Elektronische Medien und EDV

28.09.1979

Dr. Artur Jerger, Verwaltungsdirektor des Hessischen Rundfunks, Vorsitzender des

EDV-Arbeitskreises ARD/ZDF, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Gebühreneinzugszentrale (GEZ)

An und für sich hat es gar nicht so lange gedauert, bis die elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen, ähnlich wie die Print-Medien, ihre Tore für die elektronische Datenverarbeitung erst zierlich, dann aber doch mehr zuversichtlich geöffnet haben.

Es versteht sich von selbst, daß die EDV und vorher das Lochkartenverfahren zuerst in den Rundfunkverwaltungen Einzug hielten, bevor die Programmabteilungen sich mehr oder weniger stark der "Entlastungshilfe EDV" bedienen konnten oder wollten.

EDV in der Rundfunkverwaltung bedeutet, daß mit zunehmender Ausweitung durch mehr Programme in Hörfunk und Fernsehen Mengenprobleme in der Administration der Rundfunk- und Fernsehanstalten aufgetreten sind, die zum Teil gigantische Dimensionen annahmen. Man denke nur daran, daß es rund 25 000 festangestellte Mitarbeiter gibt, deren Gehalt es abzurechnen gilt. Daneben sind Millionen von Honoraren und Urhebervergütungen an Zigtausende von Mitarbeitern und Verlage abzurechnen und zu überweisen. Auch die vielfältigen Vorgänge in der Finanzbuchhaltung, der Anlagenbuchhaltung, der Verbrauchsmaterialabrechnung, der Bauabrechnung, des bargeldlosen Zahlungsverkehrs neben der Fülle zu erarbeitender Statistiken sind Beispiele

genug dafür, daß die Rundfunkanstalten zuerst im Batch-, dann in zunehmendem Maße im Online-Betrieb diese Arbeitsverfälle mit Hilfe der EDV erledigen.

Unabhängig davon haben die Techniker in den Rundfunkanstalten, ausgehend von einer einfachen Regeltechnik, die Automation zuerst bei den Sendern eingeführt. Ganze Senderketten werden heute mit Hilfe von Fernwirkanlagen ferngesteuert. Auch der Sendeablauf wird heute zunehmend mit Prozeßdatenverarbeitungsanlagen automatisiert gesteuert und kann so zu Rationalisierungserfolgen im Personalbereich führen.

Das japanische Mode

Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem neben der Rundfunkverwaltung und der Rundfunktechnik auch die Programmleute (Redakteure, Produzenten, Realisatoren

Siehe zum Thema auch Broschüre "EDV im Rundfunk", Frankfurt/Mainz 1977 und ARD-Jahrbuch 1972 "Dialog mit dem Computer"

etc.) auf Möglichkeiten der Arbeitserleichterung mit Hilfe der EDV aufmerksam wurden, erhob sich die Frage nach der Integration in größere Systeme, sogenannte NHS (Management Information System) Verfahren. Der föderalistisch aufgebaute Rundfunk hatte dabei andere Gesetzmäßigkeiten zu beachten als zentrale Rundfunksysteme in England, Frankreich, Italien, den USA oder Japan. Die japanische Rundfunkgesellschaft NHK war es, die als erste Rundfunkanstalt ihr System "Topics" (Total Online Programme Information and Communication System) als allumfassendes System für die Planung, Finanzierung, Produktion, Ausstrahlung und Abrechnung einschließlich Statistik vorstellte. NHK in Tokyo galt als das Mekka für EDV-Interessierte in Rundfunkanstalten. Auch ARD- und ZDF-Besucher verwiesen ursprünglich euphorisch auf die gewaltige Kraftanstrengung und die eigentlichen oder vordergründigen Vorzüge. Nach dem Abklingen der ersten Euphorie zeigte sich doch eine nicht unerhebliche Benutzerunfreundlichkeit, die eine Adaption des japanischen Beispiels auf die differenzierter und zeitnaher produzierenden und ausstrahlenden sowie regional arbeitenden deutschen Rundfunkanstalten nicht für zweckmäßig erscheinen ließ. Auch die zentral arbeitende deutsche Fernsehanstalt, ZDF, sah es als nicht sinnvoll an, das japanische Beispiel nachzuahmen. In dem im Jahr 1970 gebildeten EDV-Arbeitskreis, dem alle Rundfunkanstalten der ARD, das ZDF, der Österreichische Rundfunk (ORF) und die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) angehören, wurden und werden die Probleme behandelt und einer Lösung zugeführt. Während ursprünglich die erste Aufgabe in der Vermeidung von Überkapazitäten bei der Hardware gesehen wurde, hat sich der Schwerpunkt mit zunehmender Verbilligung der Kernspeicher auf die Erarbeitung von adaptablen oder modifizierbaren Pilotmodellen von sogenannten Insellösungen verlagert.

Im Verwaltungsbereich darf natürlich auch die ARD/ZDF- zentrale Lösung des Gebühreneinzugs über die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) mit wei Großcomputern Ó sechs MB nicht vergessen werden, wohl der größte Rationalisierungserfolg, den die deutschen Rundfunkanstalten mit der Einsparung von mehr als 100 Millionen Mark pro Jahr erzielen konnten.

Rundfunk-EDV in den 80er Jahren

Wo stehen die deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten heute? Welches sind ihre spezifischen Fragestellungen an die EDV für die 80er und 90er Jahre? Die Antwort auf diese Fragen kann nicht gegeben werden ohne den Hinweis auf die notwendige Transparenz über die riesengroßen und explosionsartig sich erweiternden Bestände in den Tonträger-, Bildträger-, Presse-, Noten- und sonstigen Archiven. Allein die Filmarchive der Rundfunk- und Fernsehanstalten verdoppeln trotz Selektion und Löschung ihre Bestände alle zehn Jahre. Angesichts dieser Entwicklung ist nicht nur aus Raumgründen, sondern vor allem aus Gründen der Übersicht und der Wiederverwendbarkeit die Möglichkeit von Datenbanklösungen (Retrievals) zu untersuchen. Der Prozeß der Meinungsfindung ist unter besonderer Berücksichtigung auch der Probleme der auf dem Bild- und Tonträger liegenden Rechte, der redaktionellen, aktuellen, technischen und juristisch abgesicherten Wiederholbarkeit oder Einspielbarkeit in die Programme, aber auch unter dem Aspekt des Datenschutzes zu sehen. Ob auch hier eine ARD/ZDF-Lösung für einen anstaltsüberschreitenden Zugriff auf die Datenbankbestände der anderen Anstalten realisierbar ist, wird die Zukunft zeigen. Wünschenswert im Sinne der optimalen und kostengünstigsten Lösung ist es zweifellos.

Pilotmodell "Selap"

Die mit EDV gesteuerte Disposition von Spots in Werbefunk und Werbefernsehen, die Programmgestaltung in den Musik- und Unterhaltungsredaktionen des Hörfunks mit Hilfe eines vom Bayerischen Rundfunk als Pilotmodell entwickelten Systems Selap, wie auch im Prozeßdatenbereich die optimierungsgesteuerte Hörfunk- und Fernsehsternpunktlösung beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt sind Beispiele für Teillösungen, wie sie das deutsche Rundfunkwesen braucht.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß andere föderalistisch aufgebaute Rundfunksysteme, wie in Holland und in Jugoslawien, gelegentlich Anleihen bei den deutschen Rundfunkanstalten im EDV-Bereich machen.

Ein Zukunftsaspekt verdient besondere Beachtung. Nach wie vor gibt es eine gewisse Reserve, um nicht zu sagen Abneigung, gegen die Einführung der EDV in den Programmbereichen der Hörfunk- und Fernsehanstalten. Sie rührt primär aus der unbegründeten Angst der schöpferisch tätigen Programmacher vor einer Schematisierung ihrer Arbeit. Die EDV jedoch will keinesfalls die schöpferische Freiheit einengen, sondern das genaue Gegenteil, nämlich die schöpferisch tätigen Menschen für ihre eigentliche Aufgabe, das Denken, von Routinearbeit freimachen. Aber auch Programmleute müssen sich sagen lassen, daß die EDV auch sie in gewissem Sinn zu ökonomischem Arbeitsverhalten veranlaßt, denn schöpferische Freiheit bedeutet auch kein Alibi für ungenügende organisatorische Problemlösungen. So gilt es, die EDV im Programmbereich als das zu verstehen, was sie ist, eine Hilfe, nicht mehr überschaubare Mengen oder Abläufe wieder überschaubar und damit bearbeitbar machen zu können.