Westliche Experten gegen Glasnost im High-Tech-Handel:

Eiserner Vorhang soll geschlossen bleiben

23.10.1987

DEN HAAG (vwd) - Auf herbe Kritik ist die Forderung des Aufsichtsratsvorsitzenden von Philips, Wisse Dekker, gestoßen, den "Eisernen Vorhang" zwischen westlichen Hochtechnologie-Unternehmen und dem Ostblock aufzuziehen. So warnten NATO-Generalsekretär Lord Carrington und Ex-US-Außenminister Henry Kissinger vor zu großen Erwartungen in "Glasnost" und vor der nach wie vor hohen Bedeutung des Militärs in der sowjetischen Politik.

Auf einer Konferenz von Rüstungsexperten und Wissenschaftlern über die Ost-West-Beziehungen in Den Haag hatte Dekker erklärt, daß die Änderungen in der UdSSR unter Michail Gorbatschow eine stärkere wirtschaftliche Kooperation und Joint-ventures zwischen sowjetischen und westlichen Unternehmen rechtfertigten.

Die Ansichten Dekkers wurden von Tagungsteilnehmern aus den USA und Europa angegriffen. An der Spitze der Kritiker standen der frühere US-Außenminister Henry Kissinger und der Harvard-Analyst Richard E. Pipes. Sie argumentierten, daß der sowjetische Bedarf an westlicher Technologie auch in einer Phase stärkerer Öffnung letztendlich militärischen Zwecken dienen könne. Man dürfe nicht den Fehler machen, der UdSSR uneingeschränkten Zugang zu westlicher Technologie und Produktionsmethoden einzuräumen, nur weil Gorbatschow offenbar bereit sei, eine mehr marktwirtschaftlich orientierte Politik zu akzeptieren. Kissinger: "Wir dürfen dies nicht tun, solange 50 bis 60 Prozent des sowjetischen Bruttosozialprodukts in Militärprogramme gehen."

Der gebürtige Pole Pipes, der seit langem als Hardliner gegenüber der UdSSR gilt, sagte nach Dekkers Rede: "Ich bin entsetzt". Man werde vielleicht auch in den USA einige Geschäftsleute finden, die ähnlich wie Dekker denken, aber keinen, der dies auch in der Öffentlichkeit sagen würde.

Dekkers Forderungen reflektieren eine zunehmende Bereitschaft unter den Geschäftsleuten, den großen sowjetischen Markt als nächstes Ziel anzusehen. Angesichts der politischen Änderungen unter Gorbatschow haben prominente europäische Unternehmer nach einem "Marshall-Plan" für die UdSSR gerufen, um dem Land beim Aufbau der Produktions- und Vertriebsstätten für den Handel-mit dem Westen zu helfen.

Mit Blick auf die laufenden Änderungen in der UdSSR seien viele westliche Unternehmen dabei, die Möglichkeit von Gemeinschaftsunternehmen zu prüfen, bisher aber nicht bei Hochtechnologie, sagte Dekker. Während NATO-Mitglieder und andere Länder auf die Cocom-Vorschriften verweisen, fordert Dekker: "Es ist zu hoffen, daß diese Restriktionen gelockert oder realistischer interpretiert werden. Philips baut eine ganze Reihe von Gemeinschaftsunternehmen in kommunistischen Ländern auf, darunter in der CSSR und der VR China. Laut Dekker nimmt Philips die Verantwortung für die westliche Sicherheit sehr ernst. Gleichzeitig beschwerte sich Dekker aber auch über das "kafkaeske" Lizenz-Prozedere in den USA für Technologie-Exporte, das zu streng und gegen die europäischen Länder gerichtet sei.

In Übereinstimmung mit dem niederländischen Außenminister van den Broek wies Dekker jedoch dar-

auf hin, daß das wachsende wirtschaftliche und technologische Loch zwischen Ost und West selbst zur Instabilität in Europa beitrage. Die Entspannung könne nicht vorankommen, solange ein solch extremer wirtschaftlicher Unterschied zwischen diesen Regionen bestehe.

Für "business as usual" des Westens mit der UdSSR sprach sich dagegen Lord Carrington aus, der sich skeptisch hinsichtlich der verbesserten Beziehungen zur Sowjetunion zeigte. Er zweifle nicht daran, daß es neue Chancen gebe. Solange Moskau aber daran arbeite, das bestehende System zu verbessern, anstatt es in ein demokratisches umzuwandeln, sollten die Geschäftsbeziehungen auf der bisherigen Basis fortgesetzt werden.