Musiktauschbörse Napster und die Rechtsprechung

"Erosion der Urheberrechte im Web nicht aufzuhalten"

12.01.2001
MÜNCHEN (CW) - Wohl kaum ein Unternehmen stand vergangenes Jahr so im Rampenlicht wie die Musiktauschbörse Napster. Gerichte prüfen noch, ob die Firma gegen Urheberrechte verstößt. Jürgen Heilbock* beurteilt den Fall nach der deutschen Rechtsprechung.

In einer perfekten Welt wären nicht die Gerichte für Napster zuständig, da die bestehenden Gesetze auch in Deutschland nur unzureichend auf die Innovationen des E-Commerce und die Internationalität des Internet vorbereitet sind. Auch die früheren Klagen gegen die Einführung der Videorekorder und Tonbandgeräte hatten lediglich zu einer Zeitverzögerung, nicht aber zu einer Verhinderung neuer Technologien geführt. Natürlich sind die bestehenden Zuständigkeitsregeln der Justiz und die materiellen Gesetze weit und abstrakt genug gefasst, um auch Napster, Gnutella, Freenet und andere Ersteller von Musiktauschsoftware vor den Kadi zu ziehen.

Verletzt Napster Urheberrechte? Hierbei muss man die drei Kernhandlungen Musikkopie und -angebot, Musik-Download und Softwareangebot unterscheiden. Zu berücksichtigen ist auch, ob es sich überhaupt um Musikstücke handelt, die dem Urheberrecht unterliegen. Rund 25000 Künstler haben beispielsweise Napster gestattet, ihre Musik weiterzuverbreiten, und auch MP3.com arbeitete ursprünglich nur mit Künstlern zusammen, die auf ihre Urheberrechte verzichteten, bevor die Musik im Internet unter www.mp3.com zum freien Download bereitgestellt wurde. Tatsache ist aber auch, dass ein erheblicher Teil der bei Napster getauschten Musikstücke dem Urheberrecht unterliegt.

Die Musikkopie zur privaten Nutzung ist keine Urheberrechtsverletzung. Hierunter fällt auch die Umwandlung einer CD in MP3-Files, um beispielsweise die Musikstücke mit einem MP3-Walkman anzuhören. Diese rechtmäßig hergestellte Musikkopie darf allerdings nicht im Internet an beliebige Dritte verbreitet werden, da sie sonst den privaten Bereich verlässt. Zulässig ist lediglich die Weitergabe - auch über das Internet - an einen beschränkten, individuell ausgewählten Kreis von Personen, wie zum Beispiel die Familienangehörigen, nicht aber an alle registrierten Nutzer einer Software, wie es bei Napster der Fall ist.

Ob der Empfänger eines illegalen Musikstücks eine Urheberrechtsverletzung begeht, ist in Deutschland noch nicht endgültig geklärt. Die besseren Argumente sprechen dafür, beim MusikDownload eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch anzunehmen, auch wenn das kopierte Werk nicht legal im Internet zum Download bereitgehalten wurde.

Niemand hat bisher geltend gemacht, dass Napster und die anderen Softwareunternehmen selbst Urheberrechte verletzt hätten, sondern lediglich, dass sie Software zur Verfügung gestellt haben, die den Austausch von Musikdateien - legal und illegal - erleichtern. Die Art und Weise wie der Musiktausch technisch vonstatten geht, unterscheidet sich bei den einzelnen Gesellschaften stark. Napster unterhält neben der Software mit den entsprechenden Suchfunktionen einen zentralen Server mit einem Verzeichnis, auf welcher Festplatte welche Musik zu finden ist. Eben dieses Verzeichnis können Gerichte per einstweiliger Verfügung stoppen. Gnutella dagegen kommt ohne zentralen Server und Verzeichnis aus, die Software und auch deren Quellcode ist frei im Internet verfügbar. Es erschwert insoweit gerichtliche Verfügungen mangels Adressaten und zentraler Intelligenz.

Unabhängig von den technischen und wirtschaftlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Musiktauschprogrammen ist die Verletzung des deutschen Urheberrechts hier von Interesse. Eine Haftung von Napster für fremde Urheberrechtsverletzungen durch die Anbieter von illegalen Musikstücken wäre nur im Rahmen des Teledienstegesetzes möglich. Danach sind aber Diensteanbieter für fremde Inhalte nicht verantwortlich, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln. Da solchen Service-Providern auch Suchmaschinen und generell die Anbieter von Software mit Suchfunktionen zu verstehen sind, kommt Napster die Privilegierung nach dem Teledienstegesetz zugute. Suchmaschinen helfen dem Nutzer, eine gewünschte Adresse wie beim Telefonbuch herauszufinden, Inhalte fremder Web-Seiten werden dabei jedoch nicht bereitgehalten. Auch eine Beihilfe - durch die Überlassung der Software - zur strafbewehrten Urheberrechtsverletzung der Raubkopierer scheidet aus, da Napster wiederum die Privilegierung des Teledienstegesetzes für nur mittelbare Rechtsgutsverletzungen zugute kommt. Zudem fehlt Napster jeglicher Vorsatz und jede Kenntnis einer konkreten Urheberrechtsverletzung.

Es wäre möglich, all die genannten juristischen Fragen in den kommenden vier bis fünf Jahren zum Preis von einigen hunderttausend Mark zu klären. Im günstigsten Fall hätte die Branche eine technische Innovation um einige Jahre verzögert, bis es vielleicht gelungen wäre, mit den entsprechenden Wasserzeichen und verbesserter Software das digitale Kopieren von Musikstücken zu unterbinden. Technische Möglichkeiten dieser Art existieren bereits, finden aber nur sehr wenig Anwendung. Im ungünstigsten Fall hätte die Musikbranche einen erheblichen Teil der Jugendlichen als Hauptnutzer der Musiktauschsoftware zum Handel auf dem Schwarzmarkt sozialisiert und einige Hochbegabte in die Illegalität getrieben, wo sie im Geheimen noch bessere Software zur Erstellung von Raubkopien schreiben könnten, die ohne all die derzeit bekannten Handicaps der Musiktauschsoftware funktioniert. In beiden Fällen scheint die Erosion des Urheberrechts infolge des technischen Fortschritts und der beliebigen Kopierbarkeit von digitalen Werkstücken unter den Jugendlichen als Hauptnutzer der Musiktauschsoftware von den Gerichten nicht aufzuhalten.

Vielleicht ist es an der Zeit, Server, Computerfestplatten und auch Musiktauschsoftware mit einer angemessenen Urheberrechtsabgabe, ähnlich wie bei Leerkassetten, zu belegen, da sie zur Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Musikstücken und bald auch Videos bestimmt sind (siehe Kasten "Urheberabgaben"). Dann stände der Musiktauschsoftware auch nichts mehr im Wege. Hierfür sind allerdings nicht die Gerichte, sondern die beteiligten Wirtschaftskreise zuständig, und vielleicht ist die strategische Allianz von Bertelsmann und Napster ein Schritt in die richtige Richtung.

* Jürgen Heilbock, LL.M. ist Rechtsanwalt und Attorney-at-Law (New York) und Partner in der Sozietät Wessing in Frankfurt am Main.

Urheberabgaben

Die von Jürgen Heilbock beschriebene Urheberabgabe wurde von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte Kommunikation (Gema) im Sommer vergangenen Jahres gefordert. Der Gema schwebt ein Betrag von etwa 41 Mark für einen Rechner im Wert von 3000 Mark vor.

Für CD-Brenner gibt es bereits eine Abgabe. Ende November 2000 hat sich Hewlett-Packard mit der Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ), einer Inkasso-Firma für Urheberrechts-Verwertungsgesellschaften wie der Gema, vor Gericht auf eine Urheberpauschale von 17 Mark pro Gerät geeinigt.