Workflow/ABB Turbo Systems erkundet Rationalisierungsmöglichkeiten

Elektronische Büroorganisation ist nicht rundum perfekt

04.09.1998

ABB Turbo Systems ist der weltweit führende Hersteller von Abgasturboladern für Diesel- und Gasmotoren ab 500 Kilowatt Leistung. Über 180000 dieser Aggregate sind weltweit in Kraftwerken, auf Schiffen, Lokomotiven und schweren Baustellen- und Minenfahrzeugen im Einsatz. Produktion und das zentrale Ersatzteilzentrum sowie Forschung und Entwicklung sind am Standort Baden konzentriert.

Laut Jens-Christian Fischer, einem verantwortlichen Mitarbeiter der IT-Abteilung, hat sich der Konzern in jüngster Vergangenheit dazu entschlossen, seine unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse mit SAP R/3 und der Lotus-Groupware "Notes" zu unterstützen. Wie auch in anderen der insgesamt 1500 Firmen des Konzerns soll IT dem Ziel dienen, die Marktposi- tion auszubauen.

Von IT und einer Vielzahl von Werkzeugen erwartet die Chefetage eine optimale Unterstützung der Bereiche Konstruktion, Fertigung, Logistik und Service. Allein die flächendeckende Einführung von SAP R/3 im Big-Bang-Verfahren hat eine ganze Reihe von Host-Anwendungen und selbstgestrickter Software abgelöst.

Lotus Notes ist der zweite Grundpfeiler dieser Strategie: Die Groupware ist Drehscheibe für die konzernübergreifende Kommunikation und zugleich eine Plattform, um mit unstrukturierten Inhalten - Stichwort Knowledge-Management - umzugehen. Über eine mögliche Verwendung des Internet wird derzeit heftig diskutiert. "Das Internet um seiner selbst willen wollen wir nicht", gibt Fischer die Marschrichtung vor.

Rationalisierungspotentiale liegen insbesondere im Bereich der administrativen Aufgaben und Prozesse. Denn Transport-, Liege- und Wartezeiten von Dokumenten und deren zeitaufwendige Bearbeitung haben ein unerträgliches Ausmaß erreicht. Durch gezielten Einsatz der elektronischen Vorgangssteuerung (Workflow) will auch ABB Turbo Systems die mit manueller Bearbeitung anfallenden Kosten für Arbeitszeit und Papier einsparen. Voraussetzung ist allerdings, daß sich die favorisierte Lösung ins SAP- und Notes-Umfeld einfügt. Denn effiziente Vorgangssteuerung über R/3 oder die Lotus-Groupware ist, so Fischer, nur "mit großen Einschränkungen" möglich.

Im Test hatte das Unternehmen eine Workflow-Lösung mit dem Titel "Kreditorenfrüherfassung" auf Basis von Ixos und R/3 unter die Lupe genommen. Dabei werden Rechnungen eingescannt, an Freigabeberechtigte weitergeleitet und schließlich kontiert. "Das funktionierte prächtig", meint Fischer augenzwinkernd, "allerdings läßt die Benutzerfreundlichkeit von R/3 zu wünschen übrig."

Probleme hätten vor allem jene Anwender, die nur selten mit der Lösung arbeiten. Zudem sei der Aufwand für die Workflow-Entwicklung sehr groß. Diesen Eindruck bestätigen weitere Prototypen, die primär als SAP-Office-Mail Gestalt annehmen. "Auch ihre Realisierung ist sehr aufwendig", bilanziert Fischer.

Nachdem in Baden rund 600 Arbeitsplätze in Administration und Back-Office auf SAP R/3 und Lotus Notes zugreifen, wollte man die Anwender nicht noch in ein drittes Programm einweisen. Das Workflow-Werkzeug sollte also eine bekannte Oberfläche besitzen. Systeme wie "Filenet" oder IBMs "Flowmark" kamen deshalb für ABB nicht in Frage.

Die Entscheidung fiel zugunsten der Lösung "Prozessware" von Onestone Information Technology aus Paderborn, die Notes und ab Herbst 1998 auch Microsoft Exchange unterstützt. Zudem konnte Fischer bereits auf Erfahrungen anderer ABB-Unternehmen zurückgreifen, die das Werkzeug ebenfalls einsetzen. Laut Fischer liegt die beste Seite der Lösung in der Modellierung und Entwicklung prozeßgesteuerter Anwendungen, die sich auch zur Laufzeit an neue Anforderungen anpassen lassen.

Um die Leistungsfähigkeit der Lösung zu testen, entwickelte Fischer zwei Prototypen: eine Pendenzverwaltung sowie eine Anwendung für die Personaleintritts- und Personalaustrittsverwaltung. Die Pendenzverwaltung - die Verwaltung von firmenweiten To-do-Listen - war bis dato dem Zufall überlassen. Mitarbeiter gaben ihre Termine in Formulare ein oder auch nicht. Kontrollen fehlten, und von Effizienz konnte keine Rede sein.

Dagegen soll die künftige Workflow-Lösung eine Kopplung zwischen Dokumenten, Protokollen und Pendenzen schaffen. Entweder sind mehrere Pendenzen einem Protokoll angehängt oder eine einzelne ist mit mehreren Protokollen verknüpft. Wer welche Aufgaben bis wann zu bewältigen hat, solche To-do-Profile fließen in die Pendenzverwaltung ein.

Auf Basis von Notes steuert Prozessware die Abhängigkeiten zwischen Pendenzen und Dokumenten sowie zwischen der Protokoll- und Dokumentationsebene. Verwaltet werden Zuständigkeiten, also die Einhaltung von Terminen sowie die Stellvertretungsregelung für Mitarbeiter, Abteilungen und Gruppen. Dabei legt die Designkomponente des Tools fest, welche funktionelle Einheit im jeweiligen Prozeßschritt zum Tragen kommt.

Diese Workflow-Lösung ist relativ unkompliziert, sie läßt sich auch ohne Zusatzprodukte in Notes abbilden. Wer allerdings nachvollziehen will, welche Themen auf einer konkreten Sitzung besprochen wurden und dazu Protokolle und Dokumente recherchieren muß, kommt laut Fischer mit der Groupware allein nicht weit.

Steckt der erste Prototyp noch in den Anfängen, ist der zweite bereits fortgeschritten und seit mehreren Monaten produktiv im Einsatz. Hier lautete die Aufgabe, den Personaleintritt und -austritt zu automatisieren. Bevor ein neuer Mitarbeiter seinen Job antreten kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Stehen die ihm zugeteilten DV-Systeme bereit, sind obligatorische Kurse verfügbar?

Erste Anwendungen zeigen Schwächen auf

Beim Abschied eines Mitarbeiters muß man neben der Abmeldung seine Accounts schließen und seine Daten entsorgen. Andernfalls bliebe der Mitarbeiter als "elektronische Karteileiche" im System. So entstehen Sicherheitsrisiken und überflüssiger Aufwand für Administration und Datenpflege.

Fischers Team vertraut der Anwendung. Sobald die Personalabteilung einen neuen Mitarbeiter erfaßt hat, löst das System alle notwendigen Workflows für seinen Arbeitsplatz aus. Digitalisierte Formulare auf einer grafischen Benutzeroberfläche helfen dabei.

Auch der zeitliche Aufwand für die Entwicklung der Workflows hält sich in Grenzen. Korrekturen oder Verfeinerungen lassen sich zur Laufzeit mit der Designfunktion vornehmen, was sich sofort auf alle neuen Workflows auswirkt. Änderungen in Notes-Anwendungen sind laut Fischer dabei nur im Ausnahmefall erforderlich.

Ende des Jahres soll der Prototyp die herkömmliche Vorgangsbearbeitung ablösen. Nichtsdestoweniger gibt es laut Fischer Ansatz zu Kritik, wie zum Beispiel an der Behandlung von Dokumenten nach einer Prozeß-Parallelisierung. Wird nämlich bei der Gabelung eines Prozesses ein Dokument verdoppelt, um es in parallelen Prozessen zu bearbeiten, betrachtet Prozessware die Dokumentenkopien auch, nachdem der duale Prozeß wieder zusammengeführt worden ist, als zwei einzelne Dateien.

Das Ergebnis fällt erwartungsgemäß aus: Das Ursprungsdokument wandert redundant weiter. Zwar läßt sich das Problem mit Notes lösen. Es wäre allerdings plausibler und natürlich praktischer, wenn das Zusatzprodukt gleich die Konsolidierung der Daten eines Prozesses übernähme.

Verbesserungswürdig ist auch das zeitgesteuerte Aktivieren eines Prozesses, wofür ebenfalls der Umweg über Notes erforderlich ist. Der Anwender definiert in der Groupware-Grundlage bestimmte Agents, deren Aufgabe darin besteht, regelmäßig in einer Notes-Datenbank nachzusehen, ob bestimmte Prozesse angestoßen werden müssen. Ist dies der Fall, "schreibt" der Agent ein Dokument in die Workflow-Datenbank.

Mit seinen Testläufen will Fischer den Einsatz von Workflow auf seine Leistungsfähigkeit abklopfen. Bezifferbare Rationalisierungseffekte schlagen sich freilich nur in übergreifenden Prozessen nieder, die eine hohe Komplexität aufweisen: etwa in der Abwicklung von Reklamationen oder der Bestellung von Ersatzteilen durch insgesamt 80 Servicestellen, die über eine Host-Anwendung und X.25, EDI und Lotus Notes mit dem Standort Baden verbunden sind. Hier sieht Fischer "unmittelbare Auswirkung auf unsere kritischen Erfolgsfaktoren".

Auf Zuruf geht vieles besser und billiger

Von geringer Bedeutung seien dagegen abteilungsbezogene Anwendungen, wie zum Beispiel ein Urlaubsantrag. "Chef, kann ich morgen für zwei Wochen in Urlaub?" Antwort: "Okay". Die herkömmliche Form beizubehalten ist für solche Fälle viel gescheiter als einen Workflow zu entwickeln, der in keiner Relation zum Nutzen steht.

Vielleicht mit Ausnahme der Spesenabrechnung - allerdings stellt sich dabei das Problem der Originalbelege. Wie Fischer berichtet, hat eine Schwesterfirma diesen Prozeß folgendermaßen gestaltet: Grundsätzlich werden alle Spesen ausbezahlt, pro Monat jedoch fünf Prozent der Abrechnungen kontrolliert. Hat ein Mitarbeiter geschummelt, wird er fristlos entlassen. "Das ist einfach, effektiv, wirksam und macht eine elektronische Lösung überflüssig", bilanziert Fischer.

"ABB rationalisiert, was das Zeug hält", bringt Fischer den konzernweiten Trend auf den Punkt. Das Tagesgeschäft wird von Routinepflichten entschlackt, und die Mitarbeiter könnten sich mehr auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.

Die Aussichten für Workflow-Management bei ABB Turbo Systems sind also gut. Neben der Weiterentwicklung der Prototypen denkt Fischer an eine Lösung im Kundenbestellservice etwa für die Bearbeitung von Kundenwünschen oder für die Erstellung von Kostenvoranschlägen. Welches System in Zukunft favorisiert wird, hängt freilich von vielen Interessen ab. "Die Würfel sind noch nicht gefallen", meint Fischer.

Angeklickt

Der Schweizer Maschinenbauer ABB Turbo Systems möchte seine Verwaltung mit SAP R/3 und der Groupware "Lotus Notes" übersichtlicher und effizienter gestalten. Nachdem bald klar war, daß es oftmals wenig bringt, die Ad-hoc-Arbeitsabläufe von Abteilungen durch elektronische Korsettstangen in Form von Workflow-Reglementarien einzuengen, konzentriert man sich jetzt auf unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse. Die IT-Verantwortlichen haben verschiedene Lösungen soweit unter die Lupe genommen, daß auch die Defizite favorisierter Lösungen erkennbar wurden.

Max Leonberg ist freier Journalist in München.