Erfinder denken in Japan schneller

15.02.1985

Seit rund einem Jahrzehnt ist die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ähnlich wie die anderer großer Industriestaaten auf zahlreichen technischen Gebieten einem ernst zu nehmenden japanischen Konkurrenzdruck sowohl im Inland als auch auf dem Weltmarkt ausgesetzt. Bisher unangefochten führende Export-Nationen wie die USA und die Bundesrepublik Deutschland haben traditionell von ihnen beherrschte Märkte an die Hersteller aus Fernost verloren. Dies gilt für Motorräder und Kameras ebenso wie für die vielfältigen Produkte der Unterhaltungsindustrie.

Andere Märkte - etwa der Automobilmarkt - sind hart umkämpft. Dabei lassen sich die Erfolge der japanischen Industrie längst nicht mehr allein auf eine günstigere Preisgestaltung zurückführen. Eine konsequente Forschungspolitik hat diesem Land in überraschend kurzer Zeit zu einer führenden Position gerade auch auf den Sektoren verholfen, die in Zukunft den Fortschritt auf weiten Gebieten der Technik wesentlich beeinflussen werden. Ich meine damit in erster Linie die Mikroelektronik und die Computertechnik.

Sicher geben intensive Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nicht allein den Ausschlag für das Gedeihen einer Volkswirtschaft. Wohl aber sind deren Ergebnisse dabei ein wesentlicher Faktor. Welche Anstrengungen die japanische und auch die US-amerikanischen Mitbewerber auf dem Gebiet der Forschung unternehmen, um in den nächsten Jahren ihrer ausländischen Konkurrenz mit fortschrittlichen technischen Produkten und Verfahren auf dem Weltmarkt zu begegnen, läßt sich einigermaßen zuverlässig an der Produktion technischen Wissens ablesen, die in der Veröffentlichung von Patentdokumenten einen signifikanten Ausdruck findet.

Eine im Deutschen Patentamt durchgeführte Untersuchung vermittelt recht aufschlußreiche Erkenntnisse über die Entwicklung im Jahr 1982 auf kritisch erscheinenden technischen Fachgebieten in Deutschland, Japan und den USA. Auf den veröffentlichten Patentdokumenten der Patentämter dieser Länder wurden dabei die angegebenen Nennungen von technischen Fachgebieten nach Symbolen der Internationalen Patentklassifikation (IPC) berücksichtigt.

Im Bereich Großcomputer erschienen weltweit 14 149 Patent-Druckschriften. Japan liegt mit 6590 Veröffentlichungen an der Spitze, gefolgt von 1016 Dokumenten in den USA und lediglich 863 in Deutschland. Ähnlich große Unterschiede zwischen diesen drei Nationen weist die Statistik mit 964 Patentveröffentlichungen über Roboter und Manipulatoren aus. Wieder befindet sich Japan mit 345 an erster Stelle. Deutschland folgt mit 74 Publikationen, die USA bilden mit 19 das Schlußlicht. Ein krasses Ergebnis weisen auch Veröffentlichungszahlen im Feld der Mikroelektronik über Halbleiter-Bauelemente beziehungsweise elektrische Festkörperbauelemente auf. Von weltweit 13 467 Publikationen entfallen auf Japan 8679, auf unser Land 892, auf die USA 724.

Die Untersuchungen zu anderen technischen Gebieten etwa der Unterhaltungselektronik - ergaben ähnliche Relationen. Bildübertragung oder stereophone Systeme verzeichnen weltweit 9411 Patentanmeldungen. Für Japan sind 4245 zu zählen, für die Bundesrepublik 1382, und für die USA sind es 649 Dokumente.

Zu beachten ist bei den Angaben, daß die für die USA ermittelten Zahlen wenigstens verdoppelt werden müssen, weil das US-Patentamt Dokumente nur für tatsächlich erteilte Patente veröffentlicht, während in Deutschland und Japan grundsätzlich die Unterlagen jeder Patentanmeldung als Druckschrift erscheinen.

Eine Patentanmeldung umfaßt in der Bundesrepublik Deutschland in aller Regel mehrere Patentansprüche, während japanische Anmelder in der Vergangenheit für jeden Patentanspruch jeweils eine gesonderte Patentanmeldung einzureichen pflegten. Jedoch läßt sich nach einer im Jahre 1976 erfolgten Änderung des japanischen Patentgesetzes feststellen, daß zunehmend international übliche Standards auch in diesem Lande eingehalten werden.

Im Ausland eingereichte Patentanmeldungen unterscheiden sich weder in erfinderischer Qualität noch im Umfang von den Anmeldungen aus den übrigen Industrieländern. Ich glaube deshalb, daß die hier abgedruckten Zahlen für sich sprechen. Sie machen deutlich, daß auf den angesprochenen technischen Gebieten in den nächsten Jahren bei uns besondere Anstrengungen erforderlich sind, um den Anschluß an die rasant fortschreitende Technik zu halten und so unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden.

Dies gilt insbesondere für den Bereich der Mikroelektronik und damit verbundene Gebiete des Großcomputers, der Unterhaltungselektronik sowie der Bürotechnik, aber auch für die zunehmend von Mikroelektronik beeinflußten differenzierten Bereiche des Maschinenbaus. Gleichzeitig ergeben sich aus diesen Zahlen die Sparten industrieller Fertigung, auf denen unsere Industrie in den nächsten Jahren mit einem erheblichen Konkurrenzdruck ausländischer Produkte auf dem Inlandsmarkt rechnen muß.

Inzwischen wurden die technischen und wirtschaftlichen Risiken für unsere Industrie deutlich erkannt. Vielfältige Bemühungen staatlicher Institutionen, aber auch privater Organisationen sind in Gang gekommen, den - nicht zu leugnenden - Rückstand wieder aufzuholen. Es gilt, den Anschluß an die technische Entwicklung nicht zu verlieren oder einen gelegentlich noch vorhandenen technischen Vorsprung zu bewahren und auszubauen. Diese bisher zu wenig koordinierten Bestrebungen müssen zum Ziel haben, Forschung und Entwicklung auf möglichst vielen technischen Gebieten voranzutreiben. Dabei sind besonders technisch-kreative Menschen, also Wissenschaftler, Forscher und Erfinder, zu Höchstleistungen anzuspornen. Hier spielt sicher auch der Einsatz von Förderungsmitteln eine bedeutsam Rolle. Wichtiger erscheint es aber, durch gesetzgeberische Maßnahmen und die Aufbereitung des gesamten Umfeldes technische Kreativität und Innovationsbereitschaft zu fördern und insgesamt wieder ein technik- und erfinderfreundliches Klima zu schaffen.

Dr. Erich Häußer Präsident des Deutschen Patentamtes, München