkäufe,

- etablierte ERP-Systeme,

- technische Umgebung.

Unternehmen im Servicesektor wie beispielsweise Finanzdienstleister werden sich leichter tun, eine Einzel-ERP-Strategie umzusetzen, als Firmen mit einem diversifizierten Geschäftsmodell, weil die ERP-Lösung hauptsächlich die Back-Office-Verwaltungsaufgaben betrifft. Prozessveränderungen in diesen Bereichen wirken sich weniger auf umsatzerzeugende Aktivitäten aus und sind aus diesem Grund weniger riskant als in operativen Bereichen wie der Produktion oder Logistik. Ist das Unternehmen dezentral organisiert, fällt es den lokalen Geschäftseinheiten deutlich schwerer zu akzeptieren, auf eine zentrale IT-Infrastruktur zurückgreifen zu müssen, als in einem zentral gesteuerten Unternehmen.

Wenn Unternehmen mit weltweit harmonisierten Geschäftsprozessen operieren, sind sie für ein einheitliches ERP-System gut aufgestellt. Multinationale Firmen, die in jedem Land andere Prozesse anwenden, werden Schwierigkeiten haben, ihre internationalen Geschäfte mit einem gemeinsamen System zu unterstützen. Für Firmen, die konzentriert in einer Region tätig sind, wird es dagegen leichter sein, die ERP-Lösung zu konsolidieren, weil Support und Betrieb des Systems in nahe beieinander liegenden Zeitzonen erfolgen. Der Zwang, ein einzelnes System rund um die Uhr zu betreiben, erhöht die Schwierigkeiten, Zeitfenster für Upgrades und Wartungsarbeiten zu finden und kann zusätzlich netzbezogene sowie Performance- und Verfügbarkeitsschwächen nach sich ziehen.

Allerdings ist eine singuläre ERP-Instanz nicht unbedingt das optimale System, wenn sich Geschäftsbedingungen kurzfristig ändern und die betroffenen Firmen schnell auf Wandlungen reagieren müssen. Zum Beispiel kann das System eines produzierenden Unternehmens rasch in Unordnung geraten, wenn die Unternehmensleitung beschließt, die Produktionskapazitäten zu verkaufen und sich zukünftig nur noch auf Design, Marketing und Vertrieb zu konzentrieren.

Ebenfalls für erhöhten Aufwand sorgen Übernahmen, Fusionen oder der Verkauf von Unternehmensteilen. Firmen, die auf ein konsolidiertes ERP-System setzen, müssen sich bei Übernahmen auch darum kümmern, dass die IT des gekauften Unternehmens sich mit ihrer eigenen Strategie verträgt.

Wenn die Mehrheit des zu integrierenden Unternehmens schon mit dem ERP-System der potenziell konsolidierten Lösung arbeitet, werden die Widerstände gegen eine konzernweite Einführung innerhalb der betroffenen Bereiche geringer sein. Dennoch ist damit zu rechnen, dass beispielsweise einzelne Landesgesellschaften Argumente vorbringen werden, warum das lokale dem globalen System überlegen ist. Je weniger dominant das für den gemeinsamen Betrieb ausgewählte ERP-System bereits läuft, umso größerer Widerspruch ist zu erwarten.

Weitere Widerstände stehen bevor, wenn keine gemeinsame Plattform und Enterprise Architecture vorhanden ist. Ein konsolidiertes System verlangt die Einführung einer definierten technischen Umgebung in Form eines einheitlichen Betriebssystems, Datenbank, Middleware und anderer IT-Infrastruktur. Unternehmen, die über diese standardisierte IT-Infrastruktur bereits verfügen, kommen in der Regel mit der Einführung einer konsolidierten ERP-Lösung besser zurecht.

Oft werden die Konsolidierungsprojekte von der IT-Abteilung angestoßen, um die Applikationslandschaft übersichtlicher zu gestalten und die Pflege sowie Wartung der IT zu vereinfachen. Aber die ersten fünf der sieben oben genannten Faktoren liegen außerhalb des Einflussbereichs der IT-Abteilung. Sie sind vielmehr die Domäne der Fachabteilungen. Dies bedeutet, dass Konsolidierungsprojekte im Grunde genommen durch die Fachabteilungen angestoßen werden sollten - basierend auf einem Business Case, der die Vorteile für die Fachabteilungen darstellt.

Ohne das Verständnis und die Unterstützung der Fachabteilung werden solche Projekte aller Wahrscheinlichkeit nach wenig erfolgreich verlaufen. Die IT-Abteilung spielt sicher eine wichtige Rolle dabei, die Vorteile der Konsolidierung zu erklären und die entsprechenden Projekte abzuwickeln. Die Verantwortung sollte aber bei den Fachabteilungen liegen.

Wenn Unternehmen nicht die notwendigen technischen und kulturellen Voraussetzungen mitbringen, nur ein ERP-System und eine Datenbank zu betreiben, besteht immer noch die Möglichkeit, den über die Jahre angesammelten Wildwuchs wenigstens zu lichten. Dazu sollten die Verantwortlichen eine begrenzte Konsolidierung ins Auge fassen. Auf diese Weise können Unternehmen die Effizienz der IT-Abteilung verbessern, weil der Betrieb und die Wartung der ERP-Systeme vereinfacht werden. Das bietet sich beispielsweise für Konzerne an, die diversifiziert und dezentral aufgestellt sind, in einem dynamischen Marktumfeld arbeiten und ihre IT-Kosten senken wollen.

Ein Weg zur vollständigen ERP-Konsolidierung führt über die Beseitigung der organisatorischen Barrieren innerhalb des Unternehmens. Da bietet es sich beispielsweise an, die Verantwortlichen der einzelnen Geschäftseinheiten einzubeziehen, wenn es darum geht, den Business Case für das Vorhaben zu planen und zu entwickeln. Darüber hinaus sollte im Rahmen einer Machbarkeitsstudie dargestellt werden, wie die Anforderungen der einzelnen Geschäftseinheiten in einem singulären ERP-System abgebildet werden können.

Die ERP-Konsolidierung bietet Anwenderunternehmen die Chance, Strukturen und Prozesse zu überprüfen, gegebenenfalls zu verändern beziehungsweise weltweit zu vereinheitlichen und dabei Wartungs- und Supportkosten zu sparen. Allerdings muss die Organisation bereit sein, diese Veränderungen zu akzeptieren. Denn im Zuge eines solchen Projekts werden sich Aufgaben, Zuständigkeiten und Abläufe ändern. Andernfalls werden bestehende Arbeitsabläufe nur neu elektrifiziert statt optimiert. (ba)

*Frank Naujoks ist Analyst für den Bereich Enterprise Application bei IDC Central Europe