Einflüsse der Elektronik auf Marketing und Handel

29.02.1980

Professor Dr. Heinz Weinhold-Stünzi, Ordinarius an der Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Direktor des Forschungsinstitutes für Absatz und Handel.

Professor Weinhold berichtet von einer USA-Forschungsreise, bei der einerseits führende Universitäts-Institute der Fachrichtung "Marketing" besucht wurden, andererseits Großunternehmen wie IBM, Texas Instruments und McDonell-Douglas. In Begleitung einer Gruppe von Wissenschaftlern des Institutes für Absatz und Handel wollte Weinhold die "Erkenntnisse über Marketingkonzepte und den Stand der Handelswissenschaften" vertiefen. Nach eigenen Aussagen richtete sich sein Augenmerk sehr bald auch auf den Themenkreis "Einflüsse der Elektronik auf Marketing und Handel". Von diesem Teil seiner Ermittlungen berichtet er den COMPUTERWOCHE-Lesern.

Der Einfluß der Elektronik auf das amerikanische Leben und auf die Wirtschaftsgebilde hat mich je länger je mehr in seinen Bann geschlagen. Im Vergleich zu den Ergebnissen unserer ersten USA-Forschungsreise im Jahre 1978 wurde deutlich, daß die Fortschritte auf dem Gebiet der Elektronik wesentlich rascher realisiert wurden, als es noch vor Jahresfrist den Anschein hatte. Die Elektronik stellt eine ungeheure Wachstumsindustrie dar, bei der - im Gegensatz zu vielen anderen Wirtschaftsbereichen - auch in Zukunft noch enorme Stückkosten und damit Preissenkungen zu erwarten sind. Diese Entwicklungen sind die Folge unübersehbarer Auflagensteigerungen einerseits und Rationalisierungen, Miniaturisierungen, Automatisierungen und Elektronisierungen in der Industrie selbst andererseits. Dabei dürften sich unverkennbar auch hier Agglomerationseffekte ergeben. Die Richtigkeit der "Experience-Curve" ist wohl am Beispiel der Elektronikindustrie gegenwärtig am besten zu demonstrieren.

Der Siegeszug des Mikroprozessors, der integrierten Computer und vergleichbarer Entwicklungen läßt sich in der Investitionsgüterindustrie erst erahnen. Herkömmliche, mechanische und hydraulische Steuerungs- und Regelsysteme werden durch elektronische Bauteile ergänzt oder substituiert. Relais, Schalter, Positionierungen und andere Hilfsmittel erleichtern dem Menschen die Arbeit und führen über in die Roboterfertigung auch auf Gebieten, wo man sie bislang für unmöglich gehalten hätte. Die Konsequenz aller dieser Entwicklungen ist, daß aus dem elektronisch-technologischen Fortschritt eine rasante Erneuerung auf dem Investitionsgütersektor stattfinden wird. Jeder Hersteller von Geräten aus diesem Bereich tut gut daran, sich heute schon zu überlegen, an welchen Komponenten seiner Investitionsgüter die Elektronik nächstens eingeführt werden wird.

Heim-Elektronik

Es ist bezeichnend, daß führende amerikanische Elektronikhersteller, wie Texas Instruments, in ihrem Organigramm eigene Abteilungen für "Consumer-Goods" ausscheiden. Die Entwicklung elektronischer Geräte für Konsumenten geht auf breiter Front vor sich. Zunächst sind hier die bereits bekannten Taschenrechner und Taschencomputer zu erwähnen. Auf diesem Gebiet ist vor allem eine Erweiterung der Leistungsfähigkeit einerseits zu erwarten, andererseits eine laufende Neuheitspolitik. Zum ersten: Immer kleinere Taschencomputer leisten immer mehr, der TI 59 wird, ähnlich dem HP 67, von Nachfolgecomputern abgelöst werden, die noch mehr können und noch einfacher zu handhaben sind. Zum zweiten: Die Kombination von Rechner mit Uhr, mit Radioempfänger, mit sprechendem Notizbuch, mit multiplem Anzeigegerät für Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und so weiter ist zu erwarten. Eine zweite Applikation der Elektronik auf dem Konsumentensektor ergibt sich aus dem Einsatz für Lehr- und Lerngeräte. "The Little Professor" ist dafür ein typisches Beispiel. Ein Gerät, das dem Kind ein Wort vorsagt - die menschliche Stimme ist bereits synthetisch zusammengesetzt und wird von elektronischen Komponenten produziert; ein Kassettenband ist überflüssig - erzieht zum richtigen Buchstabieren, zählt automatisch die Versuche und Fehler und kann durch Einsatzteile im Schwierigkeitsgrad gesteigert werden. "Der kleine Professor" stellt den Anfang der Entwicklung von kompakten Heimsprachlabors dar, sowie von Taschen-Übersetzungsmaschinen und anderen Einrichtungen, die bald auch im programmierten Unterricht als effektive Lernmaschinen benützt werden können. Eine schier endlose Reihe von Möglichkeiten stellen die elektronischen Spielgeräte dar. Was man bis jetzt so in Form von Bildschirmspielen sieht, ist erst ein mickriger Anfang. Sowohl neue Spiele als auch die Ausdehnung der Spielmöglichkeiten auf mehr als nur zwei Personen sind zu erwarten. In den gleichen Bereich gehören die Schachcomputer sowie neuartige Spiele in denen der Computer als Partner fungiert. Sodann ist zu erwarten, daß die Elektronik bald für die Steuerung von Modelleisenbahnanlagen, von Autorennbahnen, von Flugzeug- und Schiffsmodellen in Anwendung gebracht wird. Einen weiteren Bereich stellen die Heimcomputer dar, die bereits auf dem Markt sind. Sie werden kombiniert mit dem Bildschirm und sind elegantes Haushaltsbuch, Informationsspeicher, Rechnungsmaschine, Prozessor und was immer man sich wünscht. Vor allem aber sind sie, man darf dies nicht unterschätzen, beliebte Spielgeräte für den Haushaltsvorstand und seine "Jünger".

Einen fünften Anwendungsbereich der Elektronik auf dem Konsumentensektor dürfte man in Entwicklungen sehen, wie sie sich heute bei der Automobilindustrie abzeichnen: Der "Auto-Bordcomputer", der vielfältige Meßdaten liefert, vom Benzinverbrauch über noch zu fahrende Strecke und Zeit, die Außentemperatur, den Feuchtigkeitsgrad, den Barometerstand und anderes mehr ist Modell für den Haus-Computer, der zum Beispiel im Eigenheim die verschiedenen Verbrauchsziffern laufend meldet. Haus-Computer, Fitness-Computer, Disco-Computer... der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.