Meta-Group-Direktor Rüdiger Spies im CW-Interview

ERP: Integration versus Best of Breed

20.04.2001
Unterstützen nur voll integrierte ERP-Systeme eines einzigen Herstellers den geschäftlichen Erfolg des Anwenderunternehmens? Oder kommt es heute stärker darauf an, ausgesuchte Anwendungskomponenten zu kombinieren? Auf die Frage nach der alten Kontroverse kennt Rüdiger Spies neue Antworten. Für die CW sprach Johannes Kelch* mit dem Director Consulting und Principal der Meta Group Deutschland GmbH.

CW: Die großen und mittleren Unternehmen haben inzwischen meist die ERP-Systeme eines bestimmten Herstellers installiert. Reichen die integrierten Lösungen aus, um im Wettbewerb zu bestehen?

Spies: Integration ist ein ganz wichtiges Argument. Die Global-2000-Unternehmen arbeiteten vor der Einführung von ERP-Systemen im Durchschnitt mit 47 verschiedenen unternehmenstragenden Anwendungen. Diese Zahl wurde durch die ERP-Systeme reduziert. Verbunden waren damit die Hoffnung und der Wunsch, interne Prozesse zu optimieren, den Aufwand für Pflege und Support zurückzufahren und die Kosten zu senken. Bei den meisten Firmen ist das gelungen, auch wenn die Ausgaben insgesamt höher waren als ursprünglich kalkuliert.

CW: Sind diese Unternehmen damit für die Zukunft gerüstet?

Spies: Die Welt hat sich weiterentwickelt. IT-gestützte Prozesse überschreiten heute die Grenzen eines Unternehmens. Die neuen Herausforderungen heißen beispielsweise E-Business, Individualisierung der Produktion, Aufbau von unternehmensübergreifenden Supply Chains. Zusätzlich zum ERP-Backbone sind Schnittstellen, Zusatzmodule und Erweiterungsfunktionen notwendig.

CW: Wie gut funktionieren denn integrierte Lösungen eines Herstellers, zum Beispiel der SAP, die mit dem Produkt eines strategischen Partners, beispielsweise Commerce One, ergänzt wurden?

Spies: Der Begriff strategische Partnerschaft ist sehr dehnbar. Bei SAP/Commerce One beispielsweise investieren beide Seiten erheblich, um die Partnerschaft zu leben. Wie zeitlich begrenzt strategische Partnerschaften sein können, zeigt allerdings die gerade zu Ende gegangene Beziehung zwischen i2 und Ariba.

CW: Sind strategische Partner eigentlich vertrauenswürdiger als andere Anbieter?

Spies: Wer im Zeichen von E-Business und Collaborative Computing ernst genommen werden will, muss beweisen, dass er partnerfähig ist. Software, die unternehmensübergreifend eingesetzt werden und die Brücke von Anwendung zu Anwendung schlagen soll, benötigt eine Reihe neuer Komponenten, die in den klassischen ERP-Systemen zumeist nicht enthalten sind. Eine adäquate Eigenentwicklung braucht viel Zeit und wertvolles Entwickler-Know-how. Insofern sind diejenigen, die ihre wichtigen Partnerschaften unter Dach und Fach haben, sicher einen Schritt voraus.

CW: Wie weit haben es die Hersteller von ERP-Software geschafft, ihre Produkte an heterogene Umgebungen anzupassen?

Spies: Wir unterscheiden drei Stufen der Integration. Auf der ersten Stufe geht es schlicht um den Informationsaustausch - Stichwort EDI. Das ist seit längerer Zeit erreicht. Die zweite Stufe beinhaltet den wechselseitigen Zugriff auf Anwendungen und Daten, beispielsweise die Eingabe einer Bestellung in das System eines Zulieferers. Das bereitet heute ebenfalls keine Schwierigkeiten mehr; hier geht es im Wesentlichen darum, die Produkte Web-fähig zu machen. Auf der dritten Stufe kommunizieren die IT-Systeme der Partner direkt miteinander. Dies ist die schwierigste Integration. Sie erfordert Schnittstellen-Erweiterungen der Anwendungssysteme, zum Teil auch Architekturerweiterungen, Übersetzungsmechanismen und die Beantwortung wichtiger Data-Security-Fragen. Daran arbeiten die großen ERP-Anbieter noch.

CW: Was tun sie konkret, um ihre Produkte für den unternehmensübergreifenden Austausch vorzubereiten?

Spies: Sie öffnen ihre Systeme, bieten XML-Schnittstellen an und statten ihre Software mit Integra-tions-Servern aus. Hier ist Oracle mit dem Application and Integration Server der Vorreiter. Inzwischen haben aber auch SAP, Peoplesoft und J. D. Edwards eingesehen, dass sie ohne diese Technik die Integration in heterogene Umgebungen nicht erreichen.

CW: Ist XML nicht schon die Lösung für die Kommunikation zwischen IT-Systemen?

Spies: Nicht die alleinige! Bei XML handelt es sich mehr um Buchstaben als um Worte. Die Kooperationspartner müssen sich auf einen Dialekt einigen. Branchenstandards stecken noch in den Kinderschuhen. Lediglich da, wo das Gleichgewicht stark zugunsten eines Partners verschoben ist, beispielsweise in der Automobilindustrie, definieren die jeweiligen Gravitationszentren, in welcher Sprache mit den Zulieferern kommuniziert werden soll.

CW: Wir haben vor allem über große ERP-Anbieter gesprochen. Was haben die Anwender kleinerer Softwareunternehmen zu erwarten?

Spies: Die 30 bis 40 mittelgroßen ERP-Anbieter tun sich sehr schwer, die Integrationskompetenz der dritten Stufe aufzubauen. Ohne Partnerschaften ist das kaum zu schaffen. Diese ERP-Anbieter beliefern überwiegend mittelgroße Unternehmen. In dieser Gruppe sind sehr unterschiedliche Systeme im Einsatz. Der Integrationsaufwand ist daher nicht unerheblich. So wird es schwer fallen, zwischen Systemen verschiedener Hersteller - zum Beispiel Navision und Baan - eine tragfähige Verbindung herzustellen.

CW: Hat die Best-of-Breed-Idee angesichts dieser Integrationsschwierigkeiten überhaupt eine Chance?

Spies: Es ist sicher eine Illusion, zu glauben, man könne die optimale IT eines Unternehmens aus einem Teil SAP, einem Teil J. D. Edwards und einem Teil Oracle Applications konfigurieren. Es wird immer ein ERP-Backbone als Referenzplattform des Gesamtsystems geben, das - trotz Unzulänglichkeiten im Detail - für viele Standardaufgaben genutzt wird. Wer eine Office-Suite angeschafft hat, wird auch nicht zusätzlich die Textverarbeitung oder die Tabellenkalkulation eines anderen Anbieters einsetzen, nur weil diese Programme besser sind als die betreffenden Bestandteile der Suite. Allerdings werden die Unternehmen für spezielle Aufgaben - zum Beispiel Data Warehousing, E-Business oder Cus-tomer-Relationship-Management - immer Module von anderen Anbietern benötigen.

CW: Stichwort Data Warehouse: Welches System sollte hier beschafft werden - das beste oder das am leichtesten integrierbare?

Spies: Wenn 80 Prozent der Daten, die in dem Data Warehouse gesammelt, analysiert und ausgewertet werden, aus dem ERP-System eines Herstellers kommen, dann ist es sinnvoll, dessen Data-Warehouse-System einzusetzen - auch dann, wenn es nicht ganz dem Pflichtenheft entspricht. Denn die Integration würde ein hohes Maß an individueller Programmierung erfordern. Wenn jedoch nur 20 Prozent der Daten aus dem ERP-Referenzsystem stammen, wird wohl das ausgefeilte Produkt eines unabhängigen Anbieters zum besseren Ergebnis führen.

CW: Welche Chance räumen Sie der freien Kombinierbarkeit von ERP-Komponenten abschließend ein?

Spies: In einem eingeschränkten Sinn gibt es durchaus solche Kombinationsmöglichkeiten. Im Einzelfall ist es sicher möglich und sinnvoll, ein ERP-System von SAP mit dem Modul Human Relations von Peoplesoft zu verbinden. Aber statt die IT zu jeweils 50 Prozent aus dem Finanzmodul von SAP und aus der Fertigungssteuerung von Oracle zusammenzubauen, verspricht es mehr Erfolg, auf dem Backbone eines Herstellers aufzusetzen und es mit Spezialmodulen für Zusatzfunktionen zu ergänzen.

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.

Abb: Evolution der Zusammenarbeit

Während die ersten beiden Stufen auf dem Weg ins Collaborative Computing von den Unternehmen bereits angegangen werden, ist echte Zusammenarbeit unterschiedlicher Systeme noch Vision. Quelle: Meta Group