Einheitliche DV-Ausbildung gefordert

02.12.1977

"Umfassende Konzepte für die Standardisierung in der DV-Ausbildung und als Rahmenpläne möglich und nötig", hatte die ADVB (Arbeitsgemeinschaft der DV-Bildungszentren) vor nunmehr zwei Jahren gefordert. Eine weitere These der ADVB lautete "Die Erarbeitung geeigneter Lehrbausteine ist der beste Weg, die Transparenz und Einheitlichkeit der DV-Ausbildungsgänge zu verbessern."

Als Referent des Systems-Symposiums "Ausbildung in der EDV" konstatierte jetzt D. Dropmann, Leiter der Siemens-Schule für Datenverarbeitung "Die DV-Ausbildungswelt ist nicht in Ordnung" und Systems-Besucher Rüdiger Podlech, Fachdozent für Datenverarbeitung, verwies darauf, daß es zwei unterschiedliche Forderungen gebe "Einmal wird ein Bildungssystem gefordert, das mehr in den Bereich der Allgemeinbildung hineingeht, und zum anderen werden konditionierte Ratten erwartet, die auf Tastendruck ihr Futter empfangen " Auch da ein Einwand: Die oft zitierte Kulturhoheit der Länder verhindere die Vereinheitlichung auf dem DV-Sektor. Schließlich behaupten ernstzunehmende Kritiker, daß die ganze Diskussion um "Ausbildung in der EDV" zu theoretisch geführt werde, sich von der Praxis meilenweit entfernt habe.

Welche Mittel gibt es, diesen "Katerzustand" (auch das ein ADVB-Zitat) zu beenden? Auf diese Frage erhielt die CW sieben Statements.

Professor Dr. Peter Deussen, Fakultät für Informatik, Universität Karlsruhe

Es kann jedenfalls nicht die Aufgabe von unabhängigen Bildungsinstituten sein, die von Herrn Podlech apostrophierten konditionierten Ratten, die sofort verkauft werden können, auszubilden. Diese Sorte Anlernens und insbesondere die zugehörigen Kosten sollte man denen überlassen, die glauben, mit Anlernlingen auskommen zu können. Die Ansicht des ADVB, umfassende Konzepte als Rahmenpläne für die DV-Ausbildung seien möglich und nötig, teile ich ausdrücklich. Solche Konzepte müssen über dem Aktuellen DV-Tagesgeschehen stehen. Überall der bis zum Überdruß geäußerten Forderung nach sogenanntem Praxisbezug nachzugeben, resultiert in Zersplitterung und Konzeptlosigkeit. Notabene: Obwohl der universitären Informatikausbildung oft der Vorwurf mangelnden Praxisbezugs gemacht wird, ergab eine erste Auswertung der von der Gesellschaft für Informatik gestarteten Umfrage unter den 900 in der beruflichen Praxis stehenden Diplom-Informatikern eine sehr positive Beurteilung ihrer Ausbildung. Solche Konzepte müssen ferner so angelegt sein, daß die Vielfalt der Qualifikationsstufen erfaß wird, und es müssen insbesondere die Ausbilder selbst erst einmal entsprechend ausgebildet sein.

Nur wenn diese Ziele überzeugend angestrebt werden, wird langfristig eine Vereinheitlichung der DV-Ausbildung bei allen wichtigen Ausbildungsträgern durchgesetzt werden können. Ein Patentrezept gegen den vom ADVB genannten Katerzustand kann es nicht geben. Um einen ersten Überblick über den bestehenden Ausbildungswirrwarr zu erhalten, hat die Gesellschaft für Informatik eine Bestandsaufnahme gemacht, deren Ziel es ist, zu einem von allen Beteiligten getragenen Rahmen zu gelangen.

Prof. Dr. Michael Friedrich, Fachhochschule Karlsruhe

Die Forderung nach Standardisierung der DV-Ausbildung wird wohl jeder an der Ausarbeitung von Lehrplänen Beteiligte befürworten. Die Auffassung, die Länderhoheit verhindere eine Vereinheitlichung, gilt zumindest nicht für das Land Baden-Württemberg, da Lehrpläne von den lehrenden Stellen ausgearbeitet und vom Kultusministerium ohne wesentliche Änderungen genehmigt werden.

Infolge der bei der Standardisierung der Ausbildung auftretenden Schwierigkeiten hat die Gesellschaft für Informatik eine sinnvolle Trennung zwischen Allgemeiner Informatik, Technischer Informatik und Wirtschaftsinformatik empfohlen. Schließlich muß auch jemand Auswertungsprogramme des Landesamts für Umweltschutz und Compiler erstellen und Prozeßverarbeitung für eine Garnfärberei installieren. Die Forderung nach Standardisierung betrifft hauptsächlich ein Segment der gesamten Datenverarbeitung, nämlich die Wirtschaftsinformatik (kommerzielle DV).

Soll die Ausbildung für den Berufseintritt oder die anspruchsvolleren späteren Berufsjahre standardisiert werden? Soll gezielt auf einem verbreiteten System zur Verbesserung der Berufsaussichten und zur Verkürzung der Einarbeitungszeit ausgebildet werden (auch wenn DOS-JCL nicht modernsten Erkenntnissen gerecht wird) oder ein für die Lehre geeignetes Datenverarbeitungssystem unter dem Denkvermögen durch formales und abstrahierendes Denken geschult werden oder stärker anwendbares Wissen vermittelt werden?

Soweit überschaubar, bemühen sich alle DV-Ausbildungsinstitutionen um eine bedarfskonforme Ausbildung und stimmen daher in etwa 70 Prozent der Lehrinhalte überein. Eine vollständige Vereinheitlichung der Lehrpläne ist nicht realisierbar, solange keine volle Einigkeit über die Zielsetzung der DV-Ausbildung besteht. Es ist daher müßig, nach einem Weg für verschiedene - wohl auch zur Fortentwicklung notwendige - Richtungen zu suchen.

Dr. Roland Henssler, Direktor des Control Data Instituts, Frankfurt

Bundesweite Standardisierung der DV-Ausbildung bedeutet Vereinheitlichung auf dem niedrigst möglichen Niveau, bedeutet Berücksichtigung vieler, auch unsachlicher Interessen, bedeutet letztlich staatliche Aufsicht, staatliche Lenkung. Staatliche Lenkung aber bedeutet für die DV-Ausbildungszentren einen wohltuend labenden Sommerregen staatlicher Förderungsgelder, geringe Effizienzkontrolle, Sicherheit, sie enthebt die Bildungszentren von der Notwendigkeit, sich ständig den Anforderungen des Arbeitsmarktes und der technischen Entwicklung anzupassen. Es gibt also gute Gründe, für Standardisierung in der DV-Ausbildung einzutreten.

Einen kleinen Schönheitsfehler hat allerdings diese Methode: Sie kann nicht die ständig sich wandelnden Anforderungen der Praxis berücksichtigen. Die Schüler werden an der Praxis vorbei ausgebildet und finden dementsprechend keine Stelle. Aber durch die bundesweite Standardisierung wird dieses Mißgeschick auf viele Schultern verteilt, und der Staat wird dann schon Abhilfe schaffen, vielleicht durch Weiterbildung in anderen standardisierten Bildungseinrichtungen.

Es gibt auch noch einen anderen Weg, und den hat beispielsweise das Control Data Institut beschritten. Die DV-Ausbildung ist kompakt, sie dauert nur wenige arbeitsreiche Monate und kennt keinen standardisierten, sich über Jahre erstreckenden Leerlauf. Die Institutsleitung ist in ständigem Gespräch mit DV-Benutzern und anderen DV-Herstellern mit dem Ziel, die Ausbildung so praxisnah wie möglich zu gestalten und jederzeit an die sich ändernden Anforderungen anzupassen. Das Ergebnis: Die Arbeitgeber bewerben sich aktiv um die CDI-Absolventen, es stehen immer zwei- bis dreimal soviel offene Stellen zur Verfügung als Absolventen abgehen.

Auch hier gibt es einen kleinen Schönheitsfehler: Diese Methode läßt sich nicht bundesweit standardisieren, da sie von der überdurchschnittlich hohen Qualifikation der Lehrkräfte abhängig ist, daher gibt es auch keine staatlichen Förderungsgelder und, was am schlimmsten ist, das CDI wird nicht in den ADVB aufgenommen.

Fazit: Der zweite Weg, nämlich praxisgerechte DV-Ausbildung anzubieten, ist unbequem und schwierig. Ich kann daher allen ADVB-Mitgliedern nur raten, weiterhin für Standardisierung einzutreten und staatliche Unterstützung zu fordern.

Dipl.-Ökon. Heinz Helmut Maier, Bildungszentrum für informationsverarbeitende Berufe

e. V. (BIB), Paderborn

D. Dropmann (Leiter der Siemens-Schule für Datenverarbeitung) hat zweifellos recht, wenn er als Referent des Systems-Symposiums "Ausbildung in der EDV" konstatiert, daß die DV-Ausbildungswelt nicht in Ordnung ist. Ebenso stehe ich zu der dort in meinem Referat gemachten Äußerung, daß die Kulturhoheit der Länder eine Vereinheitlichung im öffentlichen DV-Bildungsbereich zwar nicht verhindert, wohl aber erschwert und verzögert. Aus diesen Äußerungen zu folgern, daß ad infinitum diskutiert wird und diese Diskussion zu theoretisch geführt wird, verkennt allerdings meiner Auffassung nach den wahren Sachverhalt. Diese Kritiker sehen nicht die ungeheure Arbeit, die von bestimmten DV-Bildungszentren in der Vergangenheit geleistet wurde und die übrigens zu einer erheblichen Besserung der Situation der DV-Aus- und Weiterbildung geführt hat. Angesichts der guten DV-Bildung (zum Wirtschaftsinformatiker, Betriebswirt EDV, Computertechniker, EDV-Techniker), die diese Institutionen zum größten Teil vermitteln, ist es wirklich verfehlt, von einem "Katerzustand" zu reden. Das eigentliche Problem liegt doch wohl darin, daß in der Öffentlichkeit ein erschreckendes Informationsdefizit über die Arbeit dieser Einrichtungen besteht. Dieses wurde auch während des erwähnten Symposiums deutlich, als von vielen Teilnehmern der Betriebswirt EDV (zirka 50 Prozent DV-Fächer) mit anderen Bildungsgängen, bei denen DV nur als Wahlfach, beziehungsweise Nebenfach und deshalb in weit geringerem Umfang unterrichtet wird, verwechselt wurde. Sämtliche in sich geschlossenen Bildungsgänge in einem Gesamtsystem zusammenzufassen, halte ich allerdings bei der Fülle unterschiedlicher Bildungsträger (Hochschulen, Fachhochschulen, Fachschulen, DV-Bildungszentren, Verbände, Behörden, EDV-Hersteller) zumindest kurzfristig für außerordentlich schwierig.

Rüdiger Podlech, Fachdozent der Datenverarbeitung,. St. Augustin

In der DV-Ausbildung muß nach DV-Grundbildung und DV-Anwendungsschulung differenziert werden. Während der DV-Anwendungsschulung in der bisherigen Diskussion ein breiter Raum gegeben wurde, sind dennoch die Forderungen an diese Schulung - nämlich die Anwendungsbezogenheit - verhältnismäßig leicht zu erfüllen. Die DV-Grundbildung sollte in unser Bildungssystem integriert werden, nicht nur so, daß in den einzelnen Stufen ein zusätzliches Unterrichtsfach (Informatik) eingeführt wird, sondern die bestehenden Curricula sollten in bezug auf die DV in den Unterrichtsfächern erweitert werden (Mathematik, Religion [!], Physik). Bereits im Elementarbereich und im Primarbereich unseres Bildungssystems sollten DV-Unterrichtseinheiten mit "klassischem" Lehrstoff verknüpft werden.

Die Entwicklung und Standardisierung von Rahmencurricula für diesen Unterricht ist - bedingt durch unseren föderativen Entscheidungspluralismus - so schwerfällig und zeitaufwendig, daß ein solcher Plan wirklich nur einen ganz groben Rahmen stecken kann, um nicht von der technischen Entwicklung laufend überholt zu werden. Dann ist ein Lehrplan aber für die Unterrichtsdurchführung unbrauchbar, und es bleibt nach wie vor der Eigeninitiative der Lehrkraft überlassen, daraus etwas zu machen - oder nicht.

Alle Pläne, die bisher diskutiert wurden und noch werden, sind so gut oder so schlecht wie die Exekutivorgane, die diese Pläne realisieren. Hier muß der Hebel angesetzt werden. Die jüngste Geschichte Einführung der Mengenlehre - zeigt uns, daß ein Lehrplan dann, wenn er oktroyiert und nicht von Lehrern und Elternhaus getragen wird erhebliche Schwierigkeiten verursacht.

Bis die Generation heranwächst, die aus unserem Bildungssystem eine solide DV-Grundbildung in das Beschäftigungssytem mitbringt, haben im Quartärbereich die Träger von Fortbildungsveranstaltungen ein reiches Betätigungsfeld - die Hochschulen dürfen sich hier nicht ausschließen.

Wolfgang Pflanz, DV-Bildungszentrum, München

Es ist in unserem Staate ein weiter Weg, bis eine (bundeseinheitliche) Fortbildungsordnung verabschiedet ist. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bilden sich in langwieriger Prozedur eine Meinung und stellen ihre Forderungen. Das zuständige Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (BIB) muß eine sogenannte Fortbildungsordnung erarbeiten und vorlegen. Ein Entwurf soll im Februar 78 vorgelegt und insbesondere von der ADVB (Arbeitsgemeinschaft der Datenverarbeitungs-Bildungszentren in der Bundesrepublik Deutschland) und dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) beurteilt werden.

Die ADVB-Mitglieder haben am 14. November 1977 einen ersten Beitrag zur Vereinheitlichung geleistet, indem sich ihre Mitglieder verpflichtet haben die "Empfehlungen für eine zweijährige Vollzeitausbildung zum Wirtschaftsinformatiker an die Bundesanstalt für Arbeit" einzuhalten. Danach sollen

- zweijährige Vollzeitausbildungsgänge in Datenverarbeitung (wirtschaftlicher Änderungsbereich) einheitlich "Wirtschaftsinformatiker" betitelt werden,

- die Ausbildungsgänge, höchstens 3360, mindestens 2640 Unterrichtsstunden dauern

- die Ausbildungsgänge 55 bis 60 Prozent Anteil DV-Fächer, 40 bis 45 Prozent Anteil Wirtschafts- und Zusatzfächer haben (ein Fortschritt gegenüber etwa 40 Prozent Anteil der DV-Fächer bei den bisherigen "Betriebswirten EDV"),

- bestimmte Fächer in einem vorgegebenen Höchst- oder Mindeststundenmaß Pflichtfächer sein und bestimmte Freiräume für Zusatzfächer bleiben,

- die Bildungsträger die Zurverfügungstellung der erforderlichen DV-Systeme garantieren, um den Teilnehmern, insbesondere denen in Programmierfächern, ein festgelegtes Minimum an Maschinenpraktika sicherzustellen (und damit unter den DV-Fachschulen die Spreu vom Weizen zu trennen)

- während der Aus- und Fortbildung regelmäßige Leistungskontrollen stattfinden.

Die ADVB-Mitglieder sind sich ferner darin einig, daß die zweijährige Vollzeitausbildung in Stufen erfolgen soll, daß weitere Fortbildungsordnungen für Teile der Wirtschaftsinformatikerausbildung erforderlich sind. Gedacht ist dabei vor allem an den Organisationsprogrammierer (nach drei Semestern) und an den DV-Sachbearbeiter (nach ein bis zwei Semestern, je nach Vorbildung). Die ADVB ist bemüht, die Erweiterung des Stufenkonzeptes und die Lehrinhalte zusammen mit dem DIHT vorzunehmen, um spätere unterschiedliche Meinungen von vornherein zu vermeiden.

Als nächsten Schritt wird die ADVB bis Januar 78 Vorschläge für die Beschreibung der erforderlichen Berufsbilder vorlegen.

Prof. Dr. Hans Herbert Schulze, Mitglied des Vorstands des ADL - Verband für Informationsverarbeitung e. V., Berlin

Alle Fachleute sind sich einig: Die DV-Ausbildung in Deutschland muß verbessert, verbreitert und in gewisser Weise (etwa im Hochschulbereich) auf eine einheitliche Basis gestellt werden.

Die Forderungen auf dem Ausbildungssymposium der SYSTEMS 77 nach verbreiteterer DV-Ausbildung im Bereich der Allgemeinbildung und gleichzeitig nach verbesserter Berufsbildung der DV-Fachkräfte kann nur von Einäugigen als Widerspruch gesehen werden: Beides bedingt sich gegenseitig und ist für eine umfassende Ausbildung unumgänglich.

Zur Verbesserung der derzeitigen Lage erscheinen mir persönlich vor allem Änderungen im politisch-administrativen Bereich vonnöten: Es ist ein untragbarer Zustand, daß zuständige Ressortminister (hier BMFT) fast drei Jahre lang die Zeit von Experten dazu benutzen, "ehrenamtlich" vernünftige Vorschläge für die DV-Ausbildung erarbeiten zu lassen, nachdem man mit bestimmten Teilen des zweiten Datenverarbeitungsprogramms wegen totaler Fehlplanung Schiffbruch erlitten hatte (monströse DV-Bildungszentren wurden gegen den Rat der Experten geplant, konnten dann aber nicht realisiert werden). Diese Vorschläge wurden dann, gewissermaßen als Tätigkeitsnachweis der Behörde, veröffentlicht, und gerieten dann sofort wieder in Vergessenheit (Forschungsbericht DV 75-07 Datenverarbeitung: Empfehlungen für den Ausbau der DV-Ausbildung, ad-hoc-Ausschuß "Ausbildung von DV-Fachkräften" des BMFT vom BMFT, Bonn 1975). Andere Beispiele in anderen Bereichen ließen sich noch anführen.